Der Barbershop blinkt und leuchtet mit seiner rot-weiss-blauen Barbierstange zwar in fast allen Farben. Drinnen aber läuft nichts. Ein Angestellter sitzt vor dem Laden, raucht eine Zigarette. Er wartet auf – männliche – Kundschaft. Kommt die, geht es ans Werk, und das Werk ist günstig: 25 Franken kostet, manchmal nur 20 Franken, der Haarschnitt. Rentner, Lehrlinge und Schüler kriegen es meist noch billiger. So ist das bei diesen Billig-Coiffeuren.
«Reguläre» Coiffeusen und Coiffeure müssen vielleicht 60 Franken verlangen, um über die Runden zu kommen. Sie fragen sich, wie die Billig-Konkurrenz rechnet und überlebt. Vielleicht machen die Billigen es ja mit der Menge, ist eine Vermutung, die man im Gespräch hört. Aber dann müsste Hochbetrieb in diesen Shops herrschen, und das ist kaum je der Fall.
In der Coiffeurbranche gibt es einen Mindestlohn, der beträgt 4000 Franken im Monat für gelerntes Personal. Für Ungelernte gibt es mindestens 3550 Franken. So steht es in der aktuellen, vom Bundesrat abgesegneten Version des Gesamtarbeitsvertrags GAV, gültig ab 2024. Bis ins Jahr 2027 sollen diese Löhne noch steigen. Der GAV ist allgemein verbindlich und gilt auch für Billig-Coiffeure und ihre Angestellten.
Claudia Hablützel ist Leiterin der Geschäftsstelle der Paritätischen Kommission des Coiffeurgewerbes. Diese Kommission prüft im Auftrag der Sozialpartner, ob die Coiffeurbetriebe die im GAV verankerten Lohn- und Arbeitsbedingungen einhalten. Wenn nicht, werden Strafen fällig.
Die Kommission führe zwar «keine spezielle Statistik zu dem jeweils verfolgten Geschäftsmodell», sagt die Rechtsanwältin. Aber «im Vergleich zu herkömmlichen Salons» falle bei Billig-Coiffeuren auf, «dass vorläufig aufgenommene Personen zu sehr tiefen Löhnen beschäftigt werden». Ebenso, «dass Leute als Praktikanten beschäftigt werden, welche einen Lohn als ungelernte Person zugute hätten oder dass Erfahrungsjahre im Ausland nicht angerechnet werden bei der Lohneinstufung».
Das grösste Problem in Barbershops und bei Billig-Coiffeuren sei meistens «ein anderes Verständnis von Arbeitszeit», sagt die Rechtsanwältin. Und zwar: «Es wird häufig nur die direkte Arbeitszeit am Kopf eines Kunden entgolten oder gar nach Anzahl Köpfen gezahlt, gleichzeitig wird jedoch erwartet, dass der Arbeitnehmende vor Ort auf Kundschaft wartet und diejenigen bedient, die gerade kommen.»
Wenn also ein Angestellter pro Tag nur zwei oder drei Kunden bedient, verdient er gerade mal ein paar Fränkli.
Hablützel sagt, dass man erfahrungsgemäss bei Billig-Coiffeuren «überdurchschnittlich mehr Fälle von fehlenden Versicherungen, ungerechtfertigten oder zu hohen Prämienabzügen für Versicherungen, fehlerhaften Lohnabrechnungen, keinen oder mangelhaften Zeitabrechnungen, Abweichungen zum Mindestlohn und so weiter feststelle». Häufig fehle auch die Kenntnis der rechtlichen Grundlagen.
Solche Muster fallen in die Kategorie Ausbeutung und Menschenhandel. Denn zu solchen «Löhnen» arbeiten tendenziell nur Leute in Not beziehungsweise mit ungeregeltem Aufenthaltsstatus.
Allerdings ist auch klar: Etablissements wie Barbershops dienen manchmal auch als Plattform für illegale Geschäfte wie Geldwäscherei, Drogen, Verkauf von gefälschten Markenartikeln, Mehrwertsteuerbetrug. Oder als eine Art «Kaderschmiede» für kriminelle Clans: Personal, das sich bewährt, kann intern aufsteigen.
Die Stadt Bern führte vor einigen Jahren unter Fremdenpolizeichef Alexander Ott Razzien bei Barbershops durch und schloss eine Reihe von ihnen. Manche wurden danach in anderen Ortschaften im Kanton neu eröffnet, wo es weniger oder keine Kontrollen gibt. Betreiber waren insbesondere syrische oder türkische Staatsangehörige. Auch Personen und Clans aus dem Westbalkan sind in diesem Geschäft tätig, das nicht selten mit anderen dubiosen Betätigungsfeldern verlinkt ist.
Wer sich bei einem Billig-Barber Haar oder Bart stutzen lässt, unterstützt mit einiger Wahrscheinlichkeit irgendwelche Hinterleute und irreguläre Handlungen. Oder er profitiert von Ausbeutung und trägt dazu bei, dass die Schweiz für illegale Aufenthalter attraktiv ist, weil sie in solchen Etablissements arbeiten und allenfalls aufsteigen können. Und er unterstützt Clanstrukturen, die das Land unterwandern.
Unklar ist, wie viele dieser Billig-Barbershops es in der Schweiz heute gibt. Der Verband Coiffure Suisse hat keine Zahlen. Er zählt heute laut eigenen Angaben rund 2700 Mitglieder, was rund einem Viertel aller Coiffeurgeschäfte entspreche. Nicht zu den Mitgliedern gehören naturgemäss die Billig-Coiffeure.
Auch beim Bundesamt für Statistik (BFS) gibt es keine Zahlen zu Barbershops. Was allerdings auffällt: In den letzten Jahren hat die Anzahl der männlichen Angestellten in der Branche stark zugenommen, während die der weiblichen sank:
2011 arbeiteten laut BFS-Statistik noch 24'793 Frauen und 3848 Männer in total 14'866 Coiffeursalons.
2021 wurden in erfassten 16'636 Arbeitsstätten 24'410 Frauen und 5645 Männer beschäftigt.
Die Zahl der weiblichen Beschäftigten ging um fast 400 zurück, während die der männlichen um 1797 wuchs. Im fast gleichen Umfang nahm, so ein Zufall, die Zahl der Geschäfte zu: um 1770.
Wie weit das die Zahl der Barbershops und der Bartstutzer abbildet, ist offen. (bzbasel.ch)
Unglaublich diese Tatenlosigkeit.
Bis eben habe ich die „Shops“ als Geldwäsche-Institute verstanden, Entschuldigung 😬.