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„Mich interessiert nicht die Kugel, mich interessiert, was sie aus der Person macht“

Redakteur Feuilleton
Drehbuch- und Romanautor Holger Karsten Schmidt. Rechts: Szene aus dem ARD-Krimi „Harter Brocken – Der Geheimcode“ Drehbuch- und Romanautor Holger Karsten Schmidt. Rechts: Szene aus dem ARD-Krimi „Harter Brocken – Der Geheimcode“
In Deutschland haben es brillante Autoren nicht leicht: Holger Karsten Schmidt
Quelle: privat
Der Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt hat gerade den Bayerischen Filmpreis bekommen. Ein Gespräch über Netflix, den Tod und darüber, wie es ist, neun Monate auf eine Antwort vom ZDF zu warten.

Wer wie Holger Karsten Schmidt eine Lehre zum Datenverarbeitungskaufmann abschließt, um an der Filmakademie Baden-Württemberg zu studieren, um schließlich als Drehbuchautor von Krimis so gefragt zu sein, dass man einen Ermittler nach dem anderen erfindet, der hat seine Bestimmung gefunden. Gerade lief in der ARD der neue Fall aus seiner herrlichen Harzkrimi-Reihe „Harter Brocken“. In dem muss sich der wunderbare Aljoscha Stadelmann eines Snipers erwehren, der in sein Harzstädtchen einreitet, und steckt in einem moralischen Dilemma. Ein philosophischer Provinzkrimi voller Humor, Menschenkenntnis und Genrewitz.

WELT: Sie sind gebürtiger Hamburger und leben im württembergischen Asperg. Das aus lauter Provinz bestehende Deutschland erhebt sich ja gern über die Provinz. Das schlägt sich – anders als in Amerika – auch literarisch nieder. Warum ist das so? War es schwer, St. Andreasberg im Harz als Spielort durchzusetzen?

Holger Karsten Schmidt: Nein, gar nicht. Ursprünglich ist der „Harte Brocken“ als Einzelstück für das ZDF entstanden. Aber nachdem der damalige Fernsehspielchef Reinhold Elschot den Dreh zwei Jahre lang immer wieder verschoben hat, habe ich das Drehbuch kurzerhand Sascha Schwingel gegeben, der damals frisch bei der Degeto war. Nach ein paar Tagen hat er grünes Licht gegeben. In diesem Sinne musste ich für St. Andreasberg oder den Harz keine Überzeugungsarbeit leisten.

WELT: Wie oft sind Sie im Harz? Thomas Kirchner, der Erfinder des „Spreewaldkrimi“, zieht sich regelmäßig in den Spreewald zurück, sammelt Mythen, hört Geschichten.

Schmidt: Ich war als Elfjähriger mal in Braunlage, das war’s. Der Rest entsteht in meinem Kopf. Oder ist schon da und wartet darauf, endlich von mir getippt zu werden.

ARD Degeto HARTER BROCKEN - DER GEHEIMCODE, am Donnerstag (19.12.19) um 20:15 Uhr und um 00:50 Uhr im ERSTEN. Koops (Aljoscha Stadelmann, li.) nimmt von dem sterbenden Schürer (Heinrich Cuipers) einen geheimnisvollen Umschlag entgegen. © ARD Degeto/Kai Schulz, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter Degeto-Sendung und bei Nennung "Bild: ARD Degeto/Kai Schulz" (S2+). ARD Degeto/Programmplanung und Presse, Tel: 069/1509-335, degeto-presse@degeto.de
So beginnt die mörderische Schnitzeljagd: Kommissar Koops (Aljoscha Stadelmann l.) bekommt vom sterbenden Schürer (Heinrich Cuipers) einen Briefumschlag
Quelle: ARD Degeto/Kai Schulz

WELT: Nun sind Aschberg, der Ort Ihrer Finn-Zehender-Filme, und St. Andreasberg nahezu menschenleer. Bis auf Koops, seine spärlichen Freunde und die Leute, die einreiten, herumschießen, ihn unterschätzen und daran gern mal sterben. Mögen Sie Provinzler dann doch nicht?

Schmidt: Doch, doch ich mag die Provinz sehr. Wenn ich mal nach Berlin muss oder Hamburg, ist das immer sehr nett – aber maximal für drei Tage. Nicht von ungefähr geht Hinnerk Schönemann in „Nord bei Nordwest“ nach Schwanitz, weil es der am dünnsten besiedelte Landstrich ist, den er finden konnte. Wenn also so wenig Leute durchs Bild laufen, dann hat das in erster Linie mit Kosten zu tun. Im nächsten „Harten Brocken“ spielt die Bevölkerung von St. Andreasberg eine wichtige Rolle für den Dorfbullen Koops, da taucht sie auch auf.

WELT: Drei Grimme-Preise, gerade der Bayerische Filmpreis, 70 Drehbücher in 25 Jahren (Schätzung), Kriminalromane, eine Algarve-Krimibuchserie unter dem Pseudonym Gil Ribeiro. Schlafen Sie auch manchmal?

