Essen. Angelique Gaffga ist 18 Jahre alt, hat einen zehn Monate alten Sohn – und steuert auf einen tollen Realschulabschluss zu. Dabei hat sie früher die Schule geschwänzt und schließlich geschmissen. Die Volkshochschule bietet ihr eine Riesenchance.

Vor ein paar Jahren war Angelique Gaffga noch Sorgenkind und notorische Schulschwänzerin – „aber ich kenne sie nur als Musterschülerin“, sagt Heike Hurlin vom Bereich schulische Weiterbildung der Volkshochschule (VHS). Obwohl die 18-Jährige sich um ihren zehn Monate alten Sohn kümmern müsse, steuere sie an der VHS auf einen „tollen Realschulabschluss“ zu.

Zu verdanken ist dieser Erfolg auch Angeliques Mutter Ramona Gaffga (37) die unerschütterlich zu ihrer Tochter hielt; auch als die ihr viel Kummer machte. Die Familie lebt in Borbeck, und Angelique hat früher die Gesamtschule Nord in Vogelheim besucht. Oder vielmehr nicht besucht. „Das klappte nicht so. Da waren die falschen Leute, die haben mich gemobbt. Aus Protest bin ich nicht mehr hingegangen.“ Morgens verließ sie das Haus und ging sie ins Alleecenter.

Der Sozialarbeiter der Schule kümmerte sich, sie wechselte die Klasse, man schickte Briefe nach Hause, rief an. Ihre Mutter, die alleine noch zwei weitere Töchter (13 und 17) aufzieht, war Stammgast in der Schule, „und mit dem Stufenleiter per Du“. Am Ende begleitete sie den Teenager wie eine Grundschülerin zum Schultor. „Ich hab’ im Unterricht gesagt: ,Ich muss zur Toilette’ – und bin wieder raus.“

Als der Schwindel aufflog, war die Mutter geschockt und Angelique erleichtert, „weil ich nicht mehr so tun musste als ob“. Doch die Erleichterung wich bald der Langeweile, weil sie merkte, dass kein Arbeitgeber auf eine 16-jährige Schulabbrecherin wartete. „Am Ende dachte ich: Lieber zur Schule als nirgendwohin.“

Diese Erkenntnis führte sie zur VHS, wo sie im Februar 2013 einen Kurs zum Nachholen des Hauptschulabschlusses startete. Es lief prima. „Hier hat keiner den anderen verurteilt.“ Für Angelique eine neue Erfahrung: „Ich hab’ mich getraut aufzuzeigen, weil keiner über eine falsche Antwort gelacht hat.“ In diesem Klima lernte sie rasch, auch richtige Antworten zu geben. Im Mai war Angelique schwanger.

Hier enden auch an der VHS viele Schulkarrieren, aber Heike Hurlin hatte genug von Angeliques Willen gesehen. Sie reservierte ihr einen Platz im Turbo-Lehrgang: Da macht man den Hauptschulabschluss in einem Semester. Zum ersten Schultag am 4. Februar 2014 war Angelique da – am 29. Januar war Simon zur Welt gekommen.

Natürlich hat sie das Klassenziel erreicht. Im Januar folgt schon der Realschulabschluss, auch nach einem Turbo-Semester: Täglich von 12.20 bis 19 Uhr hat Angelique Unterricht in der VHS, dann fährt sie nach Borbeck, holt ihren Sohn bei ihrer Mutter ab, macht Abendbrot, legt den Kleinen hin, arbeitet noch für die Schule – und steht morgens um sechs mit Simon auf.

Den Turbo musste aber auch Ramona Gaffga einlegen: Sie putzt von 6 bis 8 Uhr bei Edeka, räumt anschließend bei Rossmann Waren ein, bis elf. Um 11.30 Uhr übernimmt sie den kleinen Simon, hütet ihn bis 19.30 Uhr; und abends nimmt sie nun noch Fahrstunden: Sie möchte für ihren Enkel den Führerschein machen.

Alle 14 Tage ist Simon bei seinem Vater, sonst springt Ramona Gaffga auch mal am Wochenende ein. „Mama ist die Beste“, sagt Angelique. Und sie selbst habe ein neues Selbstbewusstsein, würde am liebsten Abi machen. Ob sie gut genug ist? „Mein schlechtestes Fach ist Englisch, da steh’ ich 2 minus.“

Sie interessiert sich auch für eine Ausbildung zur Chemielaborantin, kassierte aber auf die erste Bewerbung eine Absage: Mit Kind sei sie vermutlich nicht flexibel. Von wegen, sagt Heike Hurlin: „Jeder Arbeitgeber kann sich auf eine engagierte junge Frau wie sie freuen.“