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Geschichte Fertiggericht-Klassiker

Wie Dosenravioli eine kleine Revolution auslösten

Am 14. Mai 1958 ging in Deutschland die erste Dose Ravioli vom Band. Hintergrund waren das Wirtschaftswunder und die Reiselust der Deutschen. Generationen sind seither mit dem Gericht aufgewachsen.
Dosenravioli wird 65 Jahre alt Dosenravioli wird 65 Jahre alt
In wenigen Minuten verzehrfertig: Dosenravioli
Quelle: dpa/Bernd Weißbrod

Vier Vaterunser braucht es, um Ravioli perfekt zu kochen. So zumindest empfiehlt es der Urvater der europäischen Kochkünste, Maestro Martino (vor 1430 – nach 1470). Die kleinen viereckigen Teigtaschen wurden im 15. Jahrhundert aufwendig gefüllt und zubereitet. Damals ahnte der Tessiner, der in Rom die Großen seiner Zeit bekochte, noch nicht, dass es auch einfacher geht.

Dosenravioli, in Tomatensoße und verzehrfertig. So lautet die ziemlich unromantische Antwort der Industrie auf die steigende Nachfrage der Deutschen nach italienischen Gerichten in den 1950er-Jahren.

Ein Hintergrund für die Erfolgsgeschichte der Dosenravioli war das Wirtschaftswunder und die Reiselust der Deutschen. Mit dem beginnenden Tourismus nach Italien wurde auch italienisches Essen bei Familien immer beliebter. Über die Jahre hat sich die Zielgruppe aber gewandelt. Heute findet man das Kultprodukt vor allem auf Campingplätzen, Festivals und in Single-Haushalten.

Am 14. Mai 1958 ging die erste Dose Ravioli im Maggi-Werk in Singen am Bodensee vom Band – und löste damit eine kleine Revolution in der Küche aus.

„Bis dahin standen vor allem die Hausfrauen vor dem Herd und haben alle Gerichte selbst gekocht“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Eva-Maria Endres. Nicht nur die Dosenravioli, sondern Fertigprodukte insgesamt hätten Frauen geholfen, sich von diesem Rollenbild zu lösen. „Das Kochen war auch ein Argument, warum Frauen keiner bezahlten Arbeit nachgehen konnten, weil jeden Abend ein warmes Essen auf den Tisch musste.“

„Mit dem fertigen Essen war es möglich, tagsüber arbeiten zu gehen“

Fertiggerichte seien da eine große Entlastung gewesen, so die Esskultur-Expertin. In den 1980er- und 90er-Jahren seien sie besonders beliebt gewesen. „Mit dem fertigen Essen war es möglich, tagsüber arbeiten zu gehen und abends ein warmes Gericht für die Familien auf den Tisch zu stellen.“ Konserven gehörten zu den ersten Fertiggerichten, weil sie auch ohne Kühlschrank haltbar waren.

Die fertigen Dosenravioli von Maggi kommen seit jeher aus dem Maggi-Werk am Bodensee. Mittlerweile gehört der Lebensmittelproduzent zum Nestlé-Konzern. An jedem Produktionstag laufen dort 170.000 Dosen vom Band, wie eine Sprecherin erklärt. „Dabei stellt die Werksmannschaft den Nudelteig selbst her.“

Das Kultprodukt aus der Dose des Marktführers gibt es heute in sieben Varianten. Gefüllt sind die kleinen Teigtaschen etwa mit einer Mischung aus Schweinefleisch und Rind. Für Vegetarier gibt es eine Gemüsefüllung. Rund 36 Millionen Dosen Ravioli hat Maggi im vergangenen Jahr produziert. Besonders hoch war die Nachfrage laut Nestlé im Corona-Jahr 2020.

Maggi war der erste Anbieter von Dosenravioli in Deutschland – inzwischen gibt es auch diverse andere Produzenten. Die Ravioli in Tomatensoße waren auch das erste Fertiggericht von Maggi. Seit 1887 ist die Marke in Singen aktiv.

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Firmengründer Julius Maggi hatte den Standort selbst gegründet und zu einer großen Fabrikanlage ausgebaut. Auf dem Werksgelände steht auch ein kleines Museum. Heute steht in Singen das größte Maggi-Werk Deutschlands und beschäftigt eine rund 550-köpfige Mannschaft. Die Zahl der Beschäftigten ist über die Jahrzehnte gestiegen, so wie der Hunger auf die Dosenravioli.

Laut der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie steigt die Nachfrage nach Fertigprodukten immer weiter an. Der anhaltende Trend lasse sich auch mit soziodemografischen Trends wie der steigenden Zahl kleinerer Haushalte und einer höheren Erwerbstätigenquote erklären. Der Trend hin zu Haushalten mit bis zu zwei Personen werde laut Prognosen des Statistischen Bundesamts auch in Zukunft eine Rolle spielen.

Auch Lebensmittelskandale brechen den Trend laut Konsumforschern nicht. Vor zehn Jahren hatte ein großer Skandal für Schlagzeilen gesorgt, bei dem Händler europaweit im großen Stil Pferdefleisch als Rindfleisch verkauft hatten. Dieses landete vor allem in Fertigprodukten. Die Zurückhaltung der Konsumenten hielt laut einer GfK-Studie aus dem Jahr 2014 nur kurz an.

Um die Dosenravioli perfekt zu kochen, braucht es laut Herstellern keine vier Vaterunser auf Latein. Ein Topf oder ein mikrowellengeeignetes Serviergeschirr reicht aus.

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dpa/mak

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