WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Gesundheit
  3. Psychologie
  4. Innere Ruhe: Warum wir lernen müssen, gern allein zu sein

Psychologie Innere Ruhe

Warum wir lernen müssen, gern allein zu sein

Ein Mensch ist allein, wenn kein anderer um ihn herum ist. Ein Mensch ist einsam, wenn er andere Menschen um sich herum vermisst Ein Mensch ist allein, wenn kein anderer um ihn herum ist. Ein Mensch ist einsam, wenn er andere Menschen um sich herum vermisst
Ein Mensch ist allein, wenn kein anderer um ihn herum ist. Ein Mensch ist einsam, wenn er andere Menschen um sich herum vermisst
Quelle: Getty Images/Blend Images RM
Die Vereinzelung in der Gesellschaft nimmt zu. Kaum ein Mensch wird dem Alleinsein entgehen. Doch man muss dabei nicht einsam werden. Schon Kinder sollten üben, Zeit nur mit sich zu verbringen.

Selbst den Schafen war es am Ende zu einsam hier draußen. Die letzten beiden rannten über die Wiesen hinter dem Grundstück immer wieder ins Dorf. Dort gab es andere Schafe. Eine Zeit lang holte Roman Streisand die beiden abends wieder zurück, aber in diesem Jahr hat er sie verkauft. Die Gänse erledigte ein Fuchs.

Der Hund ist noch da, er schnarcht im Schatten unter dem Tisch, auf den Streisand dünne Tonschalen mit Tee gestellt hat. Streisand schaut in Richtung der Wiesen. Vor ihm liegen Obstbäume, der von den Schafen verlassene Unterschlupf, grünes Land. Sonst sieht er von diesem Platz aus nicht viel. Keine Straßen, keine Nachbarhäuser, vor allem: keine Nachbarn.

Genau so hat Roman Streisand es sich gewünscht, als er vor 33 Jahren Berlin verließ, um ein Einsiedlerleben in Brandenburg zu beginnen. Es gibt noch vier Grundstücke neben seinem auf dem Gelände des alten Guts in der Schorfheide, aber mit den Bewohnern hat er zum Glück kaum zu tun. Wenn sich jetzt im Frühsommer die Stare in den Kirschen versammeln, Hunderte lärmende Tiere, holt Streisand das Luftgewehr, das an der Tür zum Garten lehnt, und knallt in die Bäume.

Nicht wegen des Lärms, sagt er und lacht. Wegen der Kirschen.

Menschen, die wie Streisand behaupten, dass sie gern allein sind, dass sie das Alleinsein geradezu brauchen, traut man ja einiges zu. Es fängt damit an, dass man vermutet, dass sie das eben nur behaupten. Ist der Mensch nicht ein Herdentier, ein soziales Wesen, das nur in der Gemeinschaft glücklich sein kann? Ist Einsamkeit nicht eine schlimme Plage der Gegenwart?

Einsamkeit kann den Blutdruck erhöhen

In Deutschland leben 16 Millionen Menschen allein. Meistens wird dieser Satz in einem besorgten Tonfall ausgesprochen. Man stellt sich Menschen vor, die verhärmt in dunklen Wohnungen sitzen. Jeder dritte Deutsche, der zwischen 40 und 85 Jahren alt ist, hat mitunter Einsamkeitsgefühle. Die Zahl stammt aus dem „Deutschen Alterssurvey“ von 2013. Drei bis sieben Prozent der Menschen litten unter hoher Einsamkeit.

Einsamkeit ist nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich. Sie kann den Blutdruck erhöhen, Schlaf und Immunsystem durcheinander bringen, und letztlich das Leben verkürzen. Mediziner halten Einsamkeit für ähnlich gesundheitsgefährdend wie Übergewicht.

