Als Andrzej Poczobut im März 2021 festgenommen wird, wissen seine Frau und seine beiden Kinder weder was ihm vorgeworfen wird, noch wohin er verschleppt wird. Bis heute ist kaum etwas über den Zustand des inhaftierten Journalisten bekannt – oder darüber, wie es mit ihm weitergehen soll.
Als die maskierten Schergen des belarussischen Regimes in die Wohnung der Familie Poczobut eindrangen, hatten seine Angehörigen erst noch Hoffnung, dass er nach einigen Wochen wieder aus der Haft entlassen werden könnte. Schließlich wurde Poczobut nicht das erste Mal von Beamten abgeführt.
Bereits 2010 und 2011 saß er für mehrere Monate im Gefängnis. Der Grund: Er hatte Diktator Alexander Lukaschenko zuvor in seinen Texten „Diktator“ genannt. Doch dieses Mal sollte es anders laufen. Poczobut, Belarus-Korrespondent der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, einer Partnerzeitung von WELT, sitzt bis heute im Gefängnis. Seit fast 600 Tagen.
Zuerst brachten Lukaschenkos Männer Poczobut von Grodno im Westen des Landes in die Hauptstadt Minsk. Danach in das Gefängnis Schodsina. Es heißt, Gefangene werden dort besonders brutal behandelt, gerade die politischen. Ehemalige Insassen berichten von Folter.
Der 49-jährige Poczobut, der an einer Herzkrankheit leidet, zwischenzeitig auch noch an Covid-19 erkrankt war, ist in einem schlechten gesundheitlichen Zustand. Das bestätigte erst kürzlich wieder der Sprecher des polnischen Außenministeriums. Eine hinreichende medizinische Versorgung wird ihm verweigert.
Die polnische Regierung wie auch seine Heimatredaktion fordern Poczobuts Freilassung. Doch genützt hat es bislang nichts.
Die Gründe für die Inhaftierung von Poczobut sind heute so konstruiert wie am 25. März 2021. Die belarussische Staatsanwaltschaft legte Poczobut kurz nach seiner Festnahme „Anstiftung zu nationalem und religiösem Hass“ zur Last. Dabei hatte er lediglich über die Massenproteste gegen Diktator Alexander Lukaschenko berichtet.
Wegen seines Engagements für die polnische Minderheit in Belarus geriet er zusätzlich ins Fadenkreuz der Behörden. Polen gilt als wichtiger Unterstützer der belarussischen Opposition. Lukaschenko nahm das als Vorwand, eine Verhaftungswelle gegen Polen im Land loszutreten.
Nun haben die Behörden Poczobut auch noch auf eine „Terrorliste“ gesetzt. Das berichtet die Menschenrechtsorganisation Viasna. Auf dieser Liste befinden sich etwa 900 Namen von Personen, die das Lukaschenko-Regime im Visier hat, darunter die in Litauen lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja oder Pawel Latuschka, Mitglied des sogenannten Koordinierungsrats der Regimegegner.
Poczobut steht deshalb nun ein Scheinprozess bevor. Ihm drohen jahrzehntelange Lagerhaft oder sogar die Todesstrafe. Seine Familie und seine Redaktionskollegen hoffen darauf, dass er doch noch an die polnischen Behörden ausgeliefert wird. So lange Lukaschenko jedoch von einem anderen Diktator, Wladimir Putin, gestützt wird, dürfte er keinen Anreiz sehen, auf den Westen, in diesem Fall Polen, zuzugehen und Poczobut freizulassen.
Die EU muss deshalb den Druck auf das Regime in Minsk erhöhen und weitere Sanktionen gegen Lukaschenko und seinen Terrorstaat verhängen. Die härtesten nur denkbaren Sanktionen, die keinen Wirtschaftsbereich ausschließen.
Denn Lukaschenko unterstützt nicht nur Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, er unterdrückt auch die Menschen in Belarus und lässt sie massenhaft einsperren. Europäische Regierungsvertreter sollten dazu nicht schweigen.
Sie, und nicht nur polnische Politiker, müssen lauthals Poczobuts Freilassung fordern. Er ist Gefangener eines skrupellosen Diktators. Er und die anderen 1390 politischen Gefangenen müssen frei kommen. Europa darf sie nicht im Stich lassen.