Am meisten schmerzt ein Schlag dort, wo ihn niemand erwartet. Dass die Gewässer um Großbritannien seit September 1939 und ab dem folgenden Sommer auch ein großer Teil des Nordatlantiks das Jagdrevier deutscher U-Boote waren, wussten die Admiralstäbe in London und Washington D.C. Aber vor der amerikanischen Ostküste?
Damit rechnete niemand. Gerade deshalb hatte Karl Dönitz, der Befehlshaber der deutschen U-Boote und Favorit Hitlers, eine solche Operation vorgeschlagen. Natürlich nahm der Diktator diese Idee nach seiner strategisch und politisch unnötigen Kriegserklärung an die USA am 11. Dezember 1941 begeistert auf.
Die meisten deutschen U-Boote waren zu dieser Zeit zu Operationen von maximal 10.000 Kilometern in der Lage. Doch von den wichtigsten Kriegshäfen an der französischen Atlantikküste, Lorient, St. Nazaire und La Rochelle, waren es bis New York, Norfolk und Wilmington 5500 bis 6200 Kilometer. Ein U-Boot, das dorthin fuhr, würde also nicht zurückkommen können.
Typ VII – das meistgebaute U-Boot der Welt
Doch die Alliierten wussten nicht, dass die deutsche Kriegsmarine nicht nur Standardboote des Typs VII im Einsatz hatte, sondern auch und schon seit Kriegsbeginn etwa zwei Dutzend Boote des größeren Typs IX. Sie verfügten, je nach Baureihe, über Reichweiten von 22.000 bis 24.000 Kilometern. Damit konnte ein solches U-Boot über den Atlantik und zurück fahren, hatte aber vor dem Ziel trotzdem noch eine Einsatzzeit von gut zwei Wochen – genug Zeit für eine erfolgreiche Jagd auf gegnerische Schiffe.
Boote vom Typ IX waren rund die Hälfte größer als Boote vom Typ VII und voll hochseetauglich. Sie waren mit sechs Torpedorohren und insgesamt 22 Torpedos ausgestattet. Zwar war ihre Unterwasser-Reichweite etwas geringer als bei den kleineren Booten: nur etwa 120 statt 170 Kilometer. Doch das machte nichts, denn deutsche U-Boote tauchten ohnehin nur bei Angriffen und falls sie von gegnerischen Kriegsschiffen verfolgt wurden.
Im Dezember 1941 waren allerdings nur fünf Boote des Typs IX einsatzbereit und verfügbar – die anderen wurden gerade gewartet oder befanden sich auf Feindfahrten, nach denen sie erst einmal pausieren mussten. So plante Dönitz sein „Unternehmen Paukenschlag“ mit fünf Booten: U-66, U-109, U-123, U-125 und U-130.
Die Kommandanten, bis auf Ulrich Folkers (U-125) alle bereits auf mehreren Feindfahrten erfahren, bekamen klare Befehle: Während des Marsches über den Atlantik sollten sie gegnerischen Verbänden aus dem Weg gehen und keinesfalls Gelegenheitsziele angreifen – außer, es lief ihnen ein feindliches Großkampfschiff vor die Torpedorohre.
Erst wenn alle Boote vor der US-Ostküste angekommen waren, frühestens aber am 13. Januar 1942, sollten sie Angriffe starten. So weit ging die Geheimhaltung (und die Sorge vor feindlichen Spionen), dass die Boote nicht einmal exakte Karten der US-Ostküste mit an Bord bekamen. Denn wenn man sie eilig aus Deutschland beschafft hätte, wäre das möglicherweise durchgesickert, befürchtete Dönitz.
Anfang 1942 nahm der Schiffsverkehr gerade hier stark zu. Von New York, dem leistungsfähigsten Handelshafen der USA, liefen schon seit 1940 Konvois mit Nachschub Richtung Großbritannien aus. Geleitzerstörer und Korvetten stießen in der Regel vor dem kanadischen Halifax zu den zivilen Frachtern.