Schmidt: Tatsächlich hat diese Frequenz verschiedene Gründe. Zuerst war ich froh, noch als Filmstudent einen Fuß in die Tür zu bekommen und habe dann immer fünf, sechs Stoffe parallel entwickelt, um bei Nachfrage welche parat zu haben. Außerdem ist Schreiben immer eine gute Fingerübung. Dann, nach ersten Verfilmungen, konnte ich bei Anfragen immer schwer Nein sagen. Als ich das Absagen gelernt hatte, gab es die bittere Erkenntnis, dass ich für das Erzählen all meiner Geschichten drei Leben bräuchte. Ich denke, das wollte ich so ungefähr zehn Jahre lang nicht wirklich wahrhaben, und habe sehr viel geschrieben. Schließlich, und da stehe ich jetzt, muss man sich überlegen, wie viel der verbleibenden Lebenszeit man welchen Projekten widmen möchte. Und das drosselt meine Frequenz seit zwei Jahren sehr.

Trailer zum neuen Fall von "Harter Brocken"

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WELT: Es gibt seit gut einem Jahr die Initiative Kontrakt 18. Die will den Status der Drehbuchautoren im Produktionsprozess stärken. Hat sich schon was getan?

Schmidt: Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass die Forderungen von Kontrakt 18 sich nach anfänglichen Schwierigkeiten immer selbstverständlicher als Vertragsbestandteile implementieren lassen. Aber wer vorher beispielsweise noch nicht die Einsicht hatte, dass eine Leseprobe mit dem Autor den Film verbessern wird, der wird jetzt zwar den Autor einladen, weil er muss, aber nicht, weil er um eine Erkenntnis reicher ist. Es gibt also immer noch welche, die nicht verstanden haben, dass wir mehr Einfluss haben möchten, um den bestmöglichen Film auf die Beine zu stellen und nicht, weil wir nichts mit unserer Lebenszeit anzufangen wüssten.

WELT: Ist doch aber sowieso eigentlich eine goldene Zeit für Drehbuchautoren. Streamingdienste schießen wie Tannenbäume aus dem Harzboden. Plots werden mehr denn je gebraucht, sollte man meinen. Wann kommt die erste Netflix-Serie von Holger Karsten Schmidt?

Schmidt: Es ist nicht nur eine goldene Zeit für Autoren, sondern für alle Filmschaffenden. Regisseure, Kameraleute, Schauspieler – die sind jetzt viel mehr ausgebucht, und zwar auf Jahre. Die Nachfrage hat mit dem Auftauchen der Streamingdienste auf dem Markt sehr stark zugenommen, ja. Ich bin mit Netflix im Gespräch, die sind da auch dramaturgisch sehr gut aufgestellt, und während ich beim ZDF schon mal neun Monate auf eine Reaktion für ein Exposé warten musste (eine Absage, wer hätte es gedacht), kommt die Reaktion hier umgehend. Aber ich bin da sehr gelassen. Der Name Netflix erhöht nicht meinen Puls, und ich bekomme auch keine leuchtenden Augen. Es gibt einige Faktoren, die müssen grundsätzlich bei jedem Projekt für mich stimmen. Das beginnt beim Umgang mit dem Stoff und endet beim Umgang mit mir. Stimmen sie nicht, gehe ich woandershin.

WELT: Es gibt eine ganze Reihe von hochdekorierten Drehbuchautoren, die ihrem Brotberuf den Rücken kehren und Kriminalromane schreiben. Andreas Pflüger zum Beispiel. Wie sieht’s bei Ihnen aus. Müssen wir Angst haben um die „Harten Brocken“ der Zukunft?

Schmidt: Nein, die Angst ist unbegründet. Sowohl beim „Harten Brocken“ als auch bei „Nord bei Nordwest“ regele ich in Kooperation mit den Produktionsfirmen seit zwei Jahren meine Nachfolge. Niels Holle hat für „Nord bei Nordwest“ bereits drei Folgen geschrieben. Er sitzt auch am sechsten „Harten Brocken“. Für diese Reihe sind auch andere Autoren im Gespräch. Tatsächlich sind Romane für mich die bessere Alternative: Der Roman ist nicht auf 90 Sendeminuten begrenzt, ich kann im Plot und bei den Figuren also viel mehr in die Tiefe gehen. Ich muss keinen Etat beachten. Und das Wichtigste: Ich habe und behalte die Hoheit über meine Figuren und meine Geschichte. Kein halbes Dutzend Leute redet mir rein und verlangt, ich solle meine Geschichte so umschreiben, wie andere, deren Job gar nicht das Schreiben ist, es für richtig halten. Von der Wertschätzung und Freundlichkeit, die einem im Verlag entgegengebracht wird, mal ganz zu schweigen. Das sind lauter Pluspunkte, die das Drehbuchgeschäft in der Regel alle nicht bietet.

