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Fernsehen 40 Jahre Farbfernsehen

Die Gier nach dem bunten Spektakel

Willy Brandt Willy Brandt
Der entscheidende Knopfdruck: Willy Brandt startet im August 1967 symbolisch das Farbfernsehen
Quelle: DPA
Mit der Einführung in Deutschland sollte die Welt endlich erscheinen, „wie sie ist" - so wünschte es Willy Brandt. Doch es kam ganz anders: Das Fernsehen wiederholt, zitiert und inszeniert sich vor allem selbst. Und die Zuschauer können dabei einfach nicht wegschauen.

Wer heute im Fernsehen zu lang redet, den bestraft die Fernbedienung. Aber so war es vor 40 Jahren noch nicht. Wohin hätten die Zuschauer auch zappen sollen an jenem 25. August 1967, und womit? Gleichzeitig in ARD und ZDF – etwas Drittes lag damals noch in weiter Ferne – predigten mehrere Intendanten, zwei Minister, ein Fachverbandsvertreter, ein Berliner Regierender Bürgermeister und ein Vizekanzler geschlagene eineinhalb Stunden auf die Fernsehnation ein. Dann durfte Willy Brandt endlich von der 25. Berliner Funkausstellung aus den Start für „das deutsche Farbfernsehen“ verkünden.

Der Medienwandel war vielen Programmverantwortlichen lange nicht geheuer. Auf das „Sinnenhafte“, die „Schau“, wollte zum Beispiel der damalige ZDF-Intendant Karl Holzamer den Einsatz der Farbe begrenzt sehen. Diese sollte der leichten Kost vorbehalten bleiben, während das „Wichtige“ weiterhin im strengen Schwarz-Weiß serviert werden sollte. Dadurch wollte Holzamer, von Haus aus Pädagoge, den offiziösen und volkspädagogischen Charakter des damaligen Fernsehprogramms bewahren. Doch Holzamers Vorsicht hat nichts genützt.


Nach grauen Aufbaujahren gierte die Republik nach eben jenem „sinnenhaften“ Spektakel des bunten Bildschirms. So sprach die damals populäre Schauspielerin Martina Ried wohl vielen aus der Seele, als sie öffentlich bekannte, während der lange Zeit noch schwarz-weißen Nachrichtensendungen den Knopf für die Farbsättigung zu traktieren, bis der Nachrichtensprecher blau oder rot schimmerte. War dies das Farbfernsehen, mit dem man sehen konnte, „wie die Welt wirklich ist“? So hatte damals Willy Brandt die Gegenrede zu Holzamers Farb-Skeptizismus formuliert. Aber Brandt muss damals schon geahnt haben, dass das Farbfernsehen die Kraft hat, sich seine eigene Welt zu schaffen. Jedenfalls wusste er sehr bald, sich der wirklichkeitsstiftenden Kraft des Mediums zu bedienen. Und viele andere lernten das auch.

Das TV bricht aus dem Volkshochschul-Gefängnis aus

Das Volk jedenfalls bekam seine Farben, ob rot oder blau, auf allen Kanälen und zu allen Sendezeiten. Und das Fernsehen der späten deutschen Nachkriegszeit hatte plötzlich ein Problem. „Das Bunte ist zu blass“, klagte die Boulevardpresse stellvertretend für die rasch wachsende Schar der programmhungrigen Farbfernseher-Besitzer. Fernsehzeitschriften stifteten Rumor im Volk gegen einen Mangel an Unterhaltungsprogrammen, „die sich besonders gut für die neue Ausdrucksform der Farbe eignen“, wie eine Hamburger Zeitung schon Anfang September 1967 schrieb. Der Druck des Publikums auf die Programmverantwortlichen, aus dem Geiste des Farbfernsehens massenattraktive „Fernsehereignisse“ zu erschaffen, wuchs unaufhaltsam. Es ging immer weniger darum, „wie die Welt wirklich ist“, es ging um den Stoff, aus dem die Träume sind.

Das Fernsehen begann in Deutschland aus seinem Volkshochschul-Gefängnis auszubrechen und seiner ureigenen Dynamik zu folgen – hin zu einer an Nutzergruppen orientierten Simulation paralleler Wirklichkeiten. Eine davon hieß „Bonanza“ und entführte als eine der ersten in Farbe ausgestrahlten Fernsehserien eine ganze Generation in einen elektronisch kolorierten wilden Westen, von dem man damals schon wusste, dass es ihn so nie gegeben haben konnte. Aber wen interessierte das schon?


Insofern war der 25. August 1967 auch der Geburtstag des Unterschichtenfernsehens, selbst wenn das erst Jahrzehnte später so genannt wurde. Der schiere Reiz der farbigen Fernwahrnehmung wurde zu deren eigentlichem Inhalt. Affektfernsehen nennt man das heute. „Kommt 'was Buntes?“ – in der philosophischen Schlichtheit dieser viel gestellten Abendbrot-Frage der frühen Siebziger lag bereits die ganze Wahrheit des Farbfernsehens. Und das von der ersten Sekunde an. Denn es begann mit einer kapitalen Fälschung.

Glaube nicht, was Du siehst, auch wenn es in Farbe ist!

