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Kultur Händel

Der "Messias" ist hier immer noch unterschätzt

Freier Feuilletonmitarbeiter
Das großartigste Gotteslob: Der "Messias" ist nach wie vor Händels populärstes Werk. Warum nicht in Deutschland?

Am 14. April, Händels 250. Todestag, werden sie es in der Westminster Abbey, über seinen Grab, wieder tun: Aufstehen, wenn das "Hallelujah" aus Händels Messias (englisch: "Messiah") erklingt. So wie es nur in London üblich ist. Angeblich soll die Tradition bis auf König Georg II. zurückgehen. "Hallelujah" - hebräisch für "preiset Jahwe", das haben auch in der Folge Leonard Cohen und Rammstein geschmettert, 1979 gewann die Gruppe Milk & Honey damit sogar den Eurovision Song Contest. Diese einfachste, aber eben auch mitreißendste Form des gesungenen Gotteslobs wirkt immer. Die Stimmen erheben, auch wenn man sitzen bleibt, ob es 16 sind, wie in Ton Koopmans Magerquark-Version oder 4000 - wie 1885, zu Händels 200. Geburtstag im Londoner Kristallpalast, nebst 500 Orchestermusikern und 87 769 zahlenden Zuhörern.

Diese wenigen Minuten gehören zu einem der berühmtesten Musikstücke nicht nur der christlich- kirchlichen, sondern der abendländischen Kultur überhaupt. Wiedererkennungswert garantiert. Sie stehen in D-Dur, der festlichsten aller Tonarten, weil in ihr die Barocktrompeten gestimmt waren.

Dabei ist Händels berühmtestes von mehr als 20 Oratorien auch sein untypischstes. Am 13. April 1742 im peripheren Dublin uraufgeführt (D-Dur ist übrigens auch die meistverwendete Tonart der irischen Folklore), immer wieder überarbeitet und angepasst - und nicht wirklich erfolgreich von Anfang an. Wie sonst nur "Israel in Ägypten" von 1739 verwendet es vorwiegend Worte des Alten Testaments, um so abstrakt wie möglich die Heilsgeschichte Jesu zu erzählen, von den urtümlichen Prophezeiungen bis zur Wiederkehr am jüngsten Tag.

Da gibt es kein anglikanisches Eifern und kein reformatorisches Ringen und schon gar keine katholische Katharsis. Die von Charles Jenners zusammengestellten Zitate mühen sich fast um so etwas wie Objektivität. Deshalb sicherlich wurde der "Messias" so universell. Er reduzierte lange Zeit den Komponisten Händel, aber das macht nichts, denn hier ist (fast) der ganze Georg Friedrich konzentriert: Mit seiner ureigenen, so ausgewogen definierten, das italienische Oratorio wirkungsvoll weiterentwickelnden musikalischen Wesenszügen. Mit elegant-strengen Instrumentalpassagen. Mit melodisch ausschwingenden, mal dramatischen, mal ruhevollen Arien und Ensemblesätzen. Und natürlich mit den vielgestaltig als Kommentare eingesetzten Chören. Dazu mit vielen, sonnendurchglühten musikalischen Anleihen aus dem Schatz seiner immer noch in ihrer Fülle zu entdeckenden über 100 Kantaten der Jungkomponistenzeit in Rom.

Der in nur 24 Tagen komponierte "Messias" wurde in Irland in einer Musikhalle als "Entertainment" und Benefizkonzert für mehrere karitative Organisationen angekündigt. Noch Jahre später wurde er auch als blasphemisch verurteilt.

In London reagierte man zunächst kühl auf das sicherheitshalber ohne Titel als "sacred Oratorio" gegebene Werk. Erst 1750 begann eine jährliche Aufführungstradition: Händel schloss seine Oratoriensaison in der Fastenzeit mit einer Aufführung des "Messias" ab und gab nach Ostern eine weitere Vorstellung in der Kapelle des Foundling Hospital, deren Erlös den Findelkindern zugute kam. Dieser Institution vermachte er nach seinem Tod auch einen beträchtlichen Teil seines, nach den Verlusten mit den diversen Opernkompanien, an denen er zunächst störrisch festgehalten hatte, wieder riesigen Vermögens.

In Deutschland wird der "Messias" geachtet und gesungen, aber die Popularität, die er im englischsprachigen Raum genießt, wo er durchaus Schlüsselstellen eines Lebenslaufes musikalisch markieren kann, erlangte er hier nie. Mozart hat sich vergeblich mit einer deutschen Bearbeitung um das bereits dem Vergessen anheim fallende Werk gemüht, Goethe hat daran herumgedoktert. In England wird es gern zum Advent aufgeführt, in Deutschland versteht man es - wegen seines Auferstehungs- und Erlösungsschlusses - eher als Werk für die Fastenzeit und Ostern. Stefan Zweig hat ihm eine seiner besonders kitschigen "Sternstunden der Menschheit" gewidmet.

Heute genießen wir zum Glück neben dem "Messias" und den anderen Oratorien wieder den Opern-Händel in vollster Blüte. So ist sein Jubiläum keine kalendarische Pflichtübung, sondern schönste Bestätigung eines ungebrochen populären Komponisten.

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