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“Verbindung schlechter als vor Zweitem Weltkrieg“

Der Berlin-Warschau-Express ist als „Bummelbahn“ verschrien Der Berlin-Warschau-Express ist als „Bummelbahn“ verschrien
Der Berlin-Warschau-Express ist als „Bummelbahn“ verschrien
Quelle: picture-alliance/ ZB
Mittwoch kommt Ministerpräsident Tusk nach Berlin, sein Land sieht sich von Deutschland nicht mehr ernstgenommen und fühlt sich als zweitklassiger Partner. Symptomatisch ist ein kurioser Bahnstreit.

Donald Tusk reist am Mittwoch wie üblich mit dem Flugzeug zu den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen nach Berlin. Doch selbst wenn der Ministerpräsident ein umweltpolitisches Zeichen setzen und den Zug nehmen wollte – es wäre ihm aus Zeitgründen kaum möglich. Auch 23 Jahre nach dem Fall der Mauer braucht der Berlin-Warschau-Express noch immer fünfeinhalb Stunden für die nur 550 Kilometer lange Strecke. Das bedeutet Tempo 100.

In Polen sorgt die Bummelbahn zwischen Ost und West seit Wochen für Empörung. Die regierungsnahe Zeitung „Gazeta Wyborcza“ berichtete wiederholt über den Unmut polnischer Diplomaten, die mit dem Finger auf Berlin zeigen: „Auf deutscher Seite tut sich nichts“, schrieb das Blatt und zitierte einen Ministerialbeamten mit den Worten: „Das ist doch verrückt. Wir haben Hunderte Millionen Euro investiert, um unsere Bahn an Westeuropa anzubinden, aber jenseits der Oder fahren wir in ein Vakuum.“

Die Wellen schlugen derart hoch, dass Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer Ende vergangener Woche seinerseits zur Feder griff und in einem Gastbeitrag der „Gazeta Wyborcza“ die deutsche Position klarstellte. „Die Ost-West-Verbindungen haben für uns hohe Priorität“, schrieb er.

„Zwei Stunden mehr als vor dem Zweiten Weltkrieg“

Tatsächlich geht es keineswegs nur um die Strecke Berlin-Warschau, die sogar leidlich gut ausgebaut ist. Zum Vergleich: Der Zug von Wroclaw (Breslau) in die Bundeshauptstadt benötigt ebenfalls mehr als fünf Stunden – für 320 Kilometer. „Das sind zwei Stunden mehr als vor dem Zweiten Weltkrieg“, rechnete die „Gazeta Wyborcza“ vor. Ähnlich fatal ist die Lage zwischen Szczecin (Stettin) und Berlin.

Dabei hat die polnische Staatsbahn PKP ihren Teil getan. Schienenstränge wurden modernisiert, Brücken gebaut und Oberleitungen erneuert. Jenseits der Grenze aber passiere nichts. So sieht es die Regierung in Warschau.

Ramsauer sieht es anders. Er verweist auf diverse Modernisierungspläne auf allen Strecken. Die Zieldaten für den Ausbau, die teilweise nach dem Jahr 2020 liegen (Stettin), können den polnischen Unmut allerdings nicht dämpfen. Bei den Regierungskonsultationen am Mittwoch soll nun endlich ein Eisenbahnabkommen unterzeichnet werden, das seit zwei Jahren unterschriftsreif vorliegt.

„Übergeordnete politische Strategie fehlt“

Der Bahnstreit ist symptomatisch für den Stand der deutsch-polnischen Beziehungen. Warschau fühlt sich in vielerlei Hinsicht von Berlin vernachlässigt oder sogar abgehängt.

Das bilaterale Verhältnis ist zwar „so gut wie nie zuvor in der gemeinsamen Geschichte“, wie Agnieszka Lada vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Warschau betont. Doch die Deutschlandexpertin fügt hinzu: „Es fehlt an einer übergeordneten politischen Strategie, und auch in der konkreten Zusammenarbeit zwischen den Regierungen hakt es häufig.“ Bestes Beispiel ist die Bummelbahn.

Möglicherweise sei das gute Verhältnis bereits zu selbstverständlich, mutmaßt Lada. Fest steht: Leisten können sich Berlin und Warschau die Schludrigkeit nicht. „Jeder weiß, dass Polen und Deutschland vor gewaltigen gemeinsamen Herausforderungen in Europa stehen“, sagt Lada.

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In der Euro-Krise ziehen die beiden Länder, die mit ihrer guten wirtschaftlichen Entwicklung als Stabilitätsanker im Herzen des Kontinents gelten, an einem Strang. Allerdings gehört Polen noch nicht der Euro-Zone an. „Vielleicht begreift die Bundesregierung Polen auch deshalb als einen Partner zweiten Ranges.“

Nun droht eine Eskalation

Das allerdings könnte sich rächen. Eine wichtige Rolle werden bei den Konsultationen am Mittwoch die Verhandlungen über den EU-Rahmenhaushalt für die Jahre 2014-2020 spielen, der eine Woche später beim Brüsseler Etat-Gipfel verabschiedet werden soll. Großbritannien, das wie Deutschland zu den größten Nettozahlern gehört, macht seit Wochen Druck und verlangt Kürzungen. Polen führt das Lager der Empfängerländer an, die deutlich mehr Geld fordern.

Beide Seiten haben sich derart ineinander verkeilt, dass europäische Diplomaten hinter vorgehaltener Hand ein Scheitern des Gipfels prophezeien. „Deutschland und Polen haben jenseits aller Differenzen ein gemeinsames Interesse: Sie wollen eine Lösung“, erklärt Lada. Gemeinsam gehandelt haben sie nicht. Nun droht eine Eskalation, die weder Berlin noch Warschau recht sein kann.

dapd

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