Ein Techniker hatte durch voreiliges Umschalten jenen roten Knopf als Attrappe enttarnt, den Willy Brandt hoch feierlich zum Farbstart drücken sollte. So wurde der Knopfdruck selbst schon in Farbe übertragen und Brandt zum Statisten einer Inszenierung degradiert, die ihn eigentlich als Hauptdarsteller erscheinen lassen sollte. Sehen konnte das damals allerdings kaum jemand. Erst ein paar tausend Farbfernseher waren auf dem Markt. Aber im Grunde war damit die Unschuld der neuen Technik schon von Beginn an dahin und die erste wahre Botschaft des Farbfernsehen eine Warnung in eigener Sache: Glaube nicht, was Du siehst, auch wenn es in Farbe ist! Ein Satz, der seit dem ersten Medien-Krieg im Irak Anfang der Neunziger und angesichts dreidimensionaler Computerwelten von heute mit allem Recht zur Schulbuchweisheit geworden ist.

Dabei war der Schritt zur Farbe auf dem Bildschirm technisch gesehen nur ein kleiner. Jedenfalls wenn man bedenkt, welche großen Schritte das Medium in den folgenden 40 Jahren bis heute hinter sich bringen sollte. Aus der waschmaschinengroßen „Fernsehtruhe“ ist ein universell programmierbarer, weltweit und interaktiv vernetzter Automat geworden, den man mobil benutzen oder daheim an die Wand hängen kann. Längst ist der weit überwiegende Anteil aller Buntheit auf den Bildschirmen alles Mögliche, aber kein Abbild der Realität.

Mit Hilfe der Liveübertragung werden alle gleich

Umso besser aber wird die Realität abgebildet, die für das Fernsehen geschaffen wird. Anschaulich wurde das schon in der Eröffnungs-„Schau“ an jenem ersten deutschen Farbfernsehabend des 25. August 1967. Gegeben wurde „Der goldene Schuss“, mit Vico Torriani als neuem Moderator. Der „goldene Schuss“ war schon in Schwarzweiß die Speerspitze der Fernsehunterhaltung gewesen, weil erstmals im entscheidenden Moment nicht von einem allwissenden Moderator – wie noch früher im Radio – erklärt werden musste, was gerade geschah. Nun lockte das Live-TV des Farbfernsehzeitalters mit totaler

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Gleichheit, denn wie beim Fernsehfußball wusste jeder als erster Bescheid. Fernsehkameras konnten das „Geschehen“ allen sofort und gleichzeitig zeigen – der Schuss saß, oder eben nicht.


„Peter, den Bolzen!“ – dieser Satz ist das wenige, was im kollektiven Zuschauergedächtnis von Vico Torriani geblieben sein dürfte. Sehr viel mehr intellektuelle Präsenz – neben einer gehörigen Portion medialen Charismas – brauchte ein Moderator im Ereignis-Farbfernsehen der neuen Zeit nach 1967 auch nicht mehr. Den heraufziehenden Bedeutungsverlust des sinnstiftenden Wortes angesichts der neuen Sinnlichkeit des Fernsehens haben nur wenige der alten Radiopioniere – etwa Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff – längere Zeit überlebt.

Dass heute wieder viel – tatsächlich so viel wie nie – im Fernsehen geredet wird, steht dazu nicht im Widerspruch. Wenn gleichgültig geworden ist, was da geredet oder gesungen wird, taugt sogar der Medientext wieder als Gestaltungsmittel niedrigschwelliger Angebote – wie wir ja spätestens seit der Allgegenwart fremdsprachiger Unterhaltungsmusik seit Mitte der Sechziger Jahre wissen. Die ersten großen, massenhaft empfangenen Farbübertragungen der deutschen Fernsehgeschichte – Olympia 1972 und die Fußballweltmeisterschaft 1974 – bewiesen zudem: Ereignisse einerseits und die Berichterstattung über sie andererseits begannen zu einer sich selbst nährenden Ereignishaftigkeit neuer Art zu verschmelzen, zum Medienereignis – eine Art Wachtraum der technischen Moderne.

Bildschirmtext - ein Vorschein des Internets

Mit dem Einzug der Farbe ins Fernsehen wird der Diskurs aus dem Medium ausgetrieben, und der selbst zum Ereignis werdende Farbenzauber beginnt schnell auf alle Genres des Mediums durch zu schlagen. Neues gedacht, Unerhörtes formuliert wird zukünftig eher andernorts. Das Fernsehen gerät zur Repetiermaschine seiner selbst. „As seen on TV“ – „wie

im Fernsehen gezeigt“ –, diese Selbstreferenz wird zur Unterzeile vieler Werbebotschaften. Das Farbfernsehen schuf völlig neue Werbeformen und gebar so seine eigene Ikonographie der Augenblicksverständlichkeit. Es wurde somit selbst dabei zum absteigenden Kulturgut – aber nur um einer noch komplexeren, wieder erst einmal dem hochkulturellen Gebrauch vorbehaltenen Nachfolgetechnik die Rampe zu bieten.


Denn es war das zeitgleich mit der Verbreitung von Farbfernsehern in Deutschland allgemein verfügbare Instrument der Fernbedienung, das den frühen Schritt von der „Glotze“ zum interaktiv bedienbaren Farbterminal via Telefonrückleitung möglich werden ließ. Bildschirmtext (BTX) hieß diese lange unterschätzte und anfangs nur von Minderheiten tatsächlich sinnvoll zu handhabende Innovation aus dem Jahre 1983. Es war ein Vorschein des Internets, ein neues, damals noch ganz unvorstellbares Medium zu Gast im alten Fernsehen. Heute ist es umgekehrt. Das alte Medium (Fernsehen) ist Gast im neuen (Internet) geworden. Medienkonvergenz heißt das. Aus Zappern wurden Surfer. Die technische Ermächtigung des Zuschauers schreitet eben unaufhaltsam voran, seit der Zuschauer am 25. August 1967 zum ersten Mal den Bildschirm bunt drehen konnte.

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