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Geschichte Glienicker Brücke 1985

„Wer jetzt abhaut, der wird erschossen“, sagte der Stasi-Mann

Auf der Havelbrücke zwischen Berlin und Potsdam trafen im Juni 1985 Geheimdienstler aus Ost und West bei einer geheimen Großaktion aufeinander. Vier hochrangige Sowjet-Spione wurden gegen 23 CIA-Agenten ausgetauscht.
Die Geschichte des Kalten Krieges

Der Kalte Krieg tobte mehr als 40 Jahre zwischen den Supermächten. Zwar wurde der „Krieg“ nie erklärt, dennoch war diese Zeit mit spannungsreichen Konflikten übersäht, die beinah zum dritten Weltkrieg geführt hätten.

Quelle: WELT/Stefan Wittmann

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Wer heute in dieser Gegend unterwegs ist, kann sich kaum mehr vorstellen, früher oder später an einen neuralgischen Punkt des Kalten Kriegs zu kommen. Die Glienicker Brücke über der Havel verbindet ein sattgrünes Waldgebiet im Südwesten Berlins mit Potsdam, wo noch überall das Preußentum im Stadtbild grüßt. Viele Hauptstädter zieht es besonders am Wochenende zu einem Spaziergang hierher, sie überqueren das Bauwerk völlig selbstverständlich.

Daran, dass dies schon recht bald möglich sein würde, war am 11. Juni 1985 noch nicht zu denken. An diesem Sommertag hatten sich auf der 148 Meter langen Brücke Dutzende Geheimdienstler, Grenzer und Regierungsbeamte versammelt, Ost und West standen sich direkt gegenüber. Berlin war noch immer die Stadt der Spione und die Grenze an diesem Tag Schauplatz des größten Agentenaustauschs aller Zeiten: 23 CIA-Agenten und vier Ost-Spione kehrten zurück in ihre Heimat.

Der Alliierte Grenzübergang Glienicker Brücke zwischen West- und Ost-Berlin im Jahr 1986. Die Brücke diente lange Jahre als Schauplatz für den Austausch von Agenten zwischen Ost und West. | Verwendung weltweit
Die Glienicker Brücke über die Havel trennte West-Berlin von Potsdam
Quelle: picture-alliance / dpa

Man hatte Erfahrung mit diesem Ort: Schon am 10. Februar 1962 wurden hier die Spione Rudolf Iwanowitsch Abel und Francis Gary Powers ausgetauscht. Der Amerikaner war 1960 bei einem Flug über sowjetisches Territorium in der Nähe von Swerdlowsk abgeschossen worden – der Fall inspirierte den Regisseur Steven Spielberg 2015 zu dem Film „Bridge Of Spies“.

Dass der 11. Juni 1985 kein normaler Tag werden würde, merkten um zehn Uhr morgens die Bauarbeiter auf der Berliner Seite, die hier die Straße ausbesserten: US-Agenten nahmen die Brücke in Beschlag und schickten die Arbeiter – „Wat is’n hier los?“ – ohne Erklärung nach Hause. Die vier Agenten, die um 12 Uhr an der Westseite in einem Chevrolet-Kastenwagen eintrafen, waren bedeutend: Marian Zacharski hatte als polnischer Geheimdienstoffizier den Auftrag gehabt, in seiner Rolle als polnischer Exportunternehmer Rüstungspläne der USA auszukundschaften. 1981 war er zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Der Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel (M) und der designierte US-Botschafter in Deutschland, Richard Burt (r) während des Austausches. Person links nicht identifiziert. Am alliierten Grenzübergang Glienicker Brücke in Berlin findet am 11.06.1985 der größte Agentenaustausch zwischen Ost und West seit 1945 statt. Vier in den USA verurteilte Agenten wurden gegen insgesamt 25 Mitarbeiter amerikanischer Nachrichtendienste ausgetauscht. Ein Fernsehteam der "Tagesschau" filmte den Austausch. (Screenshot) |
DDR-Anwalt Wolfgang Vogel (M.) und der designierte US-Botschafter in Deutschland, Richard Burt (r.) während des Austausches
Quelle: picture alliance / ARD/Tagesscha

Der ehemalige Handelsattaché an der bulgarischen Botschaft in Washington, Penju Kostadinov, war im September 1983 aufgeflogen, als er sich von einem V-Mann des FBI angeblich vertrauliche Regierungsdokumente hatte aushändigen lassen. Dazu kam der DDR-Physiker Alfred Zehe, der während einer Gastprofessur in Mexiko geheime Unterlagen der US-Marine nach Ost-Berlin geliefert hatte. Er war 1983 er bei einer Tagung in Boston verhaftet und im April 1985 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Vierte war Alice Michelson – die DDR-Bürgerin hatte als Kurier für den sowjetischen Geheimdienst KGB gearbeitet, bis sie 1984 auf dem New Yorker JFK festgenommen worden war.

Dem Kastenwagen fuhren zwei Mercedes-Benz-Limousinen voraus. In der ersten saß Richard Burt, der künftige US-Botschafter in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, in der zweiten, einem goldenen Modell, ließ sich der Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel von seiner Frau zum Ort des Geschehens chauffieren.

