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Mixa degradierte konservativen Geist zur Karikatur

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Walter Mixa Walter Mixa
Zwischen 1975 und 1996 soll Walter Mixa Heimkinder geschlagen und Geld einer Katholischen Waisenhausstiftung veruntreut haben
Quelle: dpa
Das war ein trauriger Abgang, er kam zu spät. Mit jeder Stunde, die Walter Mixa früher von seinem Bischofsamt zurückgetreten wäre, hätte er Schaden von seiner Kirche abwenden können. In der Krise schlummern aber auch Chancen, denn die Pluralisierung der Stile hat auch die Kirche erreicht.

Bischof Mixa hat sich strikt nach der allzu menschlichen Missetäternorm verhalten: Erst als es gar nicht mehr anders ging, erst als er in auswegloser Lage war, hat er bekannt und die Konsequenzen gezogen. Dass Gottesleute auch nur Menschen sind und fehlen können, darf niemanden überraschen, es sollte kein polemisches Kapital daraus geschlagen werden.

Erstaunlich ist nur, dass ein überzeugter Christ wie Mixa nicht gesehen hat, dass er mit seinem Verhalten das beschädigt hat, was zu den nicht eben zahlreichen verbliebenen Aktiva der katholischen Kirche gehört: die moralische Integrität, ihre Vorbildfunktion. Fast könnte man auf den Verdacht kommen, Walter Mixa habe das in Kauf genommen. Denn vielleicht will er gar nicht die Kirche, die kohärent zu Gläubigen, Zweiflern und Ungläubigen spricht. Vielleicht will er die Kirche als der Rechtfertigung enthobene Trutzburg im Meer einer gottlosen Moderne.

Deren Dialektik entkommt er damit nicht. Obwohl er doch alles tun wollte, um die Kirche als einen Hort des Herkömmlichen, der traditionellen Wertevorstellungen und der konservativen Gesinnung zu bewahren, hat er das schiere Gegenteil erreicht. Er hat all das noch mehr in die Isolation und fast auf die Anklagebank geschoben.

Es gibt für diesen und jenen gute Gründe, mit der modernen Gesellschaft des raschen Wertewandels und der diesseitigen Heilsversprechen über Kreuz zu sein. Viele, die mit dieser schönen neuen Welt nicht glücklich sind, befinden sich auf der Suche nach zeitgemäßen, also weder reaktionären noch lächerlichen Formen, diesem Unbehagen Ausdruck zu geben. Mixa ist diesen Suchenden brutal in die Parade gefahren.

Als er am Ende auch noch ernsthaft behauptete, mitverantwortlich am sexuellen Missbrauch Jugendlicher unter dem Mantel der katholischen Kirche sei die „sexuelle Revolution“, also der Geist der 68er: Da hat er die Grenze zum Unseriösen endgültig überschritten. Erstens, weil er gegen die gute Regel verstieß, jeder solle erst einmal vor der eigenen Tür kehren – und vor der der katholischen Kirche lag ja Einiges. Und zweitens, weil er doch nicht ernsthaft glauben konnte, dass solche Verschwörungstheorien die Wirklichkeit auch nur annähernd zutreffend beschrieben.

Derart dumm argumentierend, hat er seine eigene Klientel weit, weit unter Wert verkauft. Er wusste wohl nicht, was er da tat. Er war kein guter Hirte. Denn er hat die Herde der konservativ Gesonnenen schlecht geführt, hat ihnen das Leben noch schwerer gemacht. Er hat den konservativen Geist zu einer Karikatur werden lassen. Jeder Feld-Wald-Wiesen-Feind der Kirche und des Religiösen kann nun munter auf diese Karikatur zeigen: Wenn das konservativ ist, dann brauchen wir es wirklich nicht. Einen besseren Helfer hätten militante Agnostiker nicht finden können.

Die katholische Kirche in Deutschland ist der Aufgaben wegen, vor denen sie steht, nicht zu beneiden. Es ist kein halbes Jahrhundert her, da konnten die geistlichen Repräsentanten dieser Kirche noch halbwegs sicher sein, in einem gewissen Gleichklang zu einem beträchtlichen Teil des Geists der Zeit zu leben. Es gab breite Milieus, die sozial-katholisch orientiert waren, die noch in einer traditionellen Wertewelt wurzelten und jenseits der klassischen Familie nur Sodom und Gomorrha zu erkennen vermochten. Die Kirchenmänner besaßen hier unhinterfragbare Autorität; selbst wenn sie – wie Josef Kardinal Frings in Köln – populär waren, stachen sie hervor, waren wenig nahbar, hatten oft etwas Aristokratisches.

Heute ist die Kirche – wie alle anderen auch – erkennbar auf der Suche. Es gibt Gottesmänner, die den Weg durch die Talkshows gehen. Andere üben sich – in der katholischen Kirche inzwischen mehr als in der evangelischen – im Amt des Wächters über das Soziale. Wieder andere agieren als Menschenfreunde, als Tugendwächter oder als asketische Hüter von Gottes Botschaft. Die Pluralisierung der Stile hat auch die Kirche erreicht, die doch zugleich ein Hort der unverbrüchlichen, nicht zur Disposition stehenden geistlichen Wahrheit sein will.

Die Kirche muss die Höhlen der Schwarzen Pädagogik verlassen, schon deswegen, weil diese mit der Nächstenliebe nicht vereinbar ist. Und ihr muss ihr das Kunststück gelingen, erkennbar von dieser Welt zu sein und in ihr verständig zu agieren – und zugleich mehr als einen Rest jener Weltenfremde zu erhalten, deretwegen die Kirche über Jahrhundert Fluchtpunkt nicht nur der Mühseligen und Beladenen gewesen war. Die Zeitläufte kommen ihr dabei nicht entgegen. Doch die Diaspora muss kein Fluch sein. Auch in katholischen Krisen können Chancen schlummern.

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