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  3. EZB: Präsident Mario Draghi will Anleihekäufe beenden und Zinsen erhöhen

Geld Paradigmenwechsel bei der EZB

Draghi löst sich vom Diktat der europäischen Schuldenpolitik

„Diese Zinswende ist überfällig“

Die EZB kündigt eine Kurswende an. Die Währungshüter leiten ein Ende ihrer umstrittenen Anleihenkäufe zum Jahresende ein. Solvecon-Chefanalyst Folker Hellmeyer hält diese Entscheidung für überfällig.

Quelle: WELT/ Dietmar Deffner

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Nach Monaten des Zauderns hat der EZB-Präsident ein Ende der Anleihekäufe und der Nullzinsen in Aussicht gestellt. Daraufhin fiel der Euro deutlich. Eine Reaktion, die Draghi gerade gelegen kommt.

Größer hätte der Kontrast kaum sein können: Der kleine Raum, in dem EZB-Präsident Mario Draghi die Entscheidung der Euro-Währungshüter verkündete, hatte so gar nichts von der nüchternen Kargheit, mit der der große Konferenzsaal der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt seine Besucher empfängt. Stattdessen nahm Draghi bei der jährlichen Auslandspressekonferenz der Euro-Notenbanker im lettischen Riga in einem Raum Platz, der mit seinen goldenen Vorhängen und seinem Kronleuchter eher an einen kleinen Hotelkonferenzsaal oder ein winziges Theater erinnerte.

Und tatsächlich nutzte der EZB-Präsident die Bühne in Riga, um eine seiner wichtigsten Entscheidungen in seiner bisherigen Amtszeit bekannt zu geben. Die EZB wird das billionenschwere Anleihekaufprogramm zum Jahreswechsel auslaufen lassen und damit einen Paradigmenwechsel in der europäischen Geldpolitik einleiten. Drei Jahre und neun Monate nach seinem Start wird das umstrittene Kaufprogramm damit sein Ende finden.

Quelle: Infografik WELT

Mehr noch: Erstmals nannte Draghi auch einen konkreten Zeitpunkt, ab dem die EZB nach Jahren der Nullzinspolitik die Zinswende in Europa frühestens einläuten will. Mindestens bis zum Sommer 2019 dürften die Zinsen auf dem jetzigen Niveau bleiben. Draghi hatte stets eine klare Reihenfolge kommuniziert. Erst müsste das Anleihekaufprogramm beendet sein, bevor die Sätze angehoben werden.

Eine historische Entscheidung

Nun hat er nach Monaten des Zauderns beide Themen auf einen Schlag adressiert und damit ein weiteres Mal sein Geschick als Magier der Märkte unter Beweis gestellt. Trotz des angekündigten Geldentzugs reagierten die Märkte gelassen auf die Ankündigung. Die Aktienkurse stiegen kräftig, der Dax sprang wieder über die 13.000-Punkte-Marke. Die Renditen der lang laufenden Staatsanleihen fielen durch die Bank. Lediglich der Euro geriet kräftig unter Druck, weil die Euro-Zone unsicheren Zeiten entgegengeht, wenn die EZB ihre Liquiditätszufuhr demnächst stoppt. Die Gemeinschaftswährung wertete zum Dollar in der Spitze um 1,5 Prozent ab, es war der größte Verlust seit Oktober 2017.

Es handelt sich um eine historische Entscheidung. Die Währungshüter senden ein starkes Signal an die Politik, dass die Zeit der monetären Schützenhilfe durch Frankfurt zu Ende geht und die EZB nicht länger bereit ist, die Fliehkräfte in der Euro-Zone durch frisch gedrucktes Geld zu bändigen. Ab Oktober werden die monatlichen Anleihekäufe auf 15 Milliarden Euro halbiert, Ende Dezember soll ganz Schluss sein.

Quelle: Infografik WELT

Sollte sich das Umfeld nicht nennenswert eintrüben, könnte im kommenden September oder Oktober die erste Zinsanhebung seit sieben Jahren folgen. Draghi hätte dann auch das Kunststück fertiggebracht, doch noch einmal in seiner Amtszeit die Zinsen anzuheben. Seine Amtszeit endet im Oktober 2019.