Freigelassene amerikanische Nachrichtendienst-Mitarbeiter werden zu einem wartenden Bus geleitet. Am Alliierten Grenzübergang Glienicker Brücke in Berlin fand am 11.6.1985 der bislang größte Agentenaustausch zwischen Ost und West seit 1945 statt. Vier in den USA verurteilte Ost-Agenten wurden gegen insgesamt 25 Mitarbeiter amerikanischer Nachrichtendienste ausgetauscht. Ein Fernsehteam der ARD-"Tagesschau" filmte den Austausch auf der Glienicker Brücke, deren Mitte die Grenze zwischen dem Westberliner Stadtteil Wannsee und dem DDR-Bezirk Potsdam bildet. | Verwendung weltweit
Freigelassene US-Agenten werden zu einem wartenden Bus geleitet
Quelle: picture-alliance / dpa

Die Ost-Spione waren am frühen Morgen des 11. Juni 1985 auf dem West-Berliner Flughafen Tempelhof gelandet. Der Historiker Norbert Pötzl schreibt, die vier seien in einem Raum des Flughafengebäudes mit Handschellen in eigens gezimmerten Einzelkabinen angekettet gewesen, als sie um 10 Uhr morgens Vogel vorgeführt wurden, damit der Unterhändler sie habe identifizieren können. Vogel soll sich entsetzt gegeben haben, der amerikanische Haftbefehl sei aber erst an der Brücke außer Vollzug gesetzt worden.

Aus Potsdam rollte um 12 Uhr ein Bus auf die Glienicker Brücke und stellte sich quer, sodass er die Fahrbahn blockierte. 23 CIA-Spione stiegen aus. Sie hatten die letzten Tage im Stasi-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) verbracht. Es handelte sich vor allem um DDR-Bürger, aber auch sechs Polen und einen Österreicher. Viele waren bereits seit Jahren in Haft, obwohl sie bestimmt nicht zu den Top-Leuten des Geheimdienstes zählten.

ARCHIV - Die vier in den USA verurteilten Ost-Spione verlassen am 11.06.1985 einen amerikanischen Bus. Am Alliierten Grenzübergang Glienicker Brücke in Berlin fand am 11.6.1985 der bislang größte Agentenaustausch zwischen Ost und West seit 1945 statt. Vier in den USA verurteilte Ost-Agenten wurden gegen insgesamt 25 Mitarbeiter amerikanischer Nachrichtendienste ausgetauscht. Ein Fernsehteam der ARD-"Tagesschau" filmte den Austausch auf der Glienicker Brücke, deren Mitte die Grenze zwischen dem Westberliner Stadtteil Wannsee und dem DDR-Bezirk Potsdam bildet. dpa (zu dpa 4309 vom 08.07.2010 - nur s/w) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Auf der Glienicker Brücke am 11. Juni 1985: Vier in den USA verurteilte Ost-Spione verlassen den amerikanischen Bus
Quelle: picture alliance / dpa

Unter den 23 befand sich auch Eberhard Fätkenheuer, der seine Erlebnisse 2011 in dem Buch „Die Brücke in die Freiheit“ schilderte. Er hatte sich 1975 in Prag von einem österreichischen Bekannten anwerben lassen, bekam einen Crashkurs in Ungarn – aber in wichtige Aktionen wurde er nicht einbezogen. 1978 beendete er seine Tätigkeit mit dem Einverständnis der Amerikaner, 1979 nahm ihn die Stasi fest.

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Den 11. Juni 1985 erlebte er wie in Trance: „Meine Habseligkeiten waren alle in einer Umhängetasche. Ein paar Ostmark und meine Entlassungspapiere.“ Im Bus habe es geheißen: Sie werden in den Westen gebracht. Von Agentenaustausch und Glienicker Brücke sei keine Rede gewesen. Bei einer kurzen Pinkelpause auf der Fahrt habe ein Stasi-Mann gewarnt: „Wer jetzt abhaut, der wird erschossen“, erzählte Fätkenheuer 2015 in einem Interview.

Der Ost-Berliner Anwalt Wolfgang Vogel (Mitte links) umarmt zur Begrüßung eine DDR-Bürgerin. Am alliierten Grenzübergang Glienicker Brücke in Berlin findet am 11.06.1985 der größte Agentenaustausch zwischen Ost und West seit 1945 statt. Vier in den USA verurteilte Agenten wurden gegen insgesamt 25 Mitarbeiter amerikanischer Nachrichtendienste ausgetauscht. Ein Fernsehteam der "Tagesschau" filmte den Austausch. (Screenshot) |
Anwalt Vogel (Mitte links) umarmt zur Begrüßung eine DDR-Bürgerin
Quelle: picture alliance / ARD/Tagesscha

Auf der Brücke war Fätkenheuer dann sehr aufgeregt. „Beim Aussteigen vergaß ich meine Tasche.“ Ein US-Diplomat habe sie ihm nachgebracht: „Als wir dann im Gänsemarsch über die Brücke und die weiße Linie gingen, da wurde mir erst klar: Ich lief in den Westen, in die Freiheit.“ Nachdem der Bus mit den 23 West-Agenten von der Brücke gefahren war, machte sich der Kastenwagen mit den vier Ost-Spionen auf den Weg. Alles hatte reibungslos funktioniert – und um 13 Uhr herrschte auf der Glienicker Brücke wieder Stille.

Die Verhandlungen über den Austausch hatten fast acht Jahre zuvor begonnen. Sie drehten sich um jemanden, der am 11. Juni 1985 nicht anwesend war, den Bürgerrechtler Anatoli Schtscharanski. Der war im März 1977 in der Sowjetunion verhaftet und bald wegen angeblicher Spionage für die CIA angeklagt worden. Jüdische Glaubensbrüder setzten sich im Westen rasch für seine Freilassung ein.

Am 11. Februar 1986 war es so weit: Wieder war der Schauplatz die Glienicker Brücke, wieder hatte Wolfgang Vogel mitgewirkt. Unter den vier Leuten aus dem Osten, die gegen fünf aus dem Westen ausgetauscht wurden, befand sich der Bürgerrechtler. Es war das letzte Mal, dass die Brücke in der schönen Umgebung als Kulisse für eine solche Aktion herhalten musste.

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