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Politik Neue Steuernummer

Angst vor dem totalitären Überwachungsstaat

Eine Hand mit Stempel Finanzamt Eine Hand mit Stempel Finanzamt
Eindeutige Identifizierbarkeit: Künftig hat jeder Deutsche sein Leben lang eine Nummer
Quelle: chromorange/M. Stolt / CHROMORANGE
Das Bild vom „gläsernen Bürger" geht um: Zum 1. Juli bekommen alle Deutschen eine lebenslang gültige Steuernummer. Bürokratieabbau und Steuertransparenz sind das Ziel, doch Kritiker fürchten den Missbrauch der Daten. In Schweden aber ist das Modell längst die Regel.

Es ist 20 Jahre her, da befürchteten viele Deutsche, die Republik marschiere schnurstracks in den Überwachungsstaat. Drei Jahre nach „1984“ hielten Intellektuelle die Negativutopie von George Orwell für Realität: Big Brother schnüffelte überall, der Bürger drohte gläsern zu werden. Als letzter Beweis für den Überwachungsstaat galt die Volkszählung – und sie wurde bekämpft. Ein breites Bündnis sozialer und linksliberaler Gruppen forderte zu allgemeinem zivilen Ungehorsam und einem Boykott auf.

Nun kommt die Hysterie zurück, doch sie hat die Seiten gewechselt: Es droht die „totale Kontrolle“, der „gläserne Bürger wird Realität“, warnt „Focus Money“. „Kein Entkommen vor dem Fiskus“, konstatiert das Handelsblatt. Und auch 2007 ist 1984 mal wieder aktuell: „Big Brother Finanzamt“, titelt „Euro am Sonntag“ und, natürlich, auch „George Orwell lässt grüßen.“


Auslöser für die Alarmstimmung bei den Steueroptimierern ist die Einführung einer lebenslang gültigen Steuernummer zum 1. Juli, neudeutsch „Tax Identification Number“, genannt. Jeder in Deutschland gemeldete Bürger bekommt eine individuelle Nummer mit elf Ziffern zugewiesen, welche die Finanzbehörden bis zu 20 Jahren über seinen Tod hinaus speichern. Die

neue „Steueridentifikationsnummer“ soll Bürokratie abbauen und Steuerbetrug erschweren. Gleichzeitig steht sie aber auch für eine Erfassung und Vernetzung privater Daten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar warnt im Gespräch mit WELT ONLINE bereits: „Wir sehen die Einführung sehr wohl kritisch. Damit entsteht ein bisher nicht gewolltes bundeseinheitliches, zentrales Melderegister.“


Nördlich der Grenzen der Bundesrepublik wird man die deutsche Kritik an der Steuernummer kaum nachvollziehen können. In Schweden ist der Albtraum jeder Datenschützer seit 1947 Wirklichkeit – und funktioniert prächtig. Jeder Schwede erhält bei seiner Geburt die sogenannte „Personennummer“ – eine zehnstellige Nummer, die aus dem Alltag in Skandinavien nicht mehr wegzudenken ist. „Die Personennummer ist internalisiert und Teil der schwedischen Kultur geworden“, sagt Professor Stefan Höjelid, Sozialwissenschaftler an der Universität Växjö in Schweden.

Ob Telefonanschluss oder Kundenkarte - die Nummer muss sein

Wer einen Telefonvertrag abschließt, eine Kundenkarte im ICA-Supermarkt beantragt, sich in Internetforen wie „Lunarstorm“ einloggt oder sich für ein Seminar an der Universität anmeldet, benötigt eine, benötigt seine Nummer. „Selbst wenn Sie blutend in die Notaufnahme des Krankenhauses kommen, wird man Sie nicht nach ihrem Namen, sondern nur nach Ihrer Personennummer fragen“, so Höjelid.

