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Pop Bonnie Prince Billy

Der Posterboy des weltumspannenden Hipstertums

Redakteur Feuilleton
Wenn Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy gut abgehangene amerikanische Schlager anstimmt, liegen ihm seine Fans zu Füßen Wenn Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy gut abgehangene amerikanische Schlager anstimmt, liegen ihm seine Fans zu Füßen
Wenn Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy gut abgehangene amerikanische Schlager anstimmt, liegen ihm seine Fans zu Füßen
Quelle: picture-alliance / Jazz Archiv
Kurator einer Popkultur, die sich selbst überholt hat: Wenn Will Oldman als Bonnie „Prince“ Billy auftritt, ist Vorsicht angesagt – er pflegt amerikanische Schlager mit heiligem, doppelbödigem Ernst.

Zuletzt war er 2012 im Frühjahr in Europa. Ausgerechnet in der Queen’s Hall, einer ehemaligen Kapelle auf den Hügeln Edinburghs, die 1979 von der Königin aus London in eine Konzerthalle verwandelt worden war. Bonnie „Prince“ Billy aus Amerika betrat die Bühne, und die Schotten jubelten ihm zu wie einem heimgekehrten Sohn. Er war gemeinsam mit der Neofolkband Trembling Bells aus Glasgow angereist und stand nun neben ihrer elfenhaften Sängerin Lavinia Blackwall. Filzbärtig und kahlköpfig, ein Waldschrat aus Kentucky.

Billy nahm die Baseballkappe ab. Er stimmte „Lord Bless All“ an von den Bee Gees, deren Songschreiber damals im Sterben lag. Die einen fielen fröhlich ein, die anderen lachten. Wer sich etwas auf seinen erlesenen Musikgeschmack zugute hält, sieht in den Bee Gees ein Gesangs- und Tanztrio für Retro-Feten. Andächtig verfolgten die Konzertbesucher, wie Bonnie „Prince“ Billy in der Queen’s Hall seine Songs vom Blatt vortrug, dazu auf einem Bein hüpfte und Lieder krächzte wie „Love Made An Outlaw Of My Heart“. Soweit das Bild, in dem sich seine Zuschauer gern spiegeln: Outlaw, Hipster, Freak.

Nach seinem Auftritt saß er am Buffet und sagte: „Es ist mir ein Rätsel, weshalb manche meiner Zuhörer die Popmusik nicht so ernst nehmen wie ich selbst.“ Er sprach in hohen Tönen von den Bee Gees, über Simon & Garfunkel und Scott Walker, als der noch ein Schnulzensänger war und kein Experimentalextremist.

Vielleicht liegt es an der Figur, an Bonnie „Prince“ Billy. Eigentlich heißt er Will Oldham, seine Hörer wissen das, seit 15 Jahren ist er als Bonnie „Prince“ Billy unterwegs. Einer Gestalt, die sich aus zweierlei Legenden speist: aus dem Revolverhelden William Bonney alias Billy The Kid und Bonnie Prince Charlie, dem adligen Helden der schottischen Separatisten.

Als Witzfigur gefeiert

„Aber das bin doch nicht ich!“ rief Oldham kopfschüttelnd durch den Versorgungstrakt der Queen’s Hall. „Jedes aufgeklärte Publikum sollte verdammt noch mal den Song vom Sänger unterscheiden können und die Singstimme vom Inhaber der Stimmbänder.“ Zur Hilfestellung hat er seine Kunstfigur erfunden. Wenn er seine eigenen Songs singt, können ihm die Leute halbwegs folgen. Wenn er, was er gern tut, Songs singt, die er selbst für sträflich unverstanden hält, wird er als Witzfigur gefeiert, die sich mit dem ironieseligen Publikum gemein macht.

„What The Brothers Sang“, sein aktuelles Album, erinnert an die Everly Brothers. Don und Phil Everly stammten aus Kentucky wie er. Im Rock’n’Roll der Fünfzigerjahre waren sie die Anständigen. Sie verkörperten die Werte der Provinz, Familie und Tradition, und ihre Harmoniegesänge waren durchaus programmatisch zu verstehen. Bonnie „Prince“ Billys Stimme war noch nie die schönste. „Sie klingt, als hätte sich Neil Young beim Salamischneiden die Finger verletzt“, hat der Kritiker Karl Bruckmaier einmal geschrieben.

Billy singt deshalb wieder mit einer ausgewiesenen Sängerin, mit Dawn McCarthy, einer Folkloristin aus der Bucht von San Francisco, von der Band Faun Fables. Sie verzichten in ihren Duetten zwar auf Evergreens wie „Bye Bye Love“, beweisen dafür aber, was für großartige Schmachtfetzen auch „Devoted To You“ oder „Milk Train“ waren.

Einflüsse von den Hinterwäldlern

Unter Bloggern häufen sich bereits Beschwerden über Billys eindimensionale Schlagerpflege. Was er allerdings mit seinen ungebrochenen Versionen auch zeigt: Die Everly Brothers hatten mit dem Rock’n’Roll schon deshalb nichts tun, weil ihre Quellen andere waren: Statt im Blues des Schwarzen suchten sie in der Musik der eigenen Vorfahren nach zeitgemäßen Hits. Im Folk der Iren, Engländer und Schotten.