Aber das Alleinsein ist ein Zustand, mit dem jeder sich konfrontieren sollte. Früher oder später kann es jedem passieren. Die Familien sind klein, Beziehungen halten nicht lange, man zieht für einen neuen Job in eine neue Stadt. Viele Menschen werden sehr alt, aber eben leider nicht alle. Partner oder Freunde sterben. Man ist, zumindest für eine Zeit, allein.

Das Alleinsein ist eine Plage der Gegenwart, wenn man so will – aber wie schlimm sie einen erwischt, kann man selbst mitbestimmen.

Anzeige

„In unserer Gesellschaft, die immer mehr Freiheiten bietet und in der es zugleich weniger Kontinuität gibt, müssen wir uns mehr mit dem Alleinsein auseinandersetzen“, sagt etwa Dietrich Munz. Er ist der Vorsitzende der Psychotherapeutenkammer und hat zusammen mit anderen einen Band über eine Psychoanalytiker-Tagung zur „Fähigkeit zum Alleinsein“ herausgegeben. Bedenklich sei, dass Kinder, die dauernd gefördert und betreut werden, diese Fähigkeit gleichzeitig seltener erlernen.

Man sollte es eine Weile nur mit sich aushalten

Vielleicht kann man damit beginnen, die Begriffe zu sortieren. Ein Mensch ist allein, wenn kein anderer um ihn herum ist. Ein Mensch ist einsam, wenn er andere Menschen um sich herum vermisst. Darauf laufen die Definitionen, die Psychologen und Soziologen für Einsamkeit haben, hinaus. Es geht um einen subjektiv empfundenen Mangel an sozialen Kontakten.

Es kann sein, dass ein Mensch die Zahl seiner Kontakte als zu gering empfindet. Oder ihre Intensität. Auch inmitten einer Großfamilie können Menschen einsam sein. Manche Forscher unterscheiden emotionale Einsamkeit, bei der man einen Liebespartner oder engen Freund vermisst, und soziale Einsamkeit. Ein Freundeskreis, eine Familie fehlt einem dann. Einsamkeit, egal in welcher Form, ist nach den Definitionen ein Zustand, den Menschen nicht mögen, ein Defizit.

Alleinsein dient auch der Regeneration, man kann Dinge innerlich klären. In vielen Kulturen ist der Rückzug ein wichtiger Prozess
Dietrich Munz, Vorsitzender der Psychotherapeutenkammer

Die Begriffe sind nicht so leicht zu sortieren, weil viele Leute beginnen, sich einsam zu fühlen, sobald sie allein sind. Wenn der Liebste verreist, die Kinder ausziehen, die Freunde sich am Wochenende nicht melden.

Es ist ein altes Problem, sagen Psychologen und Einsamkeitsforscher, das sich unter den Bedingungen der Gegenwart verschärft.

Es sei für Menschen immer gesund gewesen, das gute Alleinsein zu beherrschen, sagt Dietrich Munz, der Psychotherapeut. Den Rückzug in sich selbst. Jetzt erfordern es oft die Lebensumstände. Ein Erwachsener sollte es eine Weile nur mit sich selbst aushalten können, ohne sich zu ängstigen oder zu langweilen. Mit sich selbst zurechtzukommen, auch in schwierigen Lagen, das sei ein Zeichen von psychischer Reife.

Zu Besuch bei Menschen, die das Alleinsein brauchen

Vielleicht hilft Alleinsein gegen die Einsamkeit. Das gute Alleinsein. Vielleicht kann man etwas von Menschen lernen, die gern allein sind.

Anzeige

Roman Streisand wendet in der Schorfheide seinen Blick von den Wiesen ab, die ja schon eine Menge erklären. Warum sollte man hier auf sein Smartphone schauen? Streisand benutzt keines, er hat ein Telefon, Festnetz, und einen Internetanschluss im Haus. Morgens, gleich nach dem Aufstehen, spaziert er durch den Garten. Wenn es warm genug ist, ist er dabei nackt. Wenn schon Früchte reif sind, isst er sie gleich vom Baum. Er ist Mitte 60, sein Gesicht hat die verwitterte Bräune von Leuten, die viel an der Luft sind.