Die zehnstellige Ziffernfolge aus Geburtsdatum, Geburtsnummer und einer mathematischen Kontrollziffer ist allgegenwärtig. Und die schwedischen Behörden haben mit Ihrer Hilfe ein Datenmaterial angehäuft, aus dem sie reichlich schöpfen. Auf Knopfdruck ist abrufbar, wo und wie die betreffende Nummer wohnt, was sie verdient, welche Automarke sie fährt und welche Kredite sie in Anspruch genommen hat. Lars Tegenfeldt, Rechtsexperte der schwedischen Steuerbehörde Skatteverket, sieht darin kein Problem: „Bei uns in Schweden haben viele den gleichen Namen. Aber die Nummer ist einzigartig. Und wer nichts zu verbergen hat, der braucht sich auch keine Sorgen machen.“

„In Schweden geht das mit einem Druck aufs Knöpfchen“

Widerstand gegen die Steuernummer gibt es kaum. „Zwar diskutiert man durchaus über Missbrauchsfälle, aber die Nummer als Institution ist unumstritten“, sagt Höjelid. Eine Wahrnehmung, die gerade Deutsche zunächst überrascht. „Jeder wird damit geboren, es wird nicht diskutiert“, sagt Auswanderer Bernd Beckmann, der seit 1995 in Schweden lebt. Er hat die Möglichkeiten der Vernetzung von Informationen und Behörden nach anfänglichem Zögern zu schätzen gelernt. „Im täglichen Leben bringt es Erleichterungen“, sagt der Ingenieur. „Behördendinge werden viel leichter.“

Er erinnert sich an seine Hochzeit in Deutschland, für die er auf verschiedenen Ämtern aufwendig Urkunden beschaffen musste. „In Schweden geht das mit einem Druck aufs Knöpfchen.“ Auch Tegenfeld verweist auf die Vorteile der Nummer, die das Leben der Schweden mit ihren Ämtern erheblich leichter macht.

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Doch es sind nicht nur die Vorteile im Kontakt mit den Behörden, die auch viele kritische Geister für die Personennummer einnehmen. Es ist das Gesetz der Informationsfreiheit, das wie die andere Seite einer Medaille zur Personennummer gehört. Das uralte Gesetz aus dem Jahre 1766 gibt den Schweden umfangreiche Rechte, Staat und Behörden zu kontrollieren. Sie können nicht nur den Umgang mit ihren persönlichen Daten überprüfen, sondern selbst die Vermögensverhältnisse der Nachbarn erfragen.

Eine entspannte Beziehung der Bürger zum Staat

Gegen eine Gebühr geben die Behörden, etwa das Finanzamt Auskünfte, gleichzeitig wird jeder, dessen Daten abgefragt werden, benachrichtigt. Beckmann nutzt diese Offenheit und begrüßt sie: „Wir haben mit Nachbarn gegen einen Mobilfunkmast geklagt – die Gemeinde hat alle betreffenden Informationen dazu offenlegen müssen, auch solche, die sie lieber geheim gehalten hätten.“ Insgesamt stellt er fest: „Die Beziehung der Schweden zum Staat ist entspannter.“

Anders als die Deutschen haben die Schweden ein ungebrochenes Verhältnis zu Staat und Nation. Dazu beigetragen hat nicht nur die frühe Einführung des allumfassenden Wohlfahrtsstaates, einst Volksheim genannt, sondern auch eine relativ homogene Bevölkerungsstruktur. Und, wie das Beispiel des noch immer gültigen Alkoholmonopols zeigt, stören sich die Schweden wenig daran, wenn der Staat sie bevormundet – so lange es das Beste für sie ist. „Unsere Geschichte spielt sicherlich eine Rolle“, meint Höjelid. „Der Wohlfahrtsstaat und das Konsensmodell haben eine enge Beziehung zwischen Staat und Bürgern geschaffen.“

Zwar gebe es immer wieder Fälle von Missbrauch, aber diese seien nicht so spektakulär, als dass man dafür die Vorteile aufgeben würde. Ganz im Gegenteil: Eine Personennummer zu erlangen, gilt für Neuschweden als größtes Glück: „Mein Frau ist Polin. Sie war so glücklich, als sie endlich ihre Nummer bekam und eine echte Person wurde“, erzählt Höjelid.

Auch Beckmann hat längst seinen Frieden mit der Nummer geschlossen. „ Meine Einstellung hat sich geändert – die Nummer hat Vorteile.“ Für seine alte Heimat indes sieht er in der Einführung einer Steuernummer kein Vorbild: „In Deutschland ist die Situation anders, weil das Öffentlichkeitsprinzip fehlt. Man muss dem Staat auf die Finger schauen.“ Und Beckmann räumt ein: „1987 war ich Verweigerer der deutschen Volkszählung.“ Vielleicht ist der schwedische Big Brother einfach sympathischer.

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