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Als Schießen noch radikale Bürgerpflicht war

Schützenvereine werden oft misstrauisch beobachtet. Das war nicht immer so, denn früher waren sie die bewaffnete Zivilgesellschaft gegen die Fürsten.

Alte Liebe rostet nicht. Kurz vor Eröffnung der Feierlichkeiten zum 150. Gründungsjubiläum des Deutschen Schützenbundes haben dessen Präsident Josef Ambacher und Prinz Andreas von Sachsen-Coburg-Gotha am Grab Herzog Ernsts II. auf dem Glockenberg in Coburg einen Kranz niedergelegt, Lorbeer mit drei schwarz-rot-goldenen Schleifen. Der „Schützenernst“ hat es verdient, dass ihm wieder einmal eine solche Aufmerksamkeit zuteil wird. Er ist zu Unrecht vergessen.

Vor 150 Jahren war er eine ebenso schillernde wie populäre Zentralfigur der deutschen Politik. Die Coburger Dynastie war mit allen führenden Fürstenhäusern Europas verschwägert, Ernsts Bruder Albert der Prinzgemahl der Queen Victoria. Zuhause im Deutschen Bund hatten die Coburger Kleinfürsten aber nicht viel zu melden.

Turner, Sänger und Schützen – das riecht nach Revolution

Deshalb suchte sich der politisch ehrgeizige Ernst ein erweitertes Betätigungsfeld. Er fand es in den nationalen Zusammenschlüssen der Turner, Sänger und Schützen, die zu Beginn der 1860er Jahre zu einer politischen Massenbewegung zusammenwuchsen, die den Faden von 1848 wieder aufnehmen wollte.

Auch den Deutschen Nationalverein, in dem sich das liberale und demokratische Bürgertum sammelte, förderte der Herzog und erlaubte ihm, seine zentrale Geschäftsstelle, Objekt nervöser Neugierde der politischen Polizeien aller deutschen Staaten, in Coburg zu unterhalten.

Ernst setzte sich, so schreibt er es in seinen Memoiren, an die Spitze, um diese Nationalbewegung in „geordnete Bahnen“ zu lenken, sprich: ihr den revolutionären Stachel zu ziehen. Das hinderte ihn aber nicht daran, mit notorischen Republikanern und roten Demokraten zu kooperieren.

Es roch damals tatsächlich nach Revolution – ein bisschen jedenfalls. Die Sänger hatten bei den Feiern zum 100. Geburtstag Friedrich Schillers 1859 das Vaterland noch besungen und manchen Pokal güldenen Weines geleert. Die Turner wurden dann schon handgreiflicher und fingen an, Wehrertüchtigung für den nationalen Befreiungskrieg zu betreiben.

Demokraten gründeten den Schützenbund

Da war es dann zum Schießgewehr nur noch ein kleiner Schritt. Die Initiative zur Gründung des Schützenbundes ging von Frankfurter Demokraten aus, die in der politischen Turnbewegung schon aktiv waren. Leopold Sonnemann, der Verleger der „Frankfurter Zeitung“, gehörte zu ihnen oder auch Johann Baptist von Schweitzer, der Jahre später Nachfolger Ferdinand Lassalles an der Spitze des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins werden sollte und damit zur Vorgeschichte der SPD gehört.

Mit den verzopften traditionellen Schützengilden und ihrem Brauchtum hatten diese Männer nichts im Sinn. Militärische Expertise steuerte Wilhelm Rüstow bei, ein preußischer Offizier, der im Schweizer Exil lebte und zuhause steckbrieflich gesucht wurde. Er propagierte als angesehener Militärschriftsteller die allgemeine Volksbewaffnung und die Abschaffung der stehenden Heere.

Natürlich gab es neben diesen Radikaldemokraten auch gemäßigte Liberale, die in der allgemeinen Wehrertüchtigung die Chance sahen, den Militärdienst zu verkürzen und Kosten zu sparen. Und auch unpolitische Schützen fühlten sich angezogen, denen es nur um den Wettkampf ging. Ernst schaffte es, diese bunte Truppe zusammenzuhalten und auf ein dreifaches Ziel zu verpflichten: Verbrüderung aller deutschen Schützen, Vervollkommnung in der Kunst des Büchsenschießens, Hebung der Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes. Da konnte sich jeder herausnehmen, was er brauchte.