Sein Leben verdient er, ausgerechnet, mit der Sehnsucht der Menschen nach Geselligkeit. Streisand organisiert Mittelalterfeste oder führt als Spielmann durch altertümlich inszenierte Gelage. Er liebt die Bühne. Aber wenn er nicht regelmäßig allein sein kann, am besten ein paar Tage, hat er das Gefühl, völlig aus dem Gleichgewicht zu geraten. „Meine Aura wird eingedrückt“, sagt er.

Um die Aura wieder auszudehnen, drechselt er in der Werkstatt. Eine herrlich einsame Arbeit. Die Instrumente für seine Auftritte baut er selbst. Er schreibt Musikstücke. Er kocht Holunderblütensaft. Im Haus und auf dem Grundstück ist immer etwas zu tun. Einen Fernseher hat er nicht, aber selbst im Bad liegen Bücher herum.

Er habe Berlin damals verlassen, sich „von der Stadt getrennt“, genauso wie von der Frau, mit der er verheiratet war, weil das Bedürfnis nach dem Alleinsein so groß geworden sei.

Streisand zog in ein Dorf im Wald, in eine zugige, alte Bauernkate, später fand er in der Nähe den Gutshof, auf dem er nun seit 16 Jahren lebt. Berlin ist eine Autostunde entfernt, die Abgeschiedenheit ist erstaunlich schnell zu verlassen.

Es gehe darum, sich von den anderen zu entfernen, sagt Streisand. Und sich wieder zu nähern.

Das Signal Einsamkeit ist Teil eines biologischen Warnsystems

Einsamkeit ist ein Signal, das für den Menschen ebenso wichtig ist wie Hunger, Durst oder körperlicher Schmerz – was durch die Evolution im Menschen angelegt ist. Davon gehen Forscher wie der Neurowissenschaftler und Sozialpsychologe John Cacioppo von der University of Chicago aus. Cacioppo ist einer der wichtigsten Einsamkeitsforscher auf der Welt.

Das Signal Hunger sagt: Organisiere dir was zum Essen. Das Signal Einsamkeit sagt: Organisiere dir Kontakte. Und pass auf dich auf, solange du allein bist. Erhöhte Wachsamkeit.

Psychologisch ist es so, dass ein Teil der Reaktionen, die die Einsamkeit auslöst – Rückzug und erhöhte Wachsamkeit anderen gegenüber –, dem Wunsch nach neuen Kontakten im Weg steht
Psychologisch ist es so, dass ein Teil der Reaktionen, die die Einsamkeit auslöst – Rückzug und erhöhte Wachsamkeit anderen gegenüber –, dem Wunsch nach neuen Kontakten im Weg steh...t
Quelle: Getty Images

So kann man das evolutionäre Modell der Einsamkeit zusammenfassen. Einsamkeit sei ein Teil eines „biologischen Warnsystems“, das sich entwickelt hat, um Menschen auf „Schäden an ihrem sozialen Körper“ hinzuweisen, schreibt John Cacioppo. Gerade hat er in einem Fachjournal diese These noch weitergeführt. Einsamkeit sei ein Phänomen, das nicht nur Menschen betreffe.

Die Schafe von Roman Streisand in der Schorfheide kannten es womöglich.

Die soziale Isolierung – nicht das simple, selbst gewählte Alleinsein – setze auch Herdentiere unter Stress. In Springaffen steigt der Cortisolspiegel, wenn sie von ihren Gefährten getrennt werden. Präriewühlmäuse und Rhesusaffen werden depressiv. In einer Studie schliefen Mäuse, die isoliert wurden, schlechter.

Diese Mechanismen haben sich entwickelt, schreibt Cacioppo, weil sie hilfreich sind. Stressreaktionen sind Schutzreaktionen. Ein leichterer Schlaf ist ein wachsamerer Schlaf. Ein depressives Tier zieht sich zurück und ist somit vor Feinden versteckt. Die Schäden, die dauerhafte Einsamkeit an der Gesundheit verursacht, lassen sich so erklären. Ein einsames Gehirn befindet sich im Alarmzustand. Und es sucht auch nach Wegen, die Einsamkeit zu beenden.

