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Gesundheit Amputation nach Infektion

So gefährlich kann ein Insektenstich sein

Ein Mückenstich kann schlimme Folgen haben, wenn gefährliche Erreger übertragen werden Ein Mückenstich kann schlimme Folgen haben, wenn gefährliche Erreger übertragen werden
Ein Mückenstich kann schlimme Folgen haben, wenn gefährliche Erreger übertragen werden
Quelle: dpa/dpa-ZB
In der Regel sind Mückenstiche nur lästig – doch für eine Kölnerin begann damit ein Albtraum: Sie fiel ins Koma, am Ende hatte sie beide Beine und einen halben Arm verloren. Wie konnte es dazu kommen?

Es war ein ganz normaler Arbeitstag für Sonja Kujas. Die 43-Jährige ist Gebäudereinigerin. Als sie den Müll rausbrachte, wurde sie von einem Insekt gestochen. Wie der Kölner „Express“ berichtete, hatte sie sofort starke Beschwerden. Die Einstichstelle schwoll an, Frau Kujas wurde schwindelig und sie bekam Schmerzen. Ein Krankenwagen brachte sie sofort in das Krankenhaus in Frechen bei Köln.

In der Notaufnahme erkannte man die Symptome jedoch nicht. Die Ärztin schickte Frau Kujas wieder nach Hause. Dort verschlimmerte sich ihr Zustand rapide. Ihr Mann brachte sie erneut ins Krankenhaus. Frau Kujas wurde direkt an die Uniklinik Köln verwiesen. Dort fiel sie sofort ins Koma. Eine Woche später wachte sie wieder auf. Die Ärzte hatten ihr Leben retten können. Allerdings mussten sie Frau Kujas beide Beine und den linken Arm amputieren. Wie konnte ein einziger Insektenstich solche Komplikationen auslösen?

Andrej Trampuz ist Facharzt für septische Chirurgie. Einer der wenigen in Deutschland. An der Berliner Charité behandelt er Patienten mit schweren Infektionen. Fälle wie den von Frau Kujas erlebt der Experte ungefähr einmal pro Monat – aber sehr selten ist der Verlauf so schwer.

DIE WELT: Wie häufig müssen Sie nach Insektenstichen Körperteile amputieren?

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Andrej Trampuz: Das ist sehr selten. Allerdings kommen täglich Patienten in die Notaufnahme, bei denen sich nach einem Mückenstich die Haut entzündet. Meistens genügt es, die Wunde zu desinfizieren und steril zu verbinden. Amputieren müssen wir nur, wenn es zur Infektion mit einem ganz bestimmten Erregern kommt.

DIE WELT: Welcher ist das?

Trampuz: Ein bestimmter Stamm von Streptokokken.

DIE WELT: Wie bei Scharlach?

Trampuz: Genau. Allerdings hat der Stamm der Streptokokken, der diese schweren Komplikationen auslöst, besondere Eigenschaften. Die Bakterien produzieren einen bestimmten Stoff, ein Enzym, dass dann zu einer sogenannten nekrotisierenden Fasziitis führt. Wie bei Sonja Kujas aus Köln.

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DIE WELT: Was passiert bei der nekrotisierenden Fasziitis?

Trampuz: Die Bakterien gelangen durch die Blutbahn in den Körper und wandern von dort in die Muskeln. Dort infizieren sie das Gewebe und beginnen, Enzyme zu produzieren. Diese Enzyme lösen den Muskel auf. Deshalb nennt man diese speziellen Streptokokken auch „fleischfressende Bakterien“.

DIE WELT: Frau Kujas fiel nach der Infektion in ein Koma. Wie kommt es dazu?

Trampuz: Die Streptokokken bilden bestimmte Giftstoffe, sogenannte Toxine. Die gelangen in die Blutbahn. Es kommt also zu einer Blutvergiftung. So eine Blutvergiftung, Ärzte nennen sie Sepsis, führt dazu, dass sämtliche Organe versagen. Auch das Gehirn. Wenn das Gehirn nicht mehr funktioniert, fällt der Mensch in ein Koma.

DIE WELT: Das klingt nach einer sehr schweren Komplikation. Wie viele Menschen überleben die nekrotisierende Fasziitis?

Trampuz: Ungefähr die Hälfte der Patienten überlebt eine nekrotisierende Fasziitis, die so weit fortgeschritten ist wie bei Frau Kujas. So einen schweren Fall sehen wir bei uns in der Notaufnahme ungefähr einmal im Monat. Wenn man die Patienten rechtzeitig behandelt, kann man aber verhindern, dass es nach einer Infektion mit Streptokokken zu einer Blutvergiftung kommt. Das muss allerdings sehr schnell passieren.

DIE WELT: Wie schnell?

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Trampuz: Bei einer Infektion mit diesen Streptokokken zählt jede Minute. Sobald wir einen solchen Fall in der Notaufnahme haben, wird der Operationsplan verschoben. Diese Patienten haben absoluten Vorrang. Es hilft nicht, Ihnen einfach nur Antibiotika zu geben, die wirken nicht schnell genug. Wir müssen sofort operieren.