„Krisenhafte Zuspitzung in Italien wird heruntergespielt“

Die politische Botschaft aus Riga scheint unmissverständlich. Der Anfang vom Ende der ultralockeren Geldpolitik ist auch die Aufforderung an die Politik, endlich Verantwortung zu übernehmen. „Die EZB stellt klar, dass sich die Mitgliedstaaten nicht dauerhaft auf die lockere Geldpolitik verlassen können“, sagte die Bonner Wirtschaftsweise Isabel Schnabel im Gespräch mit WELT.

Fraglich ist allerdings, wie glaubwürdig diese Botschaft angesichts der wachsenden Probleme in Italien sein kann. Danach befragt wiegelte Draghi in Riga ab. Die jüngsten Marktturbulenzen um Italien hätten auf der Zinssitzung keine große Rolle gespielt: „Die Diskussion war nicht von Bedeutung“, sagte er. Im Gegensatz zu den Jahren 2011 und 2012, als mehrere Länder ins Visier von Investoren geraten seien, habe es diesmal keine Ansteckungseffekte gegeben.

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Schnabel hält das für nicht überzeugend. „Die krisenhafte Zuspitzung in Italien wird heruntergespielt. Dabei ist klar, dass die EZB massiv einschreiten müsste, wenn die Situation in Italien eskalieren würde. Gerade deshalb betont Draghi die Bedeutung einer Vervollständigung der Banken- und Kapitalmarktunion“, sagte die Wirtschaftsweise weiter.

„Ein glaubwürdiges Signal gegeben“

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Dennoch fällt das Urteil insbesondere der deutschen Experten äußerst wohlmeinend aus. Viele begrüßen es, dass der EZB-Chef offensichtlich die Vereinnahmung durch die Politik leid hat. Brüssel, Berlin oder Rom hatten sich gut damit eingerichtet, dass die Währungshüter durch die Notenpresse die Probleme übertünchen. Immerhin kaufte die EZB Papiere im Gesamtvolumen von fast 2500 Milliarden Euro.

Quelle: Infografik WELT

„Der EZB-Rat hat den Einstieg in das Ende der Anleihenkäufe zu einem günstigen Zeitpunkt angekündigt“, sagt Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW. Vertreter der neuen italienischen Regierung hätten durch verschiedene Äußerungen zuletzt signalisiert, dass sie die Unterstützung der EZB für unverzichtbar mit Blick auf eine Lösung des italienischen Schuldenproblems hielten.

„In dieser Lage hat die EZB der Euro-Zone nun endlich ein glaubwürdiges Signal gegeben, dass sie sich nicht durch eine italienische Drohkulisse ihre geldpolitischen Entscheidungen diktieren lässt. Sonst hätte sich der Eindruck verdichtet, dass inzwischen die Fiskalpolitik die Geldpolitik vor sich hertreibt.“

Kursbewegung, die der EZB nur recht sein kann

Viele Finanzmarktauguren äußerten sich erstaunt darüber, wie detailliert die EZB ihre Pläne für die kommenden Monate offengelegt hat. „Die europäischen Währungshüter werden heute ungewöhnlich deutlich“, sagte Thomas Gitzel von der VP-Bank. Insbesondere die Aussage zu den Zinsen sei für die Notenbank „ungewöhnlich unverklausuliert“ – aus Sicht des Ökonomen ein geschickter Schachzug, um eine Aufwertung des Euro zu verhindern.

Quelle: Infografik WELT

Tatsächlich hatten viele Experten damit gerechnet, dass der Euro kräftig aufwertet, sollte die EZB Ernst machen und ein Enddatum für die Anleihekäufe verkünden. Dank seines Händchens für die Finanzmärkte gelang es Draghi, genau die gegenteilige Reaktion auszulösen. Weil der Zeitpunkt der ersten Euro-Zinserhöhung noch über ein Jahr in der Ferne liegt, die US-Notenbank aber weiterhin die Zügel strafft, wirkt sich das negativ auf den Euro aus.

Eine Kursbewegung, die der EZB in der gegenwärtigen Lage nur recht sein kann, weil es den europäischen Exporteuren preisliche Wettbewerbsvorteile auf den Weltmärkten verschafft und gleichzeitig über teurere Importpreise für Aufwärtsschwung bei den Preisen sorgt.

US-Notenbank Fed hebt Zinsen erneut an

Die US-Notenbank Federal Reserve setzt ihre Serie moderater Zinserhöhungen fort. Die Fed begründete den zweiten Zinsschritt in diesem Jahr mit der guten Lage der Konjunktur und des Arbeitsmarkts.

Quelle: WELT/Christin Brauer

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