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Partnerschaft Kieler Haushaltswarengeschäft

Traditionsläden wie dieser sind ein Seismograf für die Zeitläufe

„Große Kartons, gepackt im Lager“: Timo Langer in seinem Geschäft Kröhnke & Lau in der Kieler Innenstadt „Große Kartons, gepackt im Lager“: Timo Langer in seinem Geschäft Kröhnke & Lau in der Kieler Innenstadt
Überblick trotz Riesenauswahl: Timo Langer in seinem Geschäft Kröhnke & Lau in der Kieler Innenstadt
Quelle: Johannes Arlt
Vorlegeplatten bis Kabelbinder: Ein Eisenwaren- und Hausratsladen in Kiel bietet Tausende Produkte und viel persönliche Ansprache. Aber kann er mit den Großen wirklich mithalten? Hommage an ein gestriges Zukunftsmodell.

Früher war mehr Porzellan. Oder besser: Früher war das mit dem Porzellan anders. Junge Paare bekamen ein ganzes Service zur Hochzeit geschenkt, mit Suppenterrine und Schüsseln, Vorlegeplatten, Dessert-, Suppen- und Esstellern. „Wir hatten die großen Kartons fertig gepackt im Lager“, sagt Timo Langer, Inhaber der Eisenwaren- und Hausrat-Handlung Kröhnke & Lau in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel. Gegründet wurde das Geschäft im Kaiserreich 1909. Langers Familie führt es seit 1969. Seit 2008 ist er Chef, dritte Generation.

Als Kind machte Langer in der Porzellanecke des Ladens seine Hausaufgaben – vielleicht steht ihm deshalb der gesellschaftliche Wandel, der am Absatz von Geschirr abzulesen ist, so klar vor Augen. „Die Kunden kaufen ihre ersten Sachen heute häufig bei Ikea“, sagt er, „und es kommt nicht mehr darauf an, dass alles zusammenpasst.“ Die Vorstellung von Gutbürgerlichkeit hat sich verändert, und auch die stetig wachsende Zahl der Single-Haushalte prägt den Bedarf. Was soll selbst der feierfreudigste Single mit zwölf Suppentassen?

Der Markt verändert sich ständig, aber das Geschäft läuft gut, trotz Ikea, trotz der Konkurrenz durch Baumärkte, Onlinehandel und Corona. In vielen deutschen Städten hält sich das eine oder andere ähnliche Traditionshaus, C. Adolph in Berlin etwa, Carl Göckelmann in Stuttgart oder Johann Friedrich in München. Wie kann das sein?

Vollgestopft, aber ordentlich: Der Verkaufsraum
Vollgestopft, aber ordentlich: Der Verkaufsraum
Quelle: Johannes Arlt

Der Verkaufsraum von Kröhnke & Lau in Kiel wirkt auf eine charmante Weise altmodisch, er ist vollgestopft, aber ordentlich: links Töpfe und Pfannen, rechts Geschirrhandtücher, Porzellan und Glas. Seitlich der Kassentresen; auf engstem Raum geht es weiter mit Scheren und Messern, Silikon-Backpinseln und Tarte-Formen, Staubsaugerbeuteln, Putzmitteln, Farben, Lacken, Steckern, Kabeln, Blumentöpfen, Saatgut, Werkzeug, Kabelbindern, Vorhängeschlössern und Bleiband für Gardinen. Die Stirnwand des Raumes ist gleichsam auch dessen Altar: Hier befindet sich das Schraubenregal mit den alten Holzschubladen. Auf denen kleben, je nach Inhalt, alle Dübel, Haken, Ösen, Nägel, Muttern und eben Schrauben, die ein normales menschliches Gehirn sich nur vorstellen kann – und die einzeln erwerbbar sind.

Nicht einmal der Inhaber weiß, wie viele unterschiedliche Artikel er eigentlich führt. Tausende? Mehr? Die Nachbestellungen werden von Hand erledigt. Wenn die Kochtöpfe knapp werden, haben Timo Langer und seine Mitarbeiter das im Gefühl. Und wenn es um einen exotischeren Wunsch geht, ist man nicht auf einen Hersteller festgelegt.

Der Hauptgrund für den beständigen Erfolg sei sicher die Lage, sagt Langer: „In anderen Innenstädten passiert bis elf Uhr vormittags manchmal gar nix. An unserem Standort haben wir viel Laufkundschaft. Bei uns kommen schon ab neun Uhr morgens viele ältere Menschen oder junge Mütter, die früh unterwegs sind.“

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Der Standort, das ist die Holtenauer Straße in Kiel, und die ist ein Phänomen: Dort haben sich die eigentümergeführten Einzelhandelsgeschäfte gehalten, die in anderen Stadtzentren reihenweise eingehen. Übrigens auch in Kiel selbst: Die eigentliche Innenstadt, die im Wesentlichen aus der Holstenstraße, der ersten deutschen Fußgängerzone, besteht, wird vom Leerstand zerfressen. Mit astronomischen Mietforderungen wurden die alteingesessenen Kaufleute verdrängt. Inzwischen ist die Lage aber offenbar auch für die zahlungskräftigen Ketten nicht mehr attraktiv: Eine Filiale nach der anderen schließt.