Als Kind war er oft allein, aber er gruselte sich nie

Ein Buch, das Roman Streisand, der Einsiedler, als Kind liebte, hieß „Paul allein auf der Welt“. Es handelte von einem Jungen, der aufwacht und keinen anderen Menschen mehr sieht. Paul isst so viele Süßigkeiten, wie er mag und steuert eine Straßenbahn, aber irgendwann fängt er an, sich zu gruseln. Paul ist einsam geworden und sucht wieder Anschluss an seine Herde.

Diese Wendung habe er als Kind nicht verstanden, sagt Streisand. Ihm gefiel der Teil besser, in dem Paul allein glücklich war.

Streisand wuchs am Ostberliner Stadtrand als Einzelkind auf, in zwei Zimmern mit eigenem Eingang, vor und nach der Trennung der Eltern war er im Haus oft allein. Anders als Paul aus dem Kinderbuch gruselte er sich nicht. Nach der Schule bastelte er Figuren aus Pappmaschee und kümmerte sich um die Fasane und Schildkröten im Garten. Manchmal lud er die Nachbarskinder zum Spielen ein, und später zu Partys.

Es gibt Unterschiede in der Persönlichkeit von Menschen. Manche sind extrovertierter, andere introvertierter. Aber jedes Kind muss das Alleinsein lernen. Oder sollte es lernen.

Dietrich Munz, der Psychotherapeut und Vorsitzende der Kammer, sieht hier die größte und beunruhigendste gesellschaftliche Veränderung.

Erwachsene können nur allein sein, ohne unter Einsamkeit zu leiden, wenn sie als Kinder allein sein konnten, ohne dabei tatsächlich allein zu sein. Diese zunächst verwirrend klingende Theorie geht auf Donald Winnicott zurück, einen Kinderarzt und Psychoanalytiker aus England, er entwarf sie vor mehr als fünfzig Jahren. Das Kleinkind spielt für sich, weiß aber, dass jemand in der Nähe ist. Es lernt so ein gutes Alleinsein.

Eltern sollten beobachten, nicht ständig eingreifen

Zunehmend mehr Kinder lernen das nicht mehr, hat Dietrich Munz beobachtet. „Die Kinder werden zu oft abgelenkt und zu oft angeregt“, sagt er. Toll hast du das gemacht. Was möchtest du jetzt? Pass auf, das ist gefährlich. Zeigst du mir das mal?

„Erwachsene sollten mehr beobachten, nicht immer gleich eingreifen.“ Und keine ständigen Rückmeldungen erwarten. Andere Kinder werden zu wenig beachtet, „sie werden dem Alleinsein ausgeliefert“, vor einen Bildschirm gesetzt, wo sie Einsamkeitsgefühle zu überspielen lernen. Fähigkeiten zu entwickeln, auf sich zu vertrauen, mit sich selbst klarkommen, das lernen die Kinder in beiden Fällen nicht.

Die Tochter von Anna Martinsohn ist ein Jahr alt, und es sieht ganz danach aus, als entwickle sich das Mädchen wie ihre Mutter. „Man kann sie hinsetzen, dann spielt sie allein.“ Die Kleine kann auch schon Amsel und Kuckuck unterscheiden.

Anna Martinsohn gehört auch zu den Menschen, die das Alleinsein nicht fürchten, sondern herbeisehnen. Auch sie muss sich trennen, von ihrer Tochter, ihrer Frau, dem Job in Berlin, von der Stadt. Allerdings reichen ihr halbe Tage.

