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Immobilien Vergleich

Die Wahrheit über „Kaufen ist besser als mieten“

Wohnungen und Häuser werden immer teurer

Die deutschen Immobilienpreise explodieren und nehmen historische Ausmaße an. Für etwas „Eigenes“ müssen wir immer tiefer in die Tasche greifen. Wichtig dabei ist genügend Eigenkapital, mahnen Experten.

Quelle: Die Welt

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Wer eine Wohnung kauft, steht selbst in den Großstädten auf Dauer finanziell besser da als ein Mieter. Das besagt eine aktuelle Studie. Eine wichtige Zusatzbelastung wird dabei jedoch ausgeblendet.

Mieten oder Kaufen? Mit dieser Frage schlagen sich viele Bürger seit Jahren herum. Zuletzt erschien die Antwort recht einfach – zumindest in Ballungsgebieten: Angesichts der kräftigen Steigerung der Preise für Häuser und Eigentumswohnungen ging die Rechnung trotz niedriger Kreditzinsen für viele nicht mehr auf. Die monatliche Belastung für Zins und Tilgung übersteigen jedes normale Budget. Sie beantworteten die Frage deshalb für sich zunehmend mit Mieten.

Gegen diese weit verbreitete Sicht macht die Immobilienwirtschaft regelmäßig Stimmung, in diesem Fall der Wohnungsprivatisierer Accentro. Das Unternehmen, das vor allem in Berlin Käufer für Wohnungen sucht, beauftragte die Immobilienexperten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln mit einer Studie. Das Ergebnis widerspricht auf den ersten Blick tatsächlich der gängigen Meinung, dass Eigentum heutzutage in vielen Fällen bereits zu teuer geworden sei. „Bei einer gesamtdeutschen Betrachtung ist der Erwerb von Wohneigentum durchschnittlich rund 41 Prozent günstiger als Mieten“, sagte Studienautor Michael Voigtländer bei der Präsentation der Ergebnisse.

Quelle: Infografik Die Welt

In Hamburg und Berlin seien es mehr als 45 Prozent, in Stuttgart 35 Prozent, sogar im teuren München noch 34 Prozent. Selbst bei konservativer Betrachtung, wenn künftige Preissteigerungen bei Immobilien und Mieten nicht berücksichtigt werden, ist Kaufen laut Studie besser als Mieten: Der Vorteil liegt dann in den Großstädten zwischen 36 Prozent in Köln und sechs Prozent in München – immer unterstellt, dass der Käufer die Wohnung selbst nutzt.

Monatliche Tilgung nicht berücksichtigt

Insgesamt wurden die Mieten und Kaufkosten für 402 Kreise ausgewertet. Die Experten verglichen die durchschnittlichen Mietkosten pro Quadratmeter in den einzelnen Kreisen mit den durchschnittlichen Eigentümerkosten pro Quadratmeter. Darin enthalten ist der Zins, die Grunderwerbsteuer, Kosten für Instandsetzung, Abschreibungen und, je nach Rechnung, erwartete Wertveränderungen.

Ein wichtiger Punkt des gewählten Ansatzes ist: Die monatliche Tilgung wird nicht berücksichtigt. Voigtländer begründet das damit, dass der Käufer schließlich Eigentum bildet und damit etwas für seine Altersvorsorge macht. „Ansonsten hätten wir beim Mieter auch unterstellen müssen, dass er neben seiner monatlichen Miete zusätzlich etwas in seine Altersvorsorge investiert“, sagte der IW-Immobilienfachmann. Accentro-Vorstandschef Jacopo Mingazzini ergänzte: „In den meisten Kreisen können die Haushalte Wohneigentum kaufen und vollständig entschulden, ohne dass sie stärker belastet werden würden als Mieter.“

Theoretisch mag dieser Gedanke richtig sein, doch mit der Realität hat er wenig zu tun. Denn wegen der deutlich gestiegenen Kaufpreise haben sich auch die Tilgungsraten deutlich erhöht. De facto gibt es eben nicht nur den Zins, sondern auch eine Tilgung. Wer die Immobilie bis zum Rentenalter schuldenfrei haben will, muss entsprechend hohe Beträge zahlen, um den Kredit abzustottern. Die Einkommen der meisten Menschen haben sich allerdings nicht in dem Maße erhöht, sprich, viele überfordert deshalb die monatliche finanzielle Belastung aus Zins plus Tilgung. Zumal die Banken mindestens 20 Prozent Eigenkapital fordern. Auch da macht es einen Unterschied, ob die Wohnung 400.000 Euro oder 600.000 Euro kostet. Hinzu kommen außerdem die hohen Kaufnebenkosten von mehreren zehntausend Euro.

