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Meinung Zwangsanleihen

Warum die Reichen mehr Geld hergeben sollten

Sylt/Amrum/Föhr: Sylt, Kampen, Luxusautos vor dem "Gogärtchen" Sylt/Amrum/Föhr: Sylt, Kampen, Luxusautos vor dem "Gogärtchen"
Luxusautos auf Sylt: Nach Ansicht von Gert G. Wagner, Vorstandsvorsitzendem des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, wäre es nur gerecht, dass ihre Besitzer im Rahmen eine...r Zwangsanleihe zum Ausgleich der verschuldeten öffentlichen Haushalte beitragen.
Quelle: picture alliance
Den Wohlhabenden geht es gut, vielen trotz Krise sogar besser als zuvor. Zwangsanleihen wären daher gerecht, meint Gert G. Wagner, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Für den Abbau der öffentlichen Schulden, deren Wert inzwischen etwa 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht, wird von weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Politik nur ein Rückgang der Staatsausgaben als Instrument erwogen. Über die Alternative, nämlich Steuererhöhungen, denkt kaum jemand nach. Um die Diskussion zu öffnen, wurden deswegen im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) mögliche Alternativszenarien berechnet: eine einmalige Vermögensabgabe bzw. eine Zwangsanleihe auf große Vermögen.

Würde eine Abgabe erhoben, die ab einem individuellen Nettovermögen von 250.000 Euro beziehungsweise 500.000 Euro für Ehepaare greifen würde, betrüge die Bemessungsgrundlage etwa 92 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn davon über mehrere Jahre hinweg insgesamt zehn Prozent abgeführt würden, betrüge das Aufkommen etwa neun Prozent des Bruttoinlandsproduktes, also in heutigen Werten gerechnet etwa 230 Milliarden Euro. Damit könnte man den Schuldenstand in Deutschland ein deutliches Stück näher an die im Maastricht-Vertrag festgeschriebene 60-Prozent-Grenze zurückführen.

Unterfinanzierung: teilweise erbärmliche Zustände

Nun werden viele sagen: angesichts der vielfältigen Verschwendung von Steuermitteln durch den Staat ist es unvernünftig, die Steuern zu erhöhen. Viel besser wäre es, die überflüssigen Staatsausgaben zurückzuführen. Betrachtet man freilich die Staatsausgaben und sucht nach umsetzbaren Vorschlägen, wo wirklich eingespart werden kann, dann findet man nicht viele Möglichkeiten. Im Gegenteil: unser Vorschul- und Bildungssystem ist zunehmend unterfinanziert. Und die öffentliche Infrastruktur ist teilweise in einem erbärmlichen Zustand.

Sicher kann jeder ein Beispiel staatlicher Verschwendung nennen, aber ist punktuelle Verschwendung wirklich nur ein Problem des Staates? Gibt es nicht in jeder großen Organisation ein gewisses Maß an Verschwendung? Viele Beispiele aus Großkonzernen sprechen dafür. Was im letzten Jahrzehnt realisiert wurde, sind Einschnitte im Sozial- und Gesundheitsbereich. Diese waren extrem umstritten, und angesichts der Alterung der Bevölkerung in Deutschland kann man weitere Einschnitte kaum verantworten.

Sind die Steuern zu niedrig?

Wir befinden uns nun in der bemerkenswerten Situation, dass in den letzten 15 Jahren die Staatsausgaben aus guten Gründen nicht radikal heruntergefahren, aber trotzdem die Steuern gesenkt wurden. Das hat zusammen mit den Folgekosten der deutschen Einheit und der Finanzkrise zu einem Anstieg der öffentlichen Schulden geführt. Die Verschuldungsquote von 81 Prozent des BIP ist nun Anlass für eine neuerliche Ausgabensenkungsrethorik.

