Der Büchnerpreis für Jürgen Becker, das ist ein Büchnerpreis für das Schwarzbrot der Moderne. Im Grunde genommen sogar nur für die Schwarzbrotkrümel. Es handelt sich nämlich um ein schmales, von den späten Jahren einmal abgesehen auch ganz ausgedünntes, abstrahiertes, nüchternes Werk, das vor allem immer eines herstellen wollte: Opposition. Opposition zum Herkömmlichen, sei es in der Prosa, sei es in der Lyrik.
Jürgen Becker, 1932 in Köln geboren und jetzt, wie er selbst sagt, zu seiner großen Überraschung mit der wichtigsten deutschen Literaturtrophäe ausgezeichnet, stellt in lupenreiner Weise dar, was man in den Sechziger-, Siebzigerjahren einen Avantgarde-Künstler nannte. Alles, was unlesbar, vor allem aber ungenießbar war, produzierte er mit Wonne.
Bloß nichts Lesbares
Schon gleich gar nicht Romane oder Erzählungen, die waren ja um 1970 der Inbegriff des Obsoleten. Wenn man sich damals nicht sowieso nur noch essayistisch mit Belletristik beschäftigte, indem man ihr Ende, ihren Tod oder ihre grenzenlose Überflüssigkeit postulierte, kurzum, wenn man überhaupt noch mit einem Restbestand von Sehnsucht nach fiktionalen Ausdrucksmöglichkeiten versehen war, dann schrieb man natürlich „Prosa“.
Etwas anderes war mit der allein selig machenden Suhrkamp-Kultur vollkommen unvereinbar. Aber auch Prosa selbstredend um Gottes Willen in „offener Form“. Oder als „Experiment“. Und genau mit solchen Exerzitien hat sich denn auch der Suhrkamp-Autor Jürgen Becker damals eingeführt.
Ein Fall für Hardcore-Modernisten
Was so ein richtiger Hardcore-Modernist ist, dem läuft heute noch das Wasser im Munde zusammen, wenn er an die frühen Becker-Titel denkt. Die trugen herrlich knirschende Schmirgelpapier-Überschriften wie „Felder“ (1964), „Ränder“ (1968) oder „Umgebungen“ (1970), und die Sprache darin war natürlich „aufgeraut“ und getragen von jener „Genauigkeit“, welche die möglichst totale Abwesenheit von allen Sinnenreizen meint, denn Sinnlichkeit korrumpiert bekanntlich nur und führt weg von beinharter Aufklärung oder Erkenntnis. Erkenntnis wovon?
Dass wir alle entfremdet leben und dass ein verständlicher Satz in sich schon Verrat ist, wie sich versteht, Verrat an der Einsicht in die Absurdität von menschlicher Existenz. Kontingenz, you know.
Das konnte Enzensberger besser – und ironisch
Ein letzter Nachklang dieses ausgehöhlten Genauigkeitsbegriffs, den ja bis zur Selbstparodie Enzensberger strapaziert hat mit seinem berühmten „Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne: Sie sind genauer“, findet sich noch in der Jury-Begründung der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, wenn sie jetzt Becker „vollendete, dabei ganz unaufdringliche Sprachkunst“ bescheinigt.
Unaufdringlich kann nur in dem Sinn verstanden werden, dass keinerlei Sentiment sich an den auf sachlich, lakonisch, trocken gedimmten Sätzen dieses Autors je entzünden wird – von seinen Versen ganz zu schweigen, die in der Akkuratesse eines auf Zeilenfall getrimmten Wetterberichts zu sich selber kamen.
Sie können noch verhindern
Ein letzter Nachklang ist das Stichwort: Ein letzter, trotziger, man kann auch sagen verstockter Nachklang an eine untergegangene Literaturepoche ist dieser Preis, denn die Modernisten sterben langsam aus, und selbst Jürgen Becker hat ja, horribile dictu, mit seinem Roman über das Ende der DDR („Aus der Geschichte der Trennungen“) 1999 noch die Kurve ins Epische gekriegt. Aber die Claqueure des Untergegangenen, die sitzen noch behäbig in der Darmstädter Akademie.
Und wenn sie außerhalb derselben auch nicht mehr viel zu melden haben: Verhindern können sie noch, und nachdem sie nun einige zeitgemäße Jury-Entscheidungen schlucken mussten (zuletzt die für Sibylle Lewitscharoff), hat man offenbar noch einmal, ein letztes Mal, wie zu hoffen ist, auf sie Rücksicht genommen.