DIE WELT: Wie können Sie denn Bakterien aus dem Körper operieren?

Trampuz: Wir öffnen den Körper an der infizierten Stelle bis zum Knochen. Dann entfernen wir das infizierte, tote Gewebe. Denn dort vermehren sich die Streptokokken. Und spülen die Stelle mit Kochsalzlösung. Im schlimmsten Fall, wenn die Leute zu lange warten, müssen wir den kompletten Muskel entfernen.

DIE WELT: Warum wurden Frau Kujas denn komplett die Beine und der linke Arm amputiert, nicht nur der Muskel?

Trampuz: Bei Frau Kujas scheint die Infektion schon sehr weit fortgeschritten gewesen zu sein. Die Toxine gelangen über die Blutbahn in andere Körperteile. Dort verhindern sie, dass die Körperteile ausreichend durchblutet werden. Dadurch stirbt das Gewebe ab. Und dort können sich dann wieder die Streptokokken festsetzen und sich vermehren. Das ist sicher bei Frau Kujas passiert. Man muss das tote Gewebe großzügig entfernen, um auf keinen Fall Reste des Erregers im Körper zu lassen.

DIE WELT: Der Auslöser für Frau Kujas’ Infektion war ja ein Mückenstich. Momentan ist Mückenzeit. Kommen deshalb mehr Menschen mit einer Hautinfektion in die Notaufnahme?

Trampuz: Im Sommer und in tropischen Gebieten gibt es tatsächlich mehr Fälle von nektrotisierender Fasziitis. Aber nicht nur weil es mehr Mückenstiche gibt. Im Sommer schwitzen wir viel. Auf der feuchtwarmen Haut fühlen sich die Streptokokken-Bakterien sehr wohl. Zum Beispiel unter der Achsel. Es kommen also zwei Probleme zusammen: Mückenstiche reizen die Haut. Wenn man kratzt, entstehen Stellen, durch die die Bakterien in die Blutbahn gelangen können. Und von denen gibt es im Sommer eben reichlich.

DIE WELT: Das heißt, die Mücken übertragen den Erreger nicht?

Trampuz: Nein. Die helfen nur, eine Art Eintrittstor für die Bakterien zu schaffen, weil der Patient anfängt zu kratzen.

Die Mücken kommen

Schwül und viel Regen. Traumhafte Wetterbedingungen – für Mücken. Zwar sind die meisten kleinen Blutsauger einfach nur lästig, aber es wandern immer mehr ein, die gefährliche Krankheiten übertragen können.

Quelle: N24/Lea Freist

DIE WELT: Wie kann man sich vor einer Infektion mit den Streptokokken schützen?

Trampuz: Eigentlich gar nicht. Denn Streptokokken gehören zu den Bakterien, die unsere Haut ganz natürlich besiedeln. Auch der Streptokokkenstamm, der die nekrotisierende Fasziitis auslöst, lebt auf der Haut. Dort richtet er keinen Schaden an, und man duscht sich den Erreger auch wieder ab. Man kann ihn sich natürlich auch immer wieder neu holen. Gefährlich wird es erst, wenn er eben in die Blutbahn gelangt. Deshalb merkt man erst, dass der gefährliche Streptokokkenstamm auf der Haut war, wenn es bereits zu spät ist. Also es zu einer Infektion kommt. Dann sind sehr viele dumme Zufälle zusammengekommen.

DIE WELT: Wer ist besonders gefährdet, an der nekrotisierenden Fasziitis zu erkranken?

Trampuz: Eigentlich kann es jeden treffen. Kinder sind besonders gefährdet, weil sie häufig Hautkontakt zu anderen Kindern haben und sich so der gefährliche Streptokokkenstamm einfach überträgt. Und sie haben häufig Verletzungen oder kratzen sich Mückenstiche auf. Eltern können aber beruhigt sein. Denn die Symptome einer Streptokokken-Infektion sind kaum zu übersehen.

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DIE WELT: Welche sind das?

Trampuz: Es gibt drei wichtige Symptome, auf die man achten sollte. Erstens haben die Patienten furchtbare Schmerzen. Viele Betroffene erzählen, dass es die schlimmsten Schmerzen sind, die sie jemals erlebt haben. Zweitens bilden sich rund um die infizierte Stelle kleine Blasen, die aussehen wie Brandblasen. Und drittens verfärbt sich die Haut dort bläulich-rot. Außerdem fühlt sich der Patient sehr krank und hat Fieber. Wer diese Symptome bei sich oder anderen erkennt, sollte sofort ins Krankenhaus fahren.

DIE WELT: Frau Kujas hatte auch schwere Symptome. Sie wurde von den Ärzten wieder nach Hause geschickt, als sie in die Notaufnahme kam.

Trampuz: Einige Kollegen kennen die nekrotisierende Fasziitis nicht. Weil sie relativ selten ist. Deshalb versuchen wir Patienten und auch Ärzte für die Symptome zu sensibilisieren.

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