Eine vereinfachte Rechnung macht das deutlich: Angenommen, eine Wohnung kostet 400.000 Euro, der Kreditzins liegt bei zwei Prozent, die anfängliche Tilgung beträgt drei Prozent. Im Vergleich zu einer Wohnung, die jedes Jahr 12.000 Euro Miete kostet und in der der Mieter sein Geld mit einer Zwei-Prozent-Verzinsung anlegt, steht der Käufer rein rechnerisch zwar nach neun Jahren besser da als der Mieter. Doch er muss auch über viele Jahre hinweg eine De-facto-Mehrbelastung von rund 9000 Euro im Jahr für den Schuldendienst aufbringen.

Quelle: Infografik Die Welt

Aus noch einem Grund ist der alte Leitspruch „Was Sie für Miete ausgeben, können Sie auch der Bank geben“ in vielen Fällen nicht mehr gültig. Denn die Preise für Wohnungen und Häuser und damit auch die Kosten für Käufer steigen weitaus schneller als die Mieten – selbst in bei Mietern gefragten Großstädten. Das Marktforschungsunternehmen F+B ermittelt jedes Quartal durchschnittliche Miet- und Kaufpreise und beobachtet schon seit Jahren, wie Kauf- und Mietpreise auseinander driften.

So war es auch im dritten Quartal dieses Jahres. Mieten in bestehenden Wohnungen seien im Vergleich zum Vorquartal nur um 0,3 Prozent gestiegen – ein Wert, der sogar noch unterhalb der allgemeinen Inflation lag. Für neu gebaute Wohnungen stiegen die Mieten um 0,6 Prozent. Ganz anders jedoch die Entwicklung bei Kauf-Immobilien: Eigentumswohnungen haben sich F+B zufolge von Juli bis September 2016 um 2,2 Prozent verteuert, Einfamilienhäuser um 1,8 Prozent.

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Noch deutlicher wird der Preisgalopp beim Vergleich zum Vorjahresquartal. Binnen Jahresfrist verteuerten sich Eigentumswohnungen um 7,1 Prozent. Innerhalb der letzten fünf Jahre lag der Preisanstieg sogar bei 31,1 Prozent. Neuvertragsmieten hätten sich dagegen um nur rund zehn Prozent verteuert.

Das bedeutet: Die Kosten für Käufer steigen immer weiter und auch schneller als die Kosten für Mieter. Das liegt auch daran, dass Käufer nicht nur in Konkurrenz zu anderen Käufern stehen, die eine Wohnung selbst nutzen kaufen möchten – sondern auch mit Kapitalanlegern konkurrieren, die angesichts der niedrigen Zinsen ihr Geld auf dem Wohnungsmarkt anlegen oder einfach nur parken wollen. Mieter dagegen konkurrieren „nur“ mit anderen Mietern und können über kurz oder lang auch nicht mehr bezahlen als ihre eigene Kaufkraft hergibt.

Weiterer Unsicherheitsfaktor ist die künftige Zinsentwicklung. Zwar lässt sich die Wohnung oder das Haus heute problemlos zu einem Zinssatz von 1,8 Prozent finanzieren. Doch zu welchem Zinssatz gelingt in zehn Jahren die Anschlussfinanzierung? Das ist die bange Frage, die sich viele Immobilienbesitzer stellen. Auch dies haben sich die Autoren der IW-Studie angeschaut – und auch hier geben sie Entwarnung. „In vielen Kreisen kann der Zins deutlich gegenüber dem heutigen Zins steigen, ohne dass sich eine Mehrbelastung für den Käufer ergibt“, sagt Voigtländer. In 325 Kreisen liege der sogenannte finanzierungsneutrale Zins bei mehr als vier Prozent, in 280 Kreisen sogar bei mehr als fünf Prozent.

Quelle: Infografik Die Welt

In den meisten großen Städten liegt er immerhin mindestens bei drei Prozent. Nur Hamburg mit 2,6 Prozent und vor allem München mit 0,8 Prozent liegen darunter. Die bayerische Landeshauptstadt und einige Kreise in der Umgebung sind laut Studie denn auch die einzigen Gegenden in Deutschland, wo Kaufen schon bei kleineren Zinserhöhungen hinter Mieten zurückfällt.

Studien-Auftraggeber Mingazzini zeigte sich ob der Ergebnisse erwartungsgemäß zufrieden. Er sprach von einer historischen Chance, die Deutschland gerade verspiele: nämlich die Menschen in Wohneigentum zu bringen. Statt die Vorteile des Eigentums gerade mit Blick auf die Altersvorsorge in den Mittelpunkt zu stellen, werde auch von der Politik wegen der steigenden Immobilienpreise eine Panikstimmung erzeugt, die so nicht gerechtfertigt sei. Die Kaufzurückhaltung vieler Menschen ist aus seiner Sicht psychologisch zu begründen, nicht faktisch.

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