Auf der Strecke von New York nach Halifax waren die Transportschiffe dagegen ebenso ungeschützt wie die Zulieferdampfer, oft kleinere oder nur bedingt hochseetaugliche Schiffe, die aus den Häfen der südlichen US-Ostküste kamen. Zudem waren deren Kapitäne meist unerfahren und wussten nicht, wie sie Angriffen durch U-Boote begegnen konnten. Vor der Küste wurde weder nachts verdunkelt gefahren noch tagsüber im Zickzack-Kurs, und besondere Wachposten gab es auch nicht.
Ideale Jagdbedingungen für deutsche U-Boote also. Doch dann gefährdete Reinhard Hardegen, Kommandant von U-123, diese gute Ausgangsposition: In der Nacht vom 11. auf den 12. Januar 1942, kurz bevor alle Boote des „Unternehmens Paukenschlag“ vor Ort waren, griff er den britischen Dampfer SS „Cyclops“ an.
Der erste Torpedo beschädigte das Schiff so schwer, dass der Kapitän Befehl zum Verlassen gab – aber vorher setzte die „Cyclops“ noch eine Warnung ab. Erst 29 Minuten nach dem ersten Treffer feuerte U-123 einen zweiten Torpedo ab, der den Dampfer explodieren und binnen Kurzem versinken ließ. 87 Mann der Besatzung starben.
Bis Anfang Februar 1942 versenkten die fünf Typ-IX-U-Boote 23 Frachtschiffe. Zu Hilfe kam ihnen dabei, dass die amerikanischen Städte zu dieser Zeit nicht verdunkelt waren. Obwohl alle Schiffe umgehend den Befehl bekommen hatten, ihre Positionslichter abzuschalten, waren sie als Schatten vor der hellen Küste oft gut zu erkennen.
Als erster hatte Hardegen seine 22 Torpedos verschossen und machte sich auf den Rückweg. Noch auf See erhielt er einen Funkspruch vom BdU: „An den Paukenschläger Hardegen. Bravo! Gut gepaukt. Dönitz.“
Zwar zog die US Navy schnell Konsequenzen aus dem deutschen Überraschungsangriff: Auch der Verkehr entlang der Ostküste wurde in Konvois zusammengefasst. Doch es gab viel zu wenig geeignete Geleitschiffe. Jetzt rächte sich, dass Präsident Franklin D. Roosevelt 50 ältere Zerstörer an die britische Royal Navy abgegeben hatte, die sie als Geleitschiffe auf der (allerdings noch gefährlicheren) Nordatlantik-Route nutzte.
Die Erfolge brachten Dönitz dazu, schubweise alle verfügbaren Typ-IX-Boote über den Atlantik zu schicken. Und weil das nicht reichte, ließ er auch kleinere Typ-VII-Boote für Langstrecken umrüsten, mit zusätzlichem Diesel in den Frischwassertanks und einer besonders spritsparenden Fahrweise über den Atlantik. Außerdem wurden die Versorgungs-U-Boote vom Typ XIV, liebevoll „Milchkühe“ genannt, beschleunigt in Dienst gestellt. Sie ermöglichten Typ-VII-U-Booten eine längere Einsatzzeit vor der US-Ostküste, waren aber groß, langsam und relativ leicht zu identifizieren.
Ab April 1942 schlug die US Navy zurück: 24 Anti-U-Boot-Trawler der Royal Navy und zehn Korvetten mit erfahrenen britischen Besatzungen nahmen den Patrouillendienst zwischen Wilmington und Boston auf, außerdem ein Geschwader des RAF-Küstenkommandos. Im Schnelldurchlauf bildeten die Briten ihre amerikanischen Verbündeten aus.
Rasch zeigten sich Erfolge: Bis Ende Juli wurden neun deutsche Boote vor der Ostküste oder in der Karibik versenkt. Die „goldene Zeit“, wie U-Bootfahrer die erfolgreichen ersten Monate des Jahres 1942 genannt hatten, war vorüber.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2017 veröffentlicht.