WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Geschichte
  3. Nach Münchner Räterepublik: Den Kommunisten folgte die „Preußenhetze“

Geschichte Münchner Räterepublik

Den Kommunisten folgte „ganz bedenkliche Preußenhetze“

Nach der Niederschlagung der Räterepublik jagten Regierungstruppen und Freikorps deren Anführer. Die Münchner standen den Siegern allerdings skeptisch gegenüber – aber nicht wegen der Verbrechen.
Leitender Redakteur Geschichte
Linke Intellektuelle übernehmen die Macht in München

Am 7. April 1919 wurde vom Zentralrat der bayerischen Republik und dem Revolutionären Arbeiterrat in München die bayerische Räterepublik ausgerufen. Die Reichsregierung mobilisierte daraufhin ihre Militärs.

Quelle: WELT

Autoplay

Als es vorbei war, verbreitete sich Erleichterung. Aber auch Entsetzen. Nachdem am 1. und 2. Mai 1919 blutige Straßenkämpfe in Münchens Innenstadt getobt hatten, zum Beispiel am Karlsplatz um den Stachus-Kiosk, aber auch in Arbeitervierteln wie Giesing, Haidhausen und Sendling, waren fast 500 Menschen tot.

Etwa 140 Anhänger der Räterepublik und mindestens 335 Zivilisten fielen den Kämpfen zum Opfer, außerdem Dutzende Männer der Regierungstruppen. Doch auch nach dem Ende des Bolschewismus in München ging die Gewalt weiter. Vor allem Trupps aus Freikorpsmitgliedern zogen durch die Stadt, verhafteten echte oder angebliche Revolutionäre und verschleppten sie; in mehr als 100 Fällen wurden die Festgenommenen einfach massakriert.

Auf die Anführer wurde gezielt Jagd gemacht. Rudolf Egelhofer, der „Stadtkommandant“ der Räterepublik und Kommandeur der „Roten Armee“, war schon am 1. Mai in seinem Versteck entdeckt worden. Man verschleppte ihn in die Münchner Residenz und erschoss den 23-Jährigen dort zwei Tage später.

Gustav Landauer auf dem Weg ins Gefängnis, einen Tag vor seiner Ermordung am 2. Mai 1919
Gustav Landauer auf dem Weg ins Gefängnis kurz vor seiner Ermordung am 2. Mai 1919
Quelle: IISG Bg A8/125

Württembergische Soldaten arrestierten in der Nacht zum 2. Mai den Schriftsteller Gustav Landauer. Freunde hatten ihn zuvor bedrängt, München zu verlassen. Doch Landauer war unsicher; mal stimmte er zu, über den Bodensee in die Schweiz zu fliehen, mal bat er seine Töchter, zu ihm zu kommen. Am Ende war der hochgewachsene Intellektuelle in München geblieben, wurde von einem Denunzianten verraten und Stunden später bei seiner Einlieferung ins Gefängnis Stadelheim grausam umgebracht.

Ein weiterer Intellektueller, Erich Mühsam, hatte das Glück, bereits am Palmsonntag 1919 in die Hände der regierungstreuen Soldaten gefallen zu sein. Er saß seitdem im Gefängnis, und hier drohte ihm keine Gefahr von marodierenden, aufgeputschten Freikorpsmännern.

Erfolgreich untertauchen konnte zunächst der Kopf der ersten, nicht einmal eine Woche amtierenden Räterepublik, Ernst Toller. Fünf Wochen lang versteckte er sich bei verschiedenen Bekannten, darunter der Schauspielerin Tilla Durieux. Schließlich wurde Toller am 4. Juni 1919 in der Wohnung eines Malers in Schwabing verhaftet.

Illustration from the book GERMANY 1918-1933 Revolution counter-revolution and the rise of Hitler by Simon Taylor - Page 31 - Eugen Levine. Born in 1883 in St Petersberg (Leningrad) he was educted at boarding school in Germany. He took part in the Russian Revolution of 1905, was arrested, imprisoned and finally exiled to Siberia where he worked in a lead mine. He escaped from Russia, and later studied economics at Heidelberg university. After serving in the German armed forces during the war, he worked in the Rheinland and Upper Silesia, before being sent to Munich by the Berlin Communist Party after Eisner's murder. A brilliant organiser and inspiration to those around him, Levine was often torn by self-doubt and lacked the ruthlessness required of a successful revolutionary leader. - Germany / Mono Book Illustration |
Eugen Leviné gehörte zu den Köpfen der Münchner Räterepublik
Quelle: picture-alliance / United Archiv

Damit hatte er Glück. Tollers Prozess fand erst Mitte Juli 1919 statt, als sich die Stimmung in München wieder weitgehend beruhigt hatte. Außerdem fand er angesehene Unterstützer, zum Beispiel den Soziologen Max Weber, der seinen früheren Studenten als Gesinnungsethiker beschrieb.