An ihrem idealen Nachmittag sitzt Anna Martinsohn allein auf einem Turm aus Holz, drei, vier Stunden lang, und wartet darauf, dass in dem Weizenfeld, das vor ihr liegt, die Sonne untergeht. Das Spiel der Farben, das in dem Feld dann beginnt, sei mit Worten nicht zu beschreiben, sagt sie. Wenn Martinsohn großes Glück hat, „kommt auch noch etwas vorbei, was man schießen kann“, denn der Turm ist ein Hochsitz und Martinsohn hat, wenn sie Berlin mit ihrem Auto verlässt, ihr Gewehr dabei. Sie ist Jägerin.

Das Jagen musste sie lernen, als sie Forstwirtschaft studierte, aber es stellte sich als ideales Hobby heraus. Es gehe nicht um das Schießen, sondern um das Eintauchen in die Natur, sagt Martinsohn.

Sie weiß, dass alles gut wird, wenn sie allein ist

Sie arbeitet in der PR-Abteilung des Deutschen Jagdverbands. Ausgerechnet in der PR. Ein Kommunikationsjob, in einem Büro, mitten in Berlin. Schon als Kind lief Anna Martinsohn, die in einem 300-Seelen-Dorf aufwuchs, am liebsten über die Felder.

Sie wurde groß mit der Gewissheit, dass alles gut wird, alles funktioniert, wenn sie draußen ist, und dieses Gefühl trägt sie. Von Menschen, die gern allein sind, hört man solche Sätze oft. Die Bäume sind doch da, die Vögel, die Sonne, der Wind. Was soll passieren?

Manchmal liest Martinsohn auf dem Hochsitz in einem Buch. Manchmal schaltet sie sogar ihr Smartphone ein. Um komplizierte Mails zu schreiben. Erst wenn sie allein ist, kann sie „eigene Gedankenwege“ durch ein Problem gehen. Erst wenn sie damit fertig ist, bespricht sie sich mit ihrer Frau. Die trainiert übrigens für Triathlons und braucht auch viel Zeit für sich selbst.

Alleinsein, das fühlt sich an wie ein großes, weißes Blatt, sagt Anna Martinsohn. Das Blatt liegt vor ihr, und wenn sie es betrachtet, beginnen ihre Gedanken ins Leere zu strömen.

Sie klingt wie ein Buddha aus dem deutschen Wald. „Alleinsein dient auch der Regeneration, man kann Dinge innerlich klären. In vielen Kulturen ist der Rückzug ein wichtiger Prozess“, sagt Dietrich Munz, der Psychotherapeut.

Wie man allein sein kann

Sara Maitland sagt, dass sich Alleinsein anfühlt, wie die Moorlandschaft, an deren Rand sie in Schottland lebt. Weit, geräumig, offen. Maitland lebt vollkommen abgeschieden, in einem selbst gebauten Haus. Keine Nachbarn in Sicht. Der nächste Laden 15 Kilometer entfernt. Kein Handynetz. Aber an den meisten Tagen kommt der Postbote vorbei.

Maitland ist Mitte 60, Schriftstellerin, sie hat über das Alleinsein ein kleines, nützliches Buch verfasst, das es bisher nur auf Englisch gibt. Es heißt „How to Be Alone“. Wie man allein sein kann.

Man erreicht Sara Maitland in ihrer Einöde per E-Mail. Fühlt sie sich nie einsam? „Nicht oft, um ehrlich zu sein. Außer, wenn ich das Federbett neu beziehen muss.“ Auch die Dachtraufe zu reinigen, könne frustrierend sein. „Allein krank zu sein ist abscheulich.“ Sie habe aber ein Telefon, mit dem sie ihre Kinder anrufen könne.

Es hätte ganz anders kommen können, Sara Maitland hätte, statt im Alleinsein das Glück zu finden, in Einsamkeit versinken können. Das Alleinsein war nämlich nie ihre Idee. Sie wuchs mit fünf Geschwistern auf. Sie heiratete und bekam zwei Kinder. Dann verließ sie ihr Mann.

Sara Maitland zog an den Stadtrand. Sie fühlte sich einsam, verlassen, verletzt, dann stellte sie fest, wie sehr sie die Stille mag.