Und so strikt Will Oldham als Bonnie „Prince“ Billy auch darauf beharrt, man dürfe nie persönlich nehmen, was er singt, so sehr verweist alles auf ihn und auf sein Werk zurück. Von Dawn McCarthy hatte er sich schon 2006 begleiten lassen, auf „The Letting Go“. Es war sein Schlüsselalbum. Jeder konnte hören, wie bei ihm der Groschen fiel: Will Oldhams Einflüsse kamen zwar aus den Appalachen, von den Hillbillies und Hinterwäldlern. Aber das waren ja auch nur Nachfahren versprengter Eurofolkies im Exil.

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Bereits 2004 war sein Album „Bonnie ‚Prince’ Billy Sings Greatest Palace Music“ erschienen. Eine opulente Neuaufnahme seines karg instrumentierten Frühwerks in der Country-Industriestadt Nashville; 40 Jahre vorher hatten die Everly Brothers dort all ihre Hits noch einmal festlich eingespielt. Hinter den Namen Palace Music, Palace Songs und Palace Brothers, unter denen Oldham in den frühen Neunzigern auftrat, steckten auch immer seine Brüder Ned und Paul. Auch darauf weist er dankbar hin mit „What The Brothers Sang“, seinem sentimentalen Coveralbum.

Auch Bonnie „Prince“ Billy hat seine Geschichte als leibhaftige Fiktion des Freak Folk: Schon als Kind spielt Oldham Hauptrollen in Filmen; als er 16 ist, zieht er nach Hollywood, beschäftigt einen eigenen Agenten und spielt einen minderjährigen Prediger im Bergarbeiterdrama „Matewan“. Ende der Achtziger flieht er zurück nach Louisville, Kentucky, er fühlt sich vom Filmgeschäft versklavt. Durch seine Brüder findet Oldham zur Musik, bei seiner Lieblingsplattenfirma in Chicago trifft er einflussreiche Förderer.

Posterboy des neuen weltumspannenden Hipstertums

Sein erstes Album erscheint 1993, „There Is No-One What Will Take Care of You“, eine aus Ungeduld und Geldnöten spartanisch aufgenommenen Country-Platte. Er wird wie ein Pionier gefeiert: Lo-Fi wird zur Stilrichtung, zum Ausdruck einer neuen Unbestechlichkeit im Pop. Beschworen wird die New Weird Americana, die alternative Brauchtumspflege amerikanischer Musik, das richtige Amerika im falschen. Und Will Oldham wird der erste Posterboy des neuen weltumspannenden Hipstertums mit seiner Barttracht.

Aus dem singenden Schauspieler, dem dilettierenden Kauz, wird der Vertrauensmann der postindustriellen Popmusik. Jeder will mit ihm spielen. Björk und David Byrne, Matt Sweeney und Bill Callahan, Jason Molina und Joanna Newsom. Johnny Cash singt noch mit ihm „I See A Darkness“ im Duett, Will Oldhams meistgespielten Song, seither ist es ein Klassiker.

Dann bricht das 21. Jahrhundert an. Will Oldham geht, Bonnie „Prince“ Billie kommt, und er wird zum Kurator einer Popkultur, die sich selbst überholt hat. Was ist Kunst in der Musik und was kann weg? Mit Tortoise, den Alten Meistern des Postrock, singt er „Daniel“ von Elton John und „Thunder Road“, Bruce Springsteens Asphalthymne in gebremstem Ökofolk.

Gewissenhaft interpretiert er „Can’t Take That Away“ von Mariah Carey als unfassbaren Song am Rande des Nervenzusammenbruchs. 2008, auf seiner Platte „Ask Forgiveness“, würdigt er ausschließlich Popsongs, von denen er vollkommen zu recht annimmt, dass seine selbstgerechten Stammhörer sie abgrundtief verachten. Aus Snobismus oder Ahnungslosigkeit. Mit Inbrunst singt er „The World’s Greatest“ von R. Kelly aus der falschen Welt des neuen R&B.

Es ist zum Brüllen, ihn in seinen Bart winseln zu hören: „I’m the star up in the sky. I’m that mountain peak up high. Hey, I made it. I’m the world’s greatest!“ Aber es ist ihm unendlich ernst damit. Gelegentlich zeigt Oldham sich wieder in Spielfilmen. Wie in „Old Joy“ von Kelly Reichardt, da ist er ein Kindskopf mit dem Namen Kurt, der heilige Narr, der sagt: „Ich sehe Dinge, die andere Leute nicht sehen, weil sie sie nicht sehen wollen.“ Wer in der Musik, den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht, sollte Will Oldham zuhören, als Bonnie „Prince“ Billie.

Dawn McCarthy and Bonnie ‚Prince’ Billy: „What the Brothers Sang“ (Domino Records)

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