Befördert werden Forderungen nach Senkungen der Staatsausgaben von der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse. Aber es gibt inzwischen auch immer mehr Stimmen, die laut über Steuererhöhungen nachdenken. Denn angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre kann man genauso gut die Perspektive einnehmen, dass die Steuern zu niedrig waren – und nicht die Ausgaben zu hoch.

Das ist in den Schichten der wirtschaftlichen Eliten und der meinungsbildenden Kreise natürlich keine Nachricht, die auf Begeisterung stößt. Aber es sollte aufhorchen lassen, dass es zunehmend Millionäre gibt, die für sich selbst höhere Steuern für gerechtfertigt halten. Dabei ist auch zu bedenken, dass in Deutschland die Einkommenszuwächse der letzten 15 Jahre weitgehend bei den reichsten 10 Prozent der Bevölkerung anfielen und die Verteilung entsprechend ungleicher geworden ist.

Die Vermögenden haben am meisten profitiert

Was auch gerne vergessen wird: Die Staatsschulden wurden ja niemandem aufgezwungen, sondern Vermögen, die nach Anlagemöglichkeiten suchen, haben sich in der Regel freiwillig für das Zeichnen von deutschen Staatsanleihen entschieden. Man kann das auch so interpretieren: Vermögende, die von den Steuerentlastungen und der Umverteilung von unten nach oben in den letzten Jahre profitiert haben, waren froh, dass es die Möglichkeit gab, dem deutschen Staat Geld zu leihen.

Würde jetzt eine einmalige Vermögensabgabe bzw. eine Zwangsanleihe eingeführt, könnte man diese auch als ausgleichende Gerechtigkeit interpretieren. Die Umverteilung von Einkommen, die insbesondere in den letzten zehn Jahren von unten nach oben stattgefunden hat, würde wieder teilweise rückgängig gemacht. Man beachte: Das Aufkommen vermögensbezogener Steuern macht in Deutschland weniger als ein Prozent des BIP aus. In der OECD insgesamt liegt der Anteil doppelt so hoch. In Großbritannien bei über vier Prozent des BIP.

Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden
So verteilen sich die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden
Quelle: Infografik Welt Online
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Mit einer einmaligen Vermögensabgabe könnten zumindest die Staatsschulden zügig zurückgeführt werden, die auf diverse Rettungsaktionen zurückgehen und manch einen Vermögensbesitzer bisher vor Verlusten bewahrt hat – zulasten aller Steuerzahler. Das würde Spielraum für dringend notwendige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur wie zum Beispiel Vorschulen, Schulen und Hochschulen schaffen und von fast der gesamten Bevölkerung als gerecht angesehen. Von den auf Pump finanzierten Staatsausgaben der letzten Jahre und von staatlichen Rettungsmaßnahmen haben schließlich Vermögende am meisten profitiert.

Es gibt Möglichkeiten - die Politik muss sie nur nutzen

Höhere Steuern für Gutverdienende und Vermögende liegen inzwischen in den alten westlichen Demokratien auch durchaus wieder im Trend. Ob – wie in Frankreich im Gespräch – bei der Einkommensteuer ein Spitzensteuersatz von 75 Prozent durchsetzbar und klug ist, ist sicherlich eine offene Frage. Fest steht aber, dass in den Fünfzigerjahren ein solch hoher Satz der wirtschaftlichen Entwicklung der USA nicht geschadet hat.

Angesichts hoher Staatsschulden ist eine Kürzung der Staatsausgaben keineswegs alternativlos. Auch Vermögensabgaben sind nicht das einzige steuerpolitische Instrument, über das man nachdenken kann. Neben einer stärkeren Progression bei der Einkommensteuer gibt es auch Möglichkeiten von sinnvollen Steuererhöhungen im Bereich der Grund- und Erbschaftsteuer. Es ist die Aufgabe der Politik, ein ausgewogenes Paket zu schnüren. Dann können maßvolle Steuererhöhungen – gerade für ein prosperierendes Land wie Deutschland – eine sinnvolle Zukunftsinvestition sein.

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