ARD Degeto HARTER BROCKEN - DER GEHEIMCODE, am Donnerstag (19.12.19) um 20:15 Uhr und um 00:50 Uhr im ERSTEN. Maria Joseph (Sibylle Canonica) und Koops (Aljoscha Stadelmann) stecken in Schwierigkeiten. © ARD Degeto/Kai Schulz, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter Degeto-Sendung und bei Nennung "Bild: ARD Degeto/Kai Schulz" (S2+). ARD Degeto/Programmplanung und Presse, Tel: 069/1509-335, degeto-presse@degeto.de
Maria Joseph (Sibylle Canonica) und Kommissar Koops (Aljoscha Stadelmann) stecken in Schwierigkeiten
Quelle: ARD Degeto/Kai Schulz

WELT: In den Rundfunkanstalten, hat mir eine gewöhnlich gut informierte Quelle zugetragen, herrscht Panik angesichts der Konkurrenz der Streamingserien, der Auflösung des linearen Fernsehkonsums. Ist das auch Ihre Wahrnehmung? Ändert das etwas im Umgang mit Ihnen, werden Sie mehr umworben, gehegt?

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Schmidt: Zwar werden ganz allgemein öffentliche Charmeoffensiven in Richtung Autorenschaft gestartet, aber da, wo den Worten Taten folgen müssten, um glaubwürdig zu sein, bleiben diese in meiner Wahrnehmung mehrheitlich aus. Die Entscheider hätten vor mehr als zehn Jahren die Weichen stellen müssen, um ein junges Publikum an sich zu binden. Das ist versäumt worden und wird munter weiter versäumt. Die Aktivität der Streamingdienste wirkt hier lediglich wie ein Katalysator, der diesen Missstand zügiger ins Bewusstsein rückt. Was das Hegen und Umwerben betrifft: Ich bin mittlerweile, auch durch die vielen Projekte, an denen ich beteiligt war, mit so verlässlichen und aufrichtigen Redakteuren, Produzenten und Regisseuren vernetzt, dass ich mich schon länger bei denen gut aufgehoben fühle. Es geht mir auch nicht um Umwerben und um Hegen, es geht um die besten Arbeitsbedingungen für meine Drehbücher, und ich benötige da exakt drei Dinge: Kompetenz, Augenhöhe und gute Kinderstube.

WELT: Wie würde die ideale Zusammenarbeit mit einem Sender aussehen, egal ob Stream oder Öffentlich-Rechtlich?

Schmidt: Der Sender würde sich als Geburtshelfer verstehen und im Drehbuch kein inhaltliches Diktat ausüben. Die Redaktion wäre im Idealfall dramaturgisch extrem gut aufgestellt, um dem Autor zu helfen sein Buch zu optimieren. Optimierungen fänden aufgrund von überzeugenden Argumenten und konstruktiver Kritik statt und nicht, weil jemand ein diffuses Bauchgefühl hat. Der Sender dürfte spätere Übergriffe auf das Drehbuch durch die Regie nicht dulden, sondern müsste sie verhindern. Der Sender würde den Autor zur Pressevorführung einladen. Solche Redakteure, die all das beherzigen, gibt es bereits, und es ist eine Freude, mit ihnen zu arbeiten. Leider benötige ich für diejenigen, die ich kenne, keine dritte Hand, um sie zu zählen.

WELT: Warum wird bei Ihnen eigentlich so derart viel geballert?

Schmidt: Fällt mir gar nicht so auf. Vielleicht, weil ich mit Western groß geworden bin. Auf jeden Fall versuche ich in meinen Geschichten, die Figuren aufzubrechen und zu ihrem Kern vorzustoßen, ihrem wahren Charakter. Die Fallhöhe Tod ist da nicht das schlechteste Mittel. Wie verhält sich jemand, wenn es wirklich drauf ankommt? Wenn es ums Ganze geht? Wenn kein Herumlavieren mehr möglich ist? Aus welchem Stoff bist du wirklich? Das interessiert mich. Ein Schusswechsel kann ebenso die Geburtsstunde eines Helden wie die eines Feiglings sein. Mich interessiert nicht die Kugel, mich interessiert, was die aus der Person macht.

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WELT: Kriminalromane schreiben Sie, weil Sie nichts anderes gelernt haben?

Schmidt: Im Wesentlichen, um im Subtext etwas zu verhandeln, was mir am Herzen liegt. „Die Toten von Marnow“, gerade erschienen, macht den Leser zum Komplizen bei einem moralischen Ritt auf der Rasierklinge. Der Krimi ist bei mir ein Etikett, und der Krimileser bekommt auch seinen Krimi. Aber eben noch das, was mich daran im Kern eigentlich motiviert hat, ihn überhaupt zu schreiben.

WELT: Haben Sie eigentlich schon mal einen Liebesfilm geschrieben?

Schmidt: Zwei. Einen habe ich nicht verkauft bekommen, bei dem anderen musste ich leider den Namen zurückziehen. Vielleicht sollte ich Nummer drei als Krimi tarnen.“

„Harter Brocken – Der Geheimcode“ mit Aljoscha Stadelmann, Franziska Weisz und Sibylle Canonica ist jederzeit streambar in der ARD-Mediathek.

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