Umso mehr floriert das Nebenzentrum Holtenauer Straße: Hier bilden die Kaufleute eine aktive Gemeinschaft, organisieren Events, Straßenbegrünung und Weihnachtsdekoration. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wurde die Fachgeschäftemeile mit ihren vielen Cafés kürzlich als „eine Art kleiner Prenzlauer Berg“ beschrieben.

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Was Kröhnke & Lau angeht, gibt es neben der Lage noch andere Erfolgsfaktoren. Langer und sein Team beraten auch bei zwei Euro Materialwert für eine Handvoll Schrauben ausführlich. Können sie nicht weiterhelfen, kennen sie den einschlägigen Klempner oder Glaser um die Ecke. Ist der älteren Dame der Sonnenschirm zu sperrig oder der Sack mit Blumenerde zu schwer, bringen die Mitarbeiter den gewünschten Artikel in ihrer Mittagspause vorbei. Meistens ist Zeit für eine Unterhaltung.

Der Laden war schon da, bevor die autogerechte und später die Fahrradstadt kamen, vor den Einkaufszentren und vor Amazon
Der Laden war schon da, bevor die autogerechte und später die Fahrradstadt kamen, vor den Einkaufszentren und vor Amazon
Quelle: Johannes Arlt

Zwei bis drei Mal im Jahr fahre er auf die einschlägigen Branchenmessen, um neue Trends kennenzulernen. „Man muss ja versuchen, vorne dranzubleiben“, sagt Langer. Ein ständiges Wettrennen, nicht nur mit den Baumärkten und den Einkaufszentren auf der grünen Wiese, sondern auch mit den großen Discountern wie Lidl und Aldi: „Eine Zeit lang hatten wir zum Beispiel einen tollen Kugelgrill im Angebot, kompakt und praktisch. Aber dann tauchte der bei einem der Discounter auf – und mit dessen Margen können wir nicht mithalten.“ Insgesamt versuche er, sich durch Qualität abzugrenzen: „Es gab einmal einen Milchaufschäumer für 2,95 Euro. Bei dem Preis hält so ein Ding nicht ewig. Mein Eindruck ist: Den kaputten Aldi-Aufschäumer werfen die Leute einfach weg. Zu uns kommen sie und reklamieren. Deshalb vermeiden wir inzwischen Produkte aus dem Niedrigpreissegment.“

Ein Haushaltswarengeschäft ist eine Art Seismograf für die Zeitläufe. Warnen Zeitungsberichte vor Mikroplastik, wollen alle sofort Wasserkocher aus Edelstahl. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs gingen mehr Campingkocher über den Ladentisch als sonst. Heizlüfter sind auf absehbare Zeit ausverkauft. Der nachhaltigste Trend heißt Nachhaltigkeit: Trinkflaschen und die Behältnisse zur Lebensmittelaufbewahrung verkaufen sich seit Jahren gigantisch gut. Einmachen wie zu Urgroßmutters Zeit hat Mega-Konjunktur. Und je nach aktueller Kochserie im Fernsehen fragen die Kunden nach der Biolek-Pfeffermühle oder der Tim-Mälzer-Grillzange.

Auch wie zu Urgroßmutters Zeit

Durch die zwei Corona-Jahre sei man recht gut hindurchgekommen, weil alle mehr zu Hause gekocht hätten, sagt Langer. Pfannen und Töpfe seien wie von selbst aus dem Geschäft herausmarschiert. Trotzdem sei es vor allem im ersten Lockdown 2020 gruselig gewesen zu beobachten, wie das Konto jeden Tag weiter in den Keller rauschte. Und nun drohe die Inflation. „Bisher merken wir davon noch nicht so viel“, sagt Langer, „vermutlich, weil wir vor allem Dinge verkaufen, die die Menschen wirklich brauchen.“ Trotzdem sehe er mit Sorge auf das Weihnachtsgeschäft und das nächste Frühjahr.

Doch der alte Laden hat zwei Weltkriege überstanden, eine Revolution und eine Diktatur, Bombenangriffe und Hungerwinter. Er war da, bevor die autogerechte und später die Fahrradstadt kamen, vor den Einkaufszentren am Stadtrand und vor Amazon. Wie sagt man heute so modern? Dieser Eisenwarenhandel ist resilient.

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