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Psychologie Burnout bei Lehrern

Kumpeltyp mit Durchsetzungsfähigkeit gesucht

Burnout ist bei Lehrern keine Seltenheit. Viele fühlen sich vom Arbeitgeber nicht ausreichend unterstützt Burnout ist bei Lehrern keine Seltenheit. Viele fühlen sich vom Arbeitgeber nicht ausreichend unterstützt
Burnout ist bei Lehrern keine Seltenheit. Viele fühlen sich vom Arbeitgeber nicht ausreichend unterstützt
Quelle: Ute Grabowsky/photothek.net
Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei – heißt es. Doch ein Drittel der vermeintlichen Rechthaber ist ausgebrannt. Burnout heißt dann die Diagnose.

"Bei vielen wird die Freude am Beruf ständig von Versagensängsten überdeckt", sagt Marianne Demmer, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und zuständig für den Bereich Schule. "Gleichzeitig übernehmen sie immer mehr Aufgaben, um Bestätigung zu finden" - ob vor sich selbst oder von anderen.

"Es macht ja kein anderer" oder "Das Kind braucht das jetzt unbedingt" - Demmer kennt die Argumente, mit denen sich Lehrer und Angehörige aller Helfer-Berufe immer wieder selbst motivieren und überfordern. Irgendwann stecken die Betroffenen in einer Spirale aus Überforderung und Versagensangst. Seit Jahrzehnten kämpfe die GEW deshalb bereits dafür, dass Vorgesetzte und Behörden die psychische Belastung der Lehrer anerkennen.

Dennoch werden den Lehrern weder zeitliche noch finanzielle Angebote unterbreitet, um sich psychologisch beraten zu lassen. Die Gewerkschaft biete beispielsweise Supervision an, kann diese Analyse und Beratung durch Profis aber nicht flächendeckend gewährleisten. Modelle wie eine Altersermäßigung - die Lehrer müssen dann weniger unterrichten - werden von den Arbeitgebern seit Jahren zurückgenommen.

Professor Joachim Bauer von der Klinik für psychosomatische Erkrankungen an der Universität Freiburg ist ein Mann der Fakten: Seit zehn Jahren erhebt er alle möglichen Daten zur psychischen Gesundheit von Lehrern. "Dies ist einer der belastendsten Berufe, die wir im Moment zu vergeben haben", sagt er. Für ihn seien sie Hochleistungssportler im Klassenzimmer. Zu viele seien dafür nicht qualifiziert.

Ein Ergebnis seiner Arbeit: "Jeder fünfte Lehrer zeigt medizinisch relevante Symptome eines Burn-outs." Häufigste Ursache sei die zunehmende Aggressivität von Schülern. Aber auch die hohe Zahl der Unterrichtsstunden - die auch vor- und nachbereitet werden wollen - führt zu Belastungen.

Doch ob ein Lehrer erfolgreich ist oder scheitert, hängt von der Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen ab - und genau das wird nach Bauers Meinung in der Ausbildung nicht gelehrt. Bei Lehrergesundheitstagen oder in Coachinggruppen sind Lehrer überrascht, wie wichtig manch scheinbare Nebensächlichkeit ist: Wie wirkt meine Körpersprache auf die Kinder? Wo positioniere ich mich im Klassenraum? Welche Handbewegungen kommen wie an?

Körpersprache, Stimme und Kommunikationstraining sind Themen, die bei Bauers Angeboten gern angenommen werden. In Freiburg zumindest sind diese Themen verpflichtender Bestandteil der Ausbildung. In Stuttgart und Tübingen werden für Referendare Seminare angeboten. "Das muss aber bundesweit Standard werden", fordert Bauer.

Wichtig wären für ihn mehr Ganztagsschulen. "Die jetzt verbreitete Halbtagsschule ist ein Modell, das vor 50 Jahren im Westen aktuell war", meint Bauer. "Heute sind Kinder am Nachmittag weitgehend sich selbst überlassen." Um das zu ändern, müssten die Schulen Lebensräume werden - und das nicht mit noch mehr Unterricht, sondern mit Sport, Musik oder künstlerischen Projekten. Dazu bräuchten die Lehrer aber auch einen Arbeitsplatz in der Schule.

In Baden-Württemberg wird fachliche Hilfe auch bei Psychotherapeuten gesucht: Sie werden derzeit für die Arbeit mit Lehrern trainiert.

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Wie aber erkennt man das Burn-out, wie unterscheidet man es von einer Depression? Nach Expertenmeinung ist es der Zynismus, den Burn-out-Patienten haben, Depressive nicht: Die Betroffenen sprechen dann abwertend von ihrer Klientel - wo sie vorher für sie vor Idealismus gebrannt haben.

Chronische Erschöpfung oder ein Leistungseinbruch sind weitere Warnsignale für ein Burn-out. Auch frühes Aufwachen, Angst, Schwindel, Herz-Kreislauf- oder Magen-Darm-Probleme kommen häufig vor. Oft kreisen die Gedanken immer stärker um den nächsten Tag.

Professor Uwe Schaarschmidt vom Institut für Psychologie der Universität Potsdam hat vier Lehrer-Typen ausgemacht:

Der eine pflegt zu seiner Arbeit ein Verhältnis, das der Gesundheit förderlich ist.

Der andere schont sich, was die Arbeit angeht. Sein verringertes Engagement zeugt jedoch nicht von einer negativen Einstellung, sondern von innerer Ruhe, Ausgeglichenheit und Widerstandsfähigkeit.

Der dritte Typus ist dann schon mit Risiken behaftet: Er zeigt überhöhtes Engagement. Ihm ist die Arbeit extrem wichtig, er ist bereit, sich zu verausgaben und strebt nach Perfektion. Ihm fehlt oft die Distanz zur Arbeit. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit sind für ihn eher Fremdwörter, sodass seiner hohen Anstrengung kein positiver emotionaler Ausgleich entgegensteht.

Lehrer-Typ 4 hat resigniert. Er geht Problemen aus dem Weg. Ihm mangelt es ebenso an Ausgeglichenheit. Er sieht keine Erfolge im Beruf und ist mit dem Leben abseits davon auch unzufrieden.

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Dann kommen die Betroffenen zu Experten wie Gerd Kötschau, Chefarzt der Fachklinik für Psychosomatik in der Klinik Martinusquelle in Bad Lippspringe. Zehn Prozent seiner Patienten sind Lehrer - Tendenz steigend. "Jeder Zweite geht in Rente, bevor er das entsprechende Alter hat", sagt er. Mit genauen Zahlen hielten sich die Verantwortlichen bedeckt.

Lehrer stehen laut Kötschau im Spannungsfeld zwischen schwer zu motivierenden Schülern, Eltern, Schulleitung und Schulamt. Oft fühlten sie sich in diesen Interessenskonflikten allein gelassen - denn gleichzeitig sollen die Pädagogen den Kumpeltyp darstellen, der durchsetzungsfähig ist und trotzdem auch noch gerecht. Viele Nationalitäten in einer Klasse, relativ große Klassen und Konflikte mit schwer zu motivierenden Kindern ebneten jedoch den Weg zum Ausgebranntsein.

In Kötschaus Klinik lernen die Betroffenen, den Alltag wieder besser zu bewältigen, Konflikte zu lösen und mit Stress umzugehen. Dann werden klassische Entspannungstechniken wie Autogenes Training, progressive Muskelentspannung oder medizinisches Qigong eingesetzt. Therapeutisches Bogenschießen, Physiotherapie, Sport und Bewegung gehören ebenfalls zum Konzept.

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