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Geschichte Ukraine-Krise

Was eine militärische „Mobilisierung“ bedeutet

Schon die Stadtstaaten der Antike machten vor drohenden Kriegen mobil. Aber erst für die Massenheere der Französischen Revolution wurden Gesellschaften mobilisiert – wie jetzt in der Ukraine.
Leitender Redakteur Geschichte

Vor dem Krieg kommt die Mobilmachung. So ist es jedenfalls im vergangenen Vierteljahrtausend fast immer gewesen. Zwar führt nicht jede Mobilmachung automatisch zum Krieg, aber das Risiko steigt doch erheblich.

Das zeigt sich, wenn man genau einhundert Jahre zurückschaut. Am Ende der Juli-Krise 1914 machten nacheinander erst Österreich-Ungarn und Serbien, dann Russland, Deutschland und schließlich Frankreich mobil. Nach teilweise ausgeklügelten Plänen wurden Millionen ehemalige Wehrpflichtige aufgerufen, sich in den Kasernen ihrer Stammeinheiten einzufinden.

Damit kam eine Dynamik in Gang, die wesentlich zur Eskalation des politischen Konflikts zum Weltkrieg beitrug: Da jede Macht sich sorgte, das mobilisierte Heer des potenziellen Gegners könnte einen Überraschungsangriff starten, wurden entsprechende Gegenmaßnahmen verhängt.

Auf die Teilmobilmachung Russlands am 29. Juli 1914 hin leitete der Große Generalstab in Berlin entsprechende Maßnahmen des deutschen Heeres ein. Darauf antwortete Russland mit der eigenen Generalmobilmachung.

Nun erklärte Kaiser Wilhelm II. den „Zustand drohender Kriegsgefahr“, de facto gleichbedeutend mit dem Mobilmachungsbefehl, und einen Tag später, am 1. August, folgte die Kriegserklärung an das Zarenreich.

Söldnertruppen werden nicht mobilisiert

Mobilmachungen sind ein Phänomen, das es nur in Epochen mit Heeren aus Wehrpflichtigen gibt. Söldnertruppen werden nicht mobil gemacht, sondern angeworben, und stehende Heere aus Berufssoldaten sollten prinzipiell immer einsatzbereit sein.

Trotzdem gibt es das Phänomen Mobilmachung nicht erst in der Neuzeit. Schon die Bürgerheere der griechischen Stadtstaaten im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. wurden im Konfliktfall mobil gemacht. Auch in der Römischen Republik gab es Mobilmachungen, wenn militärische Auseinandersetzungen drohten.

Doch in der Antike hatten solche Weisungen noch einen rein technischen Charakter, verschärften also Konflikte nicht zusätzlich. Das lag schon an der langsamen Kommunikation: Keine Nachricht war schneller als der berittene Bote, der sie transportierte.

Ähnlich war es auch im Mittelalter, in dem für größere Feldzüge durchaus Bauern als Fußsoldaten die Ritterheere des Adels verstärkten. Auch wenn es technisch also um den gleichen Vorgang der Aushebung von Soldaten für einen Konflikt ging, war die Mobilmachung bis zum 18. Jahrhundert doch etwas ganz anderes als seither.

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Zwar ordnete auch Preußens König Friedrich II. nach der Niederlage seines Heeres bei Kunersdorf 1759 die Mobilmachung der gesamten Bevölkerung Preußens an, doch das blieb zum einen eine Episode, zum anderen wurde der Befehl keineswegs flächendeckend umgesetzt.

Mit den Massenheeren in den Revolutionskriegen nach 1789 änderte sich das. Die „Levée en masse“, faktisch die Einführung der Wehrpflicht, veränderte die Kräfteverhältnisse auf Europas Schlachtfeldern von Grund auf. Aus Kabinetts- wurden Volkskriege, mit Millionen Soldaten und Hunderttausenden Toten.

Zwei von drei Südstaatlern

Das Königreich Preußen mobilisierte 1813 fast zehn Prozent seiner Gesamtbevölkerung. Weil aber natürlich nur kräftige, meist jüngere Männer für den Kriegsdienst geeignet waren, bedeutete das: Mehr als die Hälfte, vielleicht sogar knapp zwei Drittel, der überhaupt Wehrfähigen standen unter Waffen.

Noch etwas höher war die Quote im Amerikanischen Bürgerkrieg 1861 bis 1865: Historiker gehen von elf Prozent der Gesamtbevölkerung aus, wobei der Anteil in den Südstaaten wohl noch deutlich darüberlag. Das bedeutete: Um 1864 trug jeder zweite wehrfähige Mann aus den Nordstaaten die Uniform und sogar zwei von drei Südstaatlern. Allerdings gab es zahlreiche Möglichkeiten, sich der Einziehung zu entziehen, etwa indem man einen Ersatzmann stellte oder eine bestimmte Summe bezahlte.

Die folgenden Kriege bis 1914 brachten zwar jeweils auch Mobilmachungen von Reservisten, waren aber dennoch schnell geschlagen. Das galt für den Deutsch-Dänischen Krieg 1864, den Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 und den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Er war im Wesentlichen schon nach sechs Wochen mit der Niederlage Napoleons III. bei Sedan entschieden.

Aus diesem vermeintlichen Erfahrungswert speiste sich die Erwartung im Jahr 1914, mit rasch mobilisierten Massenheeren und einer auf den Krieg eingeschworenen Bevölkerung könne jeder Konflikt rasch entschieden werden. Doch das erwies sich als Trugschluss. Die neuen Waffen, auf allen Seiten eingeführt, ließen vor einhundert Jahren die Verteidigung leichter werden als den Angriff. Die Folge, neben gewaltigen Verlusten an Menschenleben und unzähligen Versehrten, waren das Erstarren der Front im Westen und der Grabenkrieg.

Die Teilmobilisierung der Ukraine muss nicht der Beginn eines Krieges mit Putins Russland sein. Doch die Gefahr einer solchen Eskalation ist damit weiter gestiegen.

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