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Geschichte Kuba-Krise, 4. Tag

„Wir sollten diesen Hurensohn Castro kaltmachen“

Am 19. Oktober 1962 beginnt der US-Präsident eine kurze Wahlkampfreise. Hinter seinem Rücken debattieren seine führenden Generäle, wie sie die Freigabe zum Militärschlag gegen Kuba erwirken können.
Leitender Redakteur Geschichte

Ruhe bewahren ist das beste Rezept, wenn es hart auf hart kommt. Das weiß auch John F. Kennedy. Seit Wochen schon steht fest, dass er an diesem verlängerten Wochenende zu einer Reise durch sieben Staaten aufbrechen will, um demokratische Bewerber bei den Kongresswahlen am 6. November 1962 zu unterstützen. Diese Tour abzusagen kommt nicht in Frage.

Vor dem Abflug nach Cleveland (US-Bundesstaat Ohio) allerdings will sich der Präsident noch einmal auf den neuesten Stand bringen lassen und bestellt seine wichtigsten Militärs ins Oval Office. Und er schaltet seine versteckte Abhöranlage ein.

"Lassen Sie mich zunächst erklären, wie sich das Problem für mich darstellt", beginnt Kennedy das Gespräch: "Zunächst einmal sollten wir darüber nachdenken, warum die Russen das überhaupt getan haben." Für die UdSSR sei die Stationierung von Atomwaffen auf Kuba ein "ziemlich gefährliches, aber auch ziemlich nützliches" Spiel.

Freie Bahn für Berlin

"Wenn wir nichts tun, haben sie dort eine Raketenbasis. Auf diese Weise können sie Druck auf die USA ausüben können." Entsprechend groß wäre der Prestigeverlust für die westliche Supermacht. Doch die Alternative sei kaum besser: "Wenn wir die Raketen oder Kuba irgendwie angreifen, haben sie freie Bahn, sich Berlin zu nehmen."

Ähnlich hatten die Sowjets schon 1956 agiert, als Großbritannien in den Krieg um den Suez-Kanal eingriff. Damals besetzte die Rote Armee Ungarn und schlug den antikommunistischen Volksaufstand brutal nieder – ohne dass die westliche Welt eingreifen konnte.

Die Folgen wären ebenfalls verheerend: "Wir würden dann als schießwütige Amerikaner darstellen, die Berlin verloren haben. Wir hätten keine Unterstützung mehr von unseren Verbündeten und wir würden die Westdeutschen gegen uns aufbringen." Denn dann käme der Eindruck auf, die USA hätten Berlin im Stich gelassen und nicht den "Mumm" gehabt, die Lage auf Kuba anders zu lösen.

"Wir haben keine andere Möglichkeit"

Diese Argumentation kann nicht einmal Kennedys gerade erst ernannter oberster militärischer Berater nachvollziehen: "Mr. President, wir alle denken, dass unsere Stärke in Berlin und an jedem beliebigen Ort der Welt abhängig ist von der Glaubwürdigkeit, mit der wir unter bestimmten Bedingungen reagieren", beginnt General Maxwell Taylor, der Vorsitzende der Stabschefs: "Wir setzen diese Glaubwürdigkeit aufs Spiel, wenn wir nicht auf Kuba eingreifen."

Schärfer formuliert Luftwaffen-Chef Curtis LeMay: "Wir haben gar keine andere Möglichkeit als eine direkte militärische Aktion." Wenn die Sowjets erst einmal wüssten, dass die USA Kenntnis von den Atomwaffen haben, würden sie "im Wald verschwinden". Damit stiege das Risiko enorm.

Der vom "ExComm" vorgeschlagene Weg sei keine Lösung: "Eine Blockade und politische Verhandlungen führen meiner Ansicht nach direkt zum Krieg." Und LeMay greift zur rhetorischen Keule: "Das ist fast so schlimm wieder Appeasement In München."

Erinnerung an München 1938

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Alle Männer im Oval Office wissen, dass Kennedys Vater Joseph als US-Botschafter in London zu den Hauptbefürwortern des Münchner Abkommens mit Hitler 1938 gehört hatte. Die Anspielung ist deshalb eine grobe Unhöflichkeit, eigentlich sogar eine Beleidigung.

Kennedy steckt sie jedoch weg, ohne ein Wort zu verlieren. Falls LeMay ihn provozieren wollte, ist das misslungen. Also legt der Luftwaffen-General nach, diesmal offen ungehörig: "Mit anderen Worten – Sie stecken ziemlich übel in der Klemme, Mr. President!"

Darauf muss der Oberbefehlshaber reagieren: "Was haben Sie gesagt?", fragt er scharf nach. Als LeMay seine Bemerkung wörtlich wiederholt, gibt Kennedy schlagfertig zurück: "Sie stecken mit mir zusammen drin." Das Gelächter im Oval Office überdeckt nur scheinbar, dass der General seine Befugnisse massiv überschritten hat.

"Wenn wir Castro kaltmachen …"

Kennedy verlässt sein Büro, um seine Wahlkampftour zu beginnen, ebenso Taylor und Verteidigungsminister McNamara. LeMay und zwei weitere Generäle bleiben noch einen Moment zurück. Sie wissen nicht, dass ihr Gespräch weiter aufgezeichnet wird. Und so sprechen sie ihren Ärger über Kennedy ganz offen aus.

"Jemand muss ihn davon abbringen, sonst geht dieser verdammte Mist immer so weiter", sagt General David Shoup, der Stabschef des Marine-Corps: "Warum kann er nicht sagen, dass wir den Hurensohn erledigen sollen, statt immer nur herumzusülzen?"

Sein Kollege von der Army, Earl Wheeler, beschwert sich: "Ich habe gleich herausgehört, dass er auf die Blockade und eine politische Lösung hinaus will." Doch zugleich schwante dem General: "Wenn wir Castro kaltmachen, macht Chruschtschow Willy Brandt kalt."

Der Präsident erfährt von diesem Wortwechsel nichts; das Tonband hört er niemals ab. Ohnehin beschäftigen ihn jetzt andere Sorgen: Er muss den Anhängern der Demokratischen Partei eine gute Show bieten, um sie für den Endspurt im Wahlkampf zu motivieren. Und sich gleichzeitig nicht anmerken lassen, was sich Übles zusammenbraut in der Weltpolitik.

Gedenkminute am Grabmal Abraham Lincolns

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Zu seinem Programm gehört, dass er das Grab von Abraham Lincoln in Springfield (US-Bundesstaat Illinois) besucht und dort eine Gedenkminute einlegt. In dem aufwendigen Marmor-Denkmal kann John F. Kennedy Kraft sammeln für die kommenden Tage und die schweren Entscheidungen, die er treffen muss.

Doch darüber spricht er mit niemandem, nicht einmal mit seinem Bruder, der mehrfach anruft und ihn auf dem Laufenden hält. Noch geht der Präsident davon aus, am Sonntagnachmittag nach Washington zurückzukehren. Er hat noch viele Wahlkampftermine vor sich und spielt dabei eine Ruhe vor, die er selbst nicht empfindet.

Am Samstag: Eine politisch willkommene Erkältung

Was bisher geschah:

Tag 1: Die Luftbilder, die den Atomkrieg provozierten

Tag 2: Präsident Kennedy will Weichei-Image loswerden

Tag 3: Die Lüge des sowjetischen Außenministers Gromyko

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