Am 27. September 1822 erlebte François Champollion sein Waterloo. Vor der berühmten "Académie des Inscriptions et Belles-Lettres" in Paris stellte er seine Forschungen zur Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen vor. Doch kaum hatte er geendet, fielen die Gelehrten über ihn her, nannten ihn einen Scharlatan und Plagiator und fanden überhaupt, dass sich der gerade einmal 31-jährige Philologe zu viel herausnehme.
Aber Champollion wollte nicht klein beigeben. Wenige Tage später bündelte er seine Ansichten in einem Brief an den Ständigen Sekretär der Akademie, M. Dacier. Heute gilt dieses Schreiben als entscheidender Wendepunkt der Ägyptologie, wurde er doch zum Schlüssel für die altägyptische Zivilisation. Ganze 23 Jahre hatte die Menschheit dafür gebraucht.
Die Suche begann damit, dass am 15. Juli 1799 der französische Pionieroffizier Pierre François Xavier Bouchard, der zum Gefolge Napoleons gehörte, bei Schanzarbeiten nahe Rosette im Nildelta einen Stein aus schwarzem Basalt fand. Er trug eine Inschrift – in drei Sprachen. Weder die Hieroglyphen noch die später aus ihnen abgeleitete Demotische Schreibschrift konnten die Wissenschaftler, die Napoleons Expedition begleiteten, lesen. Wohl aber den dritten Teil. Er war in Griechisch geschrieben.
Mit 17 lernte er Koptisch und Persisch
Viel Glück brachte der Stein seinen Entdeckern zunächst nicht. 1801, nach dem Scheitern des militärischen Unternehmens, geriet er in die Beute, die die Briten nach London schafften. Im British Museum wurde das gute Stück umgehend ausgestellt. Doch Abschriften ermöglichten es ausgerechnet einem Franzosen, den Ruhm der Entschlüsselung einzustreichen.
Jean-François Champollion wurde 1790 in Figeac geboren. Im Internat von Grenoble weigerte er sich, Rechnen zu lernen. Dafür konnte er bald neben Latein und Griechisch Hebräisch, Arabisch, Syrisch und Aramäisch. Mit 17 lernte er Koptisch und Persisch und war mit 19 stellvertretender Professor für die Geschichte des Altertums an der Akademie von Grenoble. Das Rennen um die Entzifferung der Hieroglyphen konnte beginnen.
Neben Champollion bemühten sich ein Engländer, ein Schwede und ein Franzose. 1819 konnte der Brite Thomas Young zehn Wörter entziffern oder er glaubte es zumindest. Doch erst 1822 gelang Champollion der Durchbruch. "Je tiens l"affaire!" – "Ich hab"s raus!" soll er gerufen haben: Die Hieroglyphen stellen keine Bilderschrift dar – wie er lange angenommen hatte –, sondern eine Mischung aus ideographischen und phonetischen Zeichen. Damit hatte Champollion die Hieroglyphen im Grundsatz entziffert: vielleicht das älteste und sicherlich am längsten gebrauchte Schriftsystem der Welt.
Dankadresse an König Ptolemaios
Als Grundlage diente ihm die Inschrift auf dem Stein von Rosette. Der griechische Text stellte klar, dass man es mit einer Dankesadresse eines Priesterkollegiums an König Ptolemaios V. zu tun hatte, der der makedonischen Dynastie entstammte, die seit Alexander d. Gr. Ägypten beherrschte. Champollion, der bereits als Schüler neben Latein und Griechisch Hebräisch, Arabisch, Syrisch und Aramäisch erlernt hatte, zählte 486 griechische Wörter gegenüber 1419 Hieroglyphen. Daraus folgerte er, dass es sich nicht um eine reine Bilderschrift handeln konnte.
Schlüssel zu ihrer Entzifferung fand er in den elf Hieroglyphen in den sogenannten Königskartuschen, in denen die Königsnamen stehen. Champollion erkannte, dass manche Zeichen ideografische, andere dagegen phonetische Bedeutung haben, also zwar Dinge abbilden, aber nur den Lautwert meinen. Daneben gibt es Deutzeichen, die anzeigen, ob ein Wort/Ding aus dem Bereich des Hauses, der Tiere oder der Menschen stammt. Wie in der zeitgleichen Keilschrift Mesopotamiens gibt es nur Konsonanten. Die Zeichen konnten von rechts nach links, von links nach rechts und von oben nach unten geschrieben werden. Bald konnte Champollion die Namen von Ptolemaios und seiner Schwester Kleopatra lesen.
Zwei verschiedene Schreibschriften
Weitere Namen aus der altägyptischen Spätzeit wie Alexander, Tiberius und Trajan folgten. Bald vermochte Champollion ein System zu erkennen. Heute wissen wir, dass jeweils nur rund 1000 Zeichen in Gebrauch waren. Neben den Hieroglyphen, die in Kult und Repräsentation eine zentrale Rolle spielten, gab es früh schon eine Schreibform, das Hieratische, das später zum Demotischen wurde.
Erst am Ende der Antike wandelte sich die Hieroglyphenschrift zu einer Art Geheimschrift mit bis zu 10.000 Zeichen. Im Gegensatz zur Keilschrift, die über Jahrtausende hinweg zahlreichen Völkern und Sprachen diente, übernahm übrigens nur ein Volk die Erfindung der Pharaonen: das Königreich von Meroe im heutigen Sudan. Allerdings konnte dessen Sprache noch nicht entschlüsselt werden.
1828/29 besucht Champollion Ägypten und stellte befriedigt fest: "Unser Alphabet ist richtig! Es kann mit demselben Erfolg bei den ägyptischen Denkmälern der Römer- und Ptolemäerzeit und bei sämtlichen Inschriften von Tempeln, Palästen und Gräbern der Pharaonenzeit angewendet werden." Wenig später war Champollion tot. Doch sein Werk kam einem Dammbruch gleich.