Der Vereinsamte sucht Kontakt

Ein Sonderfall, wenn man Jenny Gierveld fragt, eine Einsamkeitsforscherin aus den Niederlanden, die sich mit Menschen in Sara Maitlands Alter und Lage befasst. Ältere Menschen, die nicht aus freien Stücken allein sind. Und meist auch einsam. Das sei ein riesiges, wachsendes Problem, sagt sie, aber grundsätzlich nicht zu verhindern, viele Menschen werden nun mal älter, und die Vereinzelung ist eine Realität.

Jenny Gierveld ist selbst 76 Jahre alt, sie erkundet seit fünfzig Jahren, wie sich die demografische Entwicklung auf das Lebensgefühl der Menschen auswirkt. Sie hat lange das Interdisziplinäre Institut für Bevölkerungsforschung in den Niederlanden geleitet.

Das Problem an der Einsamkeit sei, dass es fast keine Mittel gegen sie gibt, sagt Gierveld.

Leben im Zelt, ohne Heizung und fließendes Wasser

Rund 15 Männer und Frauen leben im „Teepee-Land“, einer Zeltstadt in Berlin-Friedrichshain. Zwar haben alle Bewohner eine Arbeit, dennoch verzichten sie bewusst auf den Komfort einer festen Wohnung.

Quelle: Die Welt

Psychologisch ist es so, dass ein Teil der Reaktionen, die die Einsamkeit auslöst – Rückzug und erhöhte Wachsamkeit anderen gegenüber –, dem Wunsch nach neuen Kontakten im Weg steht. Der Vereinsamte sucht zwar anfangs Kontakt, ist aber anderen gegenüber misstrauischer. Schnell fühlt er sich in seinem Eindruck, abgelehnt und isoliert zu sein, bestätigt, und zieht sich weiter zurück. Der Einsamkeitsforscher John Cacioppo hat diesen Teufelskreis beschrieben. Einsamkeit ist ein Zustand, der sich hartnäckig festsetzen kann.

Es gibt wenig, was die Gesellschaft tun kann, um die Leute herauszuholen. Man habe weltweit einiges versucht, sagt Jenny Gierveld. Eine Freundin von ihr habe einen Kurs für Menschen entwickelt, deren Partner gerade verstorben sind. Einen Wie-gewinnt-man-Freunde-Kurs. Das funktioniere einigermaßen. Die Einsamkeit ist noch frisch. Die erste Aufgabe bestehe darin, die Leute daran zu erinnern, wie es früher war. Sie sollen sich an alte Freunde erinnern – und diese anrufen.

Er sehnt sich nach einer Frau, der es so geht wie ihm

Nach all den Jahren als Einsamkeitsforscherin ist Gierveld dazu übergegangen, den Menschen, vor denen sie Vorträge hält, einen Rat zu geben. „Bauen Sie einen Freundeskreis auf und pflegen Sie ihn.“ Egal, wie anstrengend der Job, die Ehe, die Kinder werden. Der Job, die Ehe, die Kinder verschwinden wahrscheinlich irgendwann.

Es sei auch gut, ein Hobby oder eine Leidenschaft zu pflegen. Die Menschen sollten versuchen, sich auf das Alleinsein vorzubereiten, sagt Jenny Gierveld. Es wird kommen.

Roman Streisand, der Mann aus der Schorfheide, hat sich immer wieder verliebt, ein kompletter Einsiedler wollte er nie sein. Er hat vier erwachsene Kinder von vier Frauen, aber im Moment keine Freundin. Er träumt von einer Frau, der es so ähnlich geht wie ihm. Einer Künstlerin, die viel Zeit für sich selbst braucht. Die in der Nähe leben würde, vielleicht sogar auf seinem Gutshof, aber in einer eigenen Wohnung.

Alleinsein ist süß, sagt Streisand. Oder eher bittersüß. Manchmal fühle es sich beinahe an wie Einsamkeit.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema