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Kultur Konzert

Das erstaunliche Comeback von Portishead

Redakteur Feuilleton
Das britische Musikprojekt Portishead genehmigt sich ein drittes Album und eine kleine Tournee: Beth Gibbons faszinierende Stimme betet im Lied "Machine Gun", erzählt in "The Rip" zart von wilden Pferden und harmoniert in "Deep Water" mit einem Chor. Ein überraschend offenes Konzert in Berlin.

Früher war mehr Blau. Das wird einem bewusst, wenn die sechs Musiker, die heute auf der Bühne die Band Portishead verkörpern, Stücke aus den Neunzigerjahren spielen und dabei in einem Meer von blauem Licht abtauchen. In erstaunlichen Nuancen: „Mysterons“ erscheint tiefblau, „Sour Times“ eher violett, bei „Cowboys“ liegt der Ton exakt dazwischen, und bei „Numb“ spielt alles ins Türkise.

„Only You“ wird illustriert vom Video-Klassiker des Regisseurs Chris Cunningham. Die Sängerin Beth Gibbons treibt in einem Wassertank; dadurch erfährt das Blau der Bühne einen Stich ins Graue. Noch sind die Historiker sich uneins, was und wie genau die Neunzigerjahre waren. Sicher ist: Es gab diese Musik aus Bristol mit der unschönen Bezeichnung TripHop.

Musik fürs Kulturfernsehen



Massive Attack nannten ihre erste Platte „Blue Lines“, 1994 debütierten Portishead mit ihrem dunkelblauen „Dummy“. Etikett und Farbgebung erledigten auch die Musik beizeiten. Portishead verschwanden vor zehn Jahren nach dem zweiten Album „Portishead“ und einem Symphonieorchester-Mitschnitt aus Amerika.

Die oben aufgeführten Stücke liefen weiter im Kulturfernsehen und in sogenannten Lounges. Neugierige überließen die Musik den Lavalampen. Aktivisten wie Robert Del Naja von Massive Attack schrieben selbst ins Internet: „Bristol, Friedhof der Ambitionen!“ Auch Geoff Barrow aus dem Vorort Portishead und Gründer des Projekts empfiehlt die längst kanonisierten Nummern nur noch zum „Fondue mit Freunden“.


Dennoch möchten Portishead beim Gastspiel in Berlin auf die Begleitmusik der Neunziger nicht verzichten. Die Columbiahalle birgt ein dichtgedrängtes und erwartungsfrohes Publikum. Am 25. April erscheint ein drittes Album mit dem Titel „Third“. Man darf schon jetzt verraten: Portishead verlassen sich nicht auf die altbewährten Reize des verschlurften Beats und des gemütlichen Geknisters.




Klare Bühnensicht, statt Geheimnissen


Das Projekt hat einiges hinter sich gelassen. Es befasst sich intensiver mit der Gegenwart. Ein breites Publikum ist aus Erfahrung langsamer aber nicht stur. Daher die Klassiker, konservativ gespielt, im Blaulicht. Überhaupt war früher weniger Licht. Bei Portishead-Konzerten stand man manchmal ganz im Dunkeln, während sich die Musiker in Zigarettenrauch und Nebel an dubiosen Klangquellen zu schaffen machten.

Heute findet die Musik im Hellen statt. Für die acht neuen Stücke wird die Bühne ausgeleuchtet wie ein zumutbarer Arbeitsplatz. Wer weiter hinten steht, kann auf der Videowand verfolgen, wie der Gitarrist Adrian Utley das Pedal tritt und mit welchen Filzschlägeln Geoff Barrow seine Digitalmatten bearbeitet. Geheimnisse werden nicht mehr durch dämmeriges Farblicht vorgegaukelt.

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Jeder sieht, was aus modernen Samplern oder aus antiken Synthesizern abgerufen wird und wann ein Geigenbogen über die Gitarre streicht. Was nicht bedeutet, dass nichts mehr geheim bleibt: Für die nötige Düsternis sorgt heute die Musik. Das Stück „Machine Gun“ etwa hält, was es verheißt und bettet die Gebete von Beth Gibbons auf die Rhythmen schießender und nachladender Waffen.

Zarte Folksongs plus Klanglabor

Schon die Beatles wussten: Glück ist ein warmes Gewehr. Das Album „Third“ grenzt an ein Wunder. „Third“ erhebt die nicht gerade heiß ersehnte Wiederkehr von Portishead im Frühling zum Kulturereignis. Die elf neuen Stücke lösen ein vergessenes Versprechen ein: Musik darf ihrem Konsumenten etwas abverlangen. Es gibt abweisende Ansammlungen von Geräuschen wie das rätselhafte „Plastic“, und es gibt Grotesken wie „Deep Water“, wo ein Chor von Arbeitern aus Somerfield zur Ukulele singt.

In zarte Folksongs wie „The Rip“ - Beth Gibbons singt darin beseelt von wilden Pferden - mischt sich irgendetwas aus dem Klanglabor. Die Hammondorgel im Stück „Small“ erinnert heikel an Deep Purple. Wiederholt deuten sich Vorlieben für ehemals progressive Rockmusik, experimentelle Elektronik, Drehleiern und Freejazz an. Doch Portishead verwandeln jede dieser Obsessionen in begeisternde Musik, zu der ein zartes Wesen wie Beth Gibbons klagen kann.


Über Verluste, abwesende Heilige oder den freien Fall. War das, was TripHop hieß, der Soundtrack zu den sinnlosen Verrichtungen unter der Wirtschaftsblase in den Neunzigern, lädt „Third“ nicht unbedingt zum Milchschaumlöffeln ein. Man täte Portishead natürlich unrecht, ihnen TripHop anzulasten.


Lernen von Massive Attack

Die Musik entstand in Bristol folgerichtig in der Soundsystem-Kultur der ethnisch offenen Szene. In den Neunzigern wurde die Hafenstadt zum „Kreativzentrum“ des Neuen Marktes. In einem der Studios diente auch Geoff Barrow. Er war anwesend, als Massive Attack „Blue Lines“ mischten. Musiker wie Tricky führten in den Clubs und Studios wieder Spielarten wie HipHop, Dub und die verrufene Kunst des Popsongs zueinander.

Dass diese Musik, wie man so sagt, das Lebensgefühl traf, bis in die After-Work-Clubs von Berlin hinein, war auch ihr Fluch. Sie war nie übertrieben schroff und temporeich. Es wurde in dieser Musik geflüstert (Massive Attack) und gewimmert (Portishead). Nach 1998 war es das Vernünftigste, sich anderen Dingen zuzuwenden. Barrow legte auf und mixte.

Gibbons sang auf ihrem eigenen Album „Out Of Season“ Folksongs. Wenn sich Portishead gelegentlich zusammenfanden, dann aus guten Gründen. Um Tom Jones ein Lied zu liefern, um sich vor Serge Gainsbourg zu verneigen, um für Katastrophenopfer Spenden einzuspielen. Heute geht es Portishead darum, die Blaue Phase hinter sich zu lassen.

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Bühnenauftritt am 6. April in Köln

Portishead: The Third (Island) erscheint am 25. April

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