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Politik SPD

Kalauer-Therapie für die angekratzte Seele

Korrespondent
Beck Beck
Beliebtes Objekt für Witze, selbst bei der SPD: Kurt Becks Bart
Quelle: dpa
Die Umfragewerte sind schlecht, der Bundesvorsitzende ist weitgehend unbekannt: Über die Nachrichten der letzten Wochen konnte die SPD kaum jubeln. Doch die Genosse in NRW wissen, wie man sich bei Laune hält - mit Kabarett. Ein Ortstermin an der Basis in Neuss.

Wäre die SPD im nordrhein-westfälischen Neuss mutig gewesen, dann hätte sie für eine kritische Einschätzung über ihre Partei einen Politologen eingeladen, einen Journalisten, oder ein CDU-Mitglied. Doch die Sozialdemokraten erwiesen sich am Dienstagabend sogar als wagemutig: Sie hatten für ihren Mitgliederkonvent mit SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zum Ausklang einen Kölner Kabarettisten engagiert.

Der rheinische Raubauz Wilfried Schmickler sinnierte im Neusser „Zeughaus“ über den SPD-Parteichef und im weinverliebten Rheinland-Pfalz regierenden Ministerpräsidenten Kurt Beck. „Bärte sind zur Zeit völlig out, vor allem Vollbärte“, ätzte Schmickler. Wenn man neben einer „Gesichtsmatratze“ noch Übergewicht habe und Alkohol trinke, habe man kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dann müsse man sich mit ungeliebten Jobs begnügen: „wie zum Beispiel SPD-Vorsitzender“.

Zu diesem Zeitpunkt war Heil schon wieder gegangen. Die mehr als hundert anwesenden Genossen lachten munter, applaudierten, und man schwankte zwischen den Eindrücken, ob sie denn Galgenhumor zuneigten oder Optimismus im Angesicht der politischen Großwetterlage. Den Umfragen zufolge steht es schlecht um die SPD: Sie verharrt bei 30 Prozent, gerade einmal ein Drittel der Deutschen kennt Beck, der sich obendrein Patzer leistete, und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) strahlt wie ein Solitär in der Großen Koalition.

Soeben hat Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) seine Partei ermahnt, Regierungswillen zu zeigen. Es sei die „historische Schwäche“ der SPD, sich in die Oppositionsrolle drängen zu lassen, klagte Müntefering in einem Interview „Die SPD muss sagen: „Wir machen das Ganze besser. Nicht nur: Wir machen Sozialpolitik besser.“

Freilich nimmt die Dramatik solcher Zahlen und Beschwörungen offenbar mit zunehmender Basisnähe ab. Im Kreisverband (KV) Neuss mit seinen rund 2600 Mitgliedern herrscht Gelassenheit oder Krisenfestigkeit, je nach dem, selbst die historische Landtagswahlniederlage in NRW 2005 scheint verarbeitet. „Ich lese Umfragen wie einen Wetterbericht“, sagte KV-Geschäftsführer, Rainer Thiel, „Wenn sich die politische Situation vor der Wahl wieder zuspitzt, werden die Werte steigen.“

Vor allem verspürt Erleichterung darüber, dass Grundsätzliches geklärt ist, wie die Besetzung des Parteivorsitzes. „Ich habe für meinen Geschmack etwas zu viele Vorsitzende gewählt: Schröder, Müntefering, Platzeck, Beck“, sagt der Kreisverbandschef und Parteitagsdelegierte, Christian Thiel-Briesen, immerhin erst 41 Jahre alt.

Über Beck ist man sich ein wenig uneins. Die meisten goutieren dessen Bodenständigkeit und erfolgreiche Landespolitik, einige räumen ein, sie hätten ihn als Parteichef noch nicht verinnerlicht. „Beck ist kein Showmann. Gerd Schröder, der wurde ja auch gern von den Frauen gewählt“, sagt der 72jährige pensionierte Schriftsetzer Klaus Krützen. Für einige SPD-Frauen im „Zeughaus“ zumindest gibt es Wichtigeres als testosteronhaltigen Charme. „Ich vertraue Kurt Beck mehr, er wirkt solider, kloppt keine Sprüche“, sagt Sekretärin Regina Nawrot, 48 Jahre alt. Relative Einigkeit besteht darin, dass ihm ein Vorrecht für die nächste Kanzlerkandidatur zusteht. Auch sei sein 35-prozentiger Bekanntheitsgrad als Erfolg zu sehen, weil er bis zu seinem Amtsantritt vor einem Jahr ja „nur“ Landespolitiker gewesen sei.

Freilich fehlt der Basis ein Mobilisierungsthema, obgleich mancherorts, etwa im Ortsverein Dormagen-Nievenheim, „Aufbruchstimmung“ gemeldet wird. SPD-Generalsekretär Heil musste nach einer geschliffenen Rede feststellen, dass die Mitglieder Gesprächsbedarf sehen bei der Neufassung der Programmatik. Misstrauen ist nach Schröders Basta-Führungsstil noch reichlich vorhanden.


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Große Hoffnungen ruhen auf dem Thema Mindestlohn, auf einen sich entspannenden Arbeitsmarkt. Der „vorsorgende Sozialstaat“ soll als Markenzeichen etabliert werden. Immer wieder aber kommen die Genossen auf die SPD-Ministerien sorgenvoll in der Großen Koalition zu sprechen. „Unter taktischen Aspekten haben wir nicht unbedingt die besseren Ressorts“, sagte die Rechtsanwältin Ruth Rose mit Hinweis auf Finanzen, Gesundheit, Arbeit. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) etwa habe das wichtige Thema Familie „besetzt“.


Dem größten CDU-Popularitätsmagneten wird in der SPD unumwunden Respekt gezollt. „Die Kanzlerin macht ihre Sache ordentlich“, sagte Geschäftsführer Thiel. Bei Kabarettist Schmickler kommt aber auch Merkel nicht ungeschoren davon: Bei all ihren Auslandsflügen, raunzte er einmal, hätte man ja „gleich eine Stewardess wählen können.“

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