Eugen Leviné hatte keinen solchen Fürsprecher gehabt. Im Gegensatz zum Schriftsteller Toller war er auch Berufsrevolutionär und Bolschewist, der von der KPD eigens aus Berlin nach München geschickt wurde, um dort Rabatz zu machen. Wie sein Urteil ausgesehen hätte, wenn er ebenfalls im Juli vor Gericht gestanden hätte, muss offen bleiben. Denn Leviné war am 13. Mai 1919 verhaftet worden, wurde Anfang Juni zum Tode verurteilt und am folgenden Morgen exekutiert.

Erfolgreich untertauchen konnten die neben Egelhofer und Leviné anderen Köpfe der kommunistischen Räterepublik. Sie entkamen damit den „weißen“ Truppen, wie die antibolschewistischen Einheiten und Freikorps auch in Oberbayern zusammenfassend genannt wurden.

Max levien, KP-Chef von Bayern 1919
Max Levien war der KPD-Chef von Bayern 1919
Quelle: Public Domain
Anzeige

Der in Moskau geborene Deutsche Max Levien schlug sich nach Wien durch, wurde aber dort verhaftet. Bayerns Justiz verlangte, dass er ausgeliefert werde. Doch nach längeren Verhandlungen lehnte die österreichische Regierung ab. Nach anderthalb Jahren in Haft kam Levien frei und zog nach Moskau, wo er zunächst für die Komintern arbeitete und bis 1936 als Professor für Geschichte an der Moskauer Universität lehrte.

Auch Willi Budich, der dritte KPD-Mann im fünfköpfigen „Vollzugsrat“ der zweiten Räterepublik, vermochte zunächst zu flüchten, wie Levien nach Wien. Ihm gelang es, anschließend in die Sowjetunion zu kommen; dort wurde er persönlich noch von Lenin empfangen. Budich blieb Berufsrevolutionär: 1921 kehrte er illegal nach Deutschland zurück und organisierte verdeckt den KPD-Oberbezirk Nord-Ost. Im Frühjahr 1922 flüchtete Budich erneut in die Sowjetunion.

Ein Schützenpanzerwagen der Regierungstruppen am Münchner Rathaus Anfang Mai 1919 (Postkarte)
Ein Schützenpanzerwagen der Regierungstruppen am Münchner Rathaus Anfang Mai 1919 (Postkarte)
Quelle: Public Domain

Da der Haftbefehl von 1919 aufgehoben worden war, konnte Budich im Dezember 1929 nach Deutschland zurückkehren und übernahm unter seinem echten Namen verschiedene Funktionen bei der KPD. Im Frühjahr 1933 verschleppten die Nazis ihn ins Berliner KZ Columbiahaus, aber nach internationalem Druck wurde er entlassen. Fortan lebte er in Moskau.

Doch beide, Budich wie Levien, gerieten in den „Großen Terror“ Stalins. Sie wurden 1936 verhaftet. Levien erhielt zunächst fünf Jahre Arbeitslager, aber am 16. Juni 1937 verschärfte das „Gericht“ die Strafe: Hinrichtung. Binnen Stunden wurde der Revolutionär erschossen. Auch Willi Budich wurde in Moskau zum Tode verurteilt, am 22. März 1938, und am gleichen Tag erschossen.

Ein bewaffneter Trupp in bayerischer Tracht während der Revolutionswirren nach dem Ersten Weltkrieg 1919 in München. Am 7. April 1919 wurde in München die Räterepublik ausgerufen. |
Ein bewaffneter Trupp in bayerischer Tracht Anfang Mai 1919 in München
Quelle: picture-alliance / dpa

In Deutschland bekam niemand etwas mit vom brutalen Ende der beiden Kommunisten. Die Räterepublik war binnen weniger Wochen nach ihrem Ende zum Propagandathema völkischer und anderer rechtsextremer Gruppen zusammengeschrumpft.

Parallel damit hatte bei den eigentlich selbstbewussten Oberbayern ein altbekanntes Feindbild die Oberhand gewonnen: „Wegen des Einschreitens preußischer Truppen macht sich schon wieder eine ganz bedenkliche Preußenhetze bemerkbar“, berichtet Württembergs Gesandter in München, Carl Moser von Filseck, nach Stuttgart – selbst unter konservativ gesinnten Arbeitern und Handwerkern.

Ein Grund dafür war wohl die verbreitete Scham, die Herrschaft der Rätekommunisten nicht selbst abgeschüttelt zu haben. Dazu hatte München der Unterstützung aus der Reichshauptstadt bedurft.

Anzeige

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Dieser Artikel wurde erstmals im Mai 2019 veröffentlicht.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema