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Deutschland „Smart Cities“

Big Data soll Städte effizient und sicher machen

Ob in der Stadt der Zukunft die Verkehrsmittel tatsächlich schweben, sich noch zeigen müssen. Klar aber ist, dass über allem riesige Datensammlungen schweben Ob in der Stadt der Zukunft die Verkehrsmittel tatsächlich schweben, sich noch zeigen müssen. Klar aber ist, dass über allem riesige Datensammlungen schweben
Ob in der Stadt der Zukunft die Verkehrsmittel tatsächlich schweben, sich noch zeigen müssen. Klar aber ist, dass über allem riesige Datensammlungen schweben
Quelle: Getty Images/Stocktrek Images
IT-Konzerne stecken Forschungsmillionen in Visionen von der intelligent vernetzten „Smart City“. Wird die Sammlung und der Einsatz von „Big Data“ Städte in die Abhängigkeit von Großkonzernen treiben?

Schlaglöcher werden nicht mehr ausgebessert, Baustellen verwaisen, sorgen für Dauerstau. Grünflächen verwahrlosen. Für die Anliegen der Bürger fehlt das Personal. Die Kommunen haben kein Geld mehr.

Doch es gibt ja Visionen: Jede Verwerfung auf der Straßendecke wird von Sensoren in den Autos an ein Rechenzentrum gemeldet, das umgehend eine automatische Reparatureinheit in Bewegung setzt. Die Abfolge der Baustellen in der Stadt ist von Computern optimiert. Staus im – ausschließlich elektrogetriebenen – Verkehr werden durch Leitstellen minimiert, der Bordcomputer übernimmt das Steuer. Müll in Parks wird, kaum vom Satelliten geortet, elektromobil abgeräumt.

Bürgersprechstunden erledigen sprachbegabte Computer, die bestens über die persönliche Situation jedes Bürgers informiert sind. Doch es geht nicht nur um die Behebung der Nöte einst klammer Städte. Der Superorganismus Stadt erhält ein Superhirn, das seinen ganzen Stoffwechsel, den Input und Output an Waren, Energie und Wasser regelt, im privaten wie im öffentlichen Bereich.

Schöne neue Welt. Oder: „Smart Cities“, das Stichwort, das derzeit fast alle Fakultäten aufmischt: Stadtplaner, Prozesswissenschaftler, Kommunikationsforscher, Informatiker, Umwelttechniker, Mathematiker, Ingenieure, aber auch Soziologen, Psychologen und andere. Ein Konzept, das Forschungsmillionen locker macht, das Drittmittel von IT-Unternehmen in die Universitäten lenkt. „Intelligente Städte“ also. Das hört sich nach Künstlicher Intelligenz an. Sensorik, Vernetzung, Mobilität. Zukunft.

Stadt überholt nach zehntausend Jahren die Provinz

Jetzt, da die Stadt nach gut zehntausend Jahren die Provinz überholt hat und mehr Menschen beherbergt als das Land, da sie mit Abstand der größte Verbraucher aller Rohstoffe ist, wird Urbanität neu definiert: Nicht mehr produktives Chaos, städtische Naturwüchsigkeit, Überraschung und Erstaunen, die gegenseitige Eroberung von Kultur und Natur sollen die Stadt ausmachen. Stattdessen Effizienz, Nullverbrauch. Null Emissionen sowieso. Kein Raum dem Zufall!

Der Fußabdruck des Menschen auf unserem Planeten soll bis unter die Messbarkeitsgrenze verschwinden, und die Metropole soll dabei voranmarschieren. Der beste Gang ist der virtuelle Gang. Energie sparen, Wasser sparen, Wege sparen, Unvorhergesehenes sparen.

So jedenfalls lesen sich die kühnsten Visionen, auch wenn es Ina Schieferdecker, Koordinatorin der Initiative „Smart Cities“ bei den Fraunhofer-Instituten, pragmatischer ausdrückt: „Smart ist eine Stadt dann, wenn sie neue Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Digitalisierung in überdurchschnittlich hohem Maße nutzt und die allgemeine Vernetzung fördert.“

Alles in allem ein für Forschung und Industrie einträglicher Paradigmenwechsel, der in den Konzeptpapieren immer wieder mit einem Begriff begründet wird, einem Zauberwort: Klimawandel. Er mache das Ganze alternativlos. Programmierte Intelligenz als Vehikel, Myriaden an Daten als Treibstoff und übermenschliche Perfektion als Ziel – die Stadt von morgen soll uns anschieben auf unserem neuen Weg, hin zur „großen Transformation“, wie sie Klimafolgenforscher Hans Joachim Schellnhuber vorschwebt und wie er sie einfordert.

Computerpionier IBM sammelt „Big Data“

Die Großen, die mitmischen wollen, zeichnen sich ab. Allen voran „Big Blue“ IBM. Der einstige Pionier im Computergeschäft setzt heute ganz auf Kommunikationstechnologie und die dafür nötige Sammlung von Daten. „Big Data“, was immer man bekommt. „Smart Cities“ ist dafür der ideale Marktplatz. Der Konzern gibt an, mit 2000 Städten weltweit in Verbindung zu stehen. Cisco, Siemens, Intel und eine Handvoll weiterer Konzerne wollen ebenfalls mitmischen, konkurrieren um die Zusammenarbeit mit Universitäten und Kommunen.

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Eine Modellstadt ist bereits im Bau: Masdar bei Abu Dhabi für 47.000 Einwohner soll zur „CO2-neutralen Wissenschaftