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DER Stuhl, DIE Rübe – Warum ist unsere Sprache so unlogisch?

Mann auf Stuhl neben roter Rübe Mann auf Stuhl neben roter Rübe
Grammatikalisch ist der Stuhl männlich und die Rübe weiblich. Aber in der realen Welt sind beides: Dinge
Quelle: Getty Images/PhotoAlto/Spohn Matthieu; Getty Images/Moment RF/IMAGINESTOCK
Es heißt „das Kleid“ – eine Sache bekommt den neutralen Artikel. Doch warum ist „der Stuhl“ männlich und „die Rübe“ weiblich? Ein Sprachwissenschaftler erklärt diese Eigenart des Deutschen, die Deutschlernende verzweifeln lässt.

Was haben Immanuel Kant, der TÜV und die deutsche Rechtschreibung gemeinsam? Sie alle stehen für die typisch deutsche Genauigkeit.

Kant teilte seinen Tag pedantisch ein, ging zum Beispiel um exakt sieben Uhr spazieren. TÜV-Mitarbeiter suchen, finden und dokumentieren bei der Hauptuntersuchung jeden Mangel. Und die deutsche Rechtschreibung hat der Rat für deutsche Rechtschreibung mit, sagen wir, „Liebe zum Detail“ reguliert. Wie kann es dann sein, dass die Sprache eines solchen Landes in vielen Punkten dermaßen frei von Regeln ist?

Ab ins Vernehmungszimmer! Angeklagt sind: die Artikel der deutschen Sprache

Vernehmungszimmer der Mordkommision der Bezirkskriminalinspektion K1
Artikel „DIE“ ist im Vernehmungszimmer. Ob „DIE“ Komplizen belastet? Zum Beispiel weitere Angeklagte wie „DER“ oder „DAS“ – oder gar „EIN“?
Quelle: picture alliance/Caro/Seeberg

Gegen die windigen Übeltäter wurde Anzeige erstattet. Und zwar von all jenen geplagten Seelen, die Deutsch lernen wollen, aber bei der Wahl der richtigen Artikel (und übrigens auch Pronomina) verzweifeln.

Wie schrieb schon DIE berühmteste dieser geplagten Seelen, Mark Twain (1835–1910), in IHRER Erzählung „Die Schrecken der deutschen Sprache“: „Jedes Hauptwort hat einen Artikel; aber da ist kein System und Sinn in der Anwendung desselben, sodass nichts übrig bleibt, als jeden Artikel zu jedem Wort besonders auswendig zu lernen. So hat zum Beispiel in der deutschen Sprache ein junges Mädchen kein Geschlecht, während eine Steckrübe ein solches hat.“

An anderer Stelle fehlt das Wort gleich ganz

DIE Rübe wird mit dem weiblichen Genus (grammatikalisches Geschlecht) gewürdigt, DAS Mädchen grammatikalisch zur Sache degradiert. Der Autor von „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“, der die deutsche Sprache trotzdem liebte, traf einen wunden Punkt: Wie entscheidet sich, dass die Dinge grammatikalisch nicht sächlich sind, sondern weiblich oder männlich? Dass es „die Rübe“ ist und eben nicht „das Rübe“? Und warum muss „der Strafzettel“ wieder männlich sein (na schönen Dank auch!)?

Strafzettel unter Scheibenwischer
Der Strafzettel: männlich, mahnend, mies fürs Portemonnaie
Quelle: picture alliance/dpa/Paul Zinken

Wie kann es sein, dass die Substantive im Rechtschreibduden mit nur einem Artikel nur zu 20 Prozent sächlich sind, zu 34 Prozent männlich und zu 46 Prozent weiblich? Die typische Antwort, die man bekommt, ist: „Das hängt vom Sprachgebrauch ab.“ Kritische Geister, denen so eine Antwort nicht reicht, klärt Professor Eric Fuß genauer auf. Er lehrt und erforscht germanistische Linguistik, insbesondere Sprachgeschichte und historische Linguistik, an der Ruhr-Universität Bochum.

Er hält fest: Der Grund für das Chaos der Geschlechter liegt im Konzept unserer Sprache.

Im Deutschen haben wir ein grammatisches Genus-System: Das transportiert keine Bedeutungseigenschaften.
Professor Eric Fuß, Linguist Ruhr-Universität Bochum

„In den frühesten Zeugnissen des Deutschen, vor zwölfhundert Jahren, gab es eventuell klarere Tendenzen bei der Genus-Zuordnung.“ Aber auch hier deutete sich schon Chaos an. Und über die Jahrhunderte verselbstständigte sich die Sprache. Und dass man schon damals den Dingen in unterschiedlichen Dialekten unterschiedliche Geschlechter gab, machte die Sache nicht besser.

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Genus-Systeme wie das Deutsche sind einfach schon lange auf der Welt, da sind viele unabhängige Wandlungsprozesse passiert. „Woher das Genus kommt, lässt sich nicht eindeutig sagen“, so Fuß.

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Immerhin, es gibt noch Tendenzen: Schiffe („die Titanic“) sind weiblich. Kleinere Flüsse auch („die Spree“, „die Leine“), aber eher nicht große. Die sind männlich („der Rhein“, „der Amazonas“). Wobei es auch viele Ausnahmen gibt: „der Donau“ und „der Elbe“ hören sich irgendwie komisch an.

Und wie geht es dir bei diesem berühmten Zweifelsfall?

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Zumindest Verkleinerungen, Diminutive, sind immer sächlich. Dieses Schicksal ereilte auch „das Mädchen“, das vom „Mägdchen“ stammt, was das Diminutiv von „Magd“ ist. Und bei den motorisierten Gefährten haben wir Deutsche uns die Regelversessenheit bewahrt: Autos („der Mercedes“) sind maskulin („die Corvette“ fährt außer Konkurrenz) und Motorräder („die Harley“) sind weiblich. Gemüse ist meistens männlich: „der Wirsing“, „der Lauch“ … aber eben auch „die (miese) Rübe“. Diese Regelbrecher-Rüben, sie schlagen überall zu.

Oder wie Professor Fuß die deutsche Genus-Zuordnung abschließend zusammenfasst: „Es ist alles Kraut und Rüben im Deutschen.“

Working on an allotment
Rübenernte: Genus verwirrtes Gemüse hat wieder Saison
Quelle: Getty Images/Nick David

Muss es so laufen?

Die Rote Rübe heißt im Italienischen übrigens „barbabietola“ – mit der a-Endung ist im Italienischen klar: Das Wort ist weiblich. Sächlich hat man sich gleich ganz gespart, ebenso wie die Franzosen, die übrigens alle Wörter auf „-en“ dem maskulinen Genus zuordnen. Wenn das auch nicht immer mit dem Sexus, dem tatsächlichen Geschlecht, übereinstimmt – „le chien“ ist der Hund – kann man so zumindest die Artikel besser lernen.

Die Schweden und Dänen haben weiblich und männlich zusammengelegt, zum „Utrum“, aber verpassen das auch Dingen („en stol“). Wer es einfach haben will, ist beim Englischen gut aufgehoben. Da gibt es nur „the“. Na gut, bei den Personalpronomen hält man sich zwar nicht immer an das natürliche Geschlecht, eine Katze zum Beispiel ist nicht immer „it“ … Aber hey, es sind Katzen!

Außerdem verweist Sprachforscher Professor Fuß auf jene Sprachen, in denen Wörter nach Bedeutung markiert werden: Längliche Gegenstände bekommen zum Beispiel andere Endungen als rundliche Gegenstände. „Solche viel eindeutigeren ‚Nominalklassensysteme‘ haben sich in manchen afrikanischen Gebieten entwickelt.“ Bantu-Sprachen wie Swahili seien gute Beispiele dafür. Diese beinhalten Nominalklassensysteme für Tiere, Pflanzen, Werkzeuge und so weiter.

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Aber hey, mit unserem Genus-Wirrwarr kommen die meisten von uns ja ganz gut zurecht. Zum Schluss noch ein Vorschlag, um das ganze vollends chaotisch zu machen: Warum tauschen wir nicht einfach mal die Geschlechter? „Die Opa“ wird sich noch wundern, wenn er „den Oma“ küsst. Dann gibt´s was auf „das Rübe“. Ende!

Schreibt bitte weitere Sprach-Unlogiken, die euch regelmäßig plagen, in die Kommentare.

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