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Der wichtigste Beschluss, den die Gründungsversammlung des Schützenbundes, die anlässlich eines thüringischen Turnerfestes in Gotha zusammenkam, fasste, war die Ausrichtung eines Ersten Deutschen Bundesschießens in Frankfurt am Main im Jahr darauf. Es wurde zu einem Großereignis.

Die Bundestruppen waren in Alarmbereitschaft versetzt, die „Gartenlaube“ versorgte ihre Leser mit schwärmerischen Berichten – „es war ein wunderbares Treiben, ein Märchen aus tausend und einer Nacht zu Fleisch und Blut geworden“. Und in den „Illustrierten Festblättern“ hieß es: „In der magisch von goldigem Licht erhellten und in den mannigfachsten Farben dekorierten Schützenfesthalle bildete sich wie von selbst die Rednertribüne für das deutsche Volk.“

Schießen gehört zur Demokratie

Damals galt: Je radikaler man für Freiheit und Demokratie eintrat, desto schärfer war man aufs Schießen. Bürgerliche Öffentlichkeit, ein neues „Vorparlament“, konstituierte sich unter dem Knattern der Büchsen und in Schwaden von Schwarzpulverdampf. Die Zivilgesellschaft, die sich auf dem Festplatz selbstbewusst feierte und Fürstenmacht und Obrigkeitsstaat herausforderte, war bis an die Zähne bewaffnet. Uns Heutigen will das schwer eingehen. Den Gedanken, dass die Kunst des Büchsenschießens irgendetwas mit Freiheit und Demokratie zu tun haben könnte, halten viele für pervers, entsprungen den Hirnen krankhafter Waffennarren.

Der Schützenbund, in dem heute immerhin eineinhalb Millionen Bürger organisiert sind, zu denen auch Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs , gehört, will mit seinen hoch politischen Anfängen auch nicht so recht mehr etwas zu tun haben. Er pflegt, völlig unpolitisch, den Schießsport und verweist ansonsten, übrigens völlig zu Recht, darauf, dass die Schützenvereine gerade auf dem flachen Land wichtige Agenturen der sozialen Integration seien.

Er kämpft gegen die mit jedem Amoklauf voranschreitende Verschärfung des Waffenrechts und kann doch nicht verhindern, dass private Waffenbesitzer heute unter einem Generalverdacht stehen und sich Kontrollen unterwerfen müssen, die mit unserer Rechtsordnung schwer zu vereinbaren sind. Die Verhältnisse haben sich schlicht umgedreht. Vor 150 Jahren waren es die Konservativen, die das Volk von den Waffen fernhalten wollten.

"Gesetzestreue Stützen der Gesellschaft"

Achselzuckend haben die Deutschen die Abschaffung der Wehrpflicht hingenommen. Dieser Schritt wird nicht damit begründet, dass der allgemeine Weltfrieden ausgebrochen sei. Genau umgekehrt geht das Argument: Wir führen wieder Kriege und werden auch in Zukunft Kriege führen müssen.

Die Wehrpflicht muss abgeschafft werden, damit die Bundeswehr am Hindukusch oder sonst wo richtig zuschlagen kann. Jedem Erzdemokraten müssten eigentlich jetzt die Haare zu Berge stehen. Wenn die Freiheit Deutschlands überall auf der Welt verteidigt werden muss, dann sollte das nicht die Sache der Bürger sein? Und wenn es den Bürgern nicht einleuchtet, dass Landesverteidigung weltweite Interventionsfähigkeit bedeuten muss, woraus ergibt sich dann die Legitimation einer Interventionsarmee?

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Der Bundesinnenminister wird sich hüten, über solche Fragen zu reden, wenn er am Sonntag den Festakt in Gotha besucht. Er wird die Schützen als gesetzestreue Stützen der Gesellschaft loben und sie um Verständnis dafür bitten, dass die öffentliche Sicherheit manche Abstriche an der Freiheit fordert, vor allem wenn es um Schießgewehre geht.

Und wenn es dann doch Gegrummel gibt, sollte er vielleicht über Biathlon reden. Biathlon ist zu einer beliebten Publikumssportart geworden. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der öffentlich, unter freiem Himmel geschossen werden kann, ohne dass sich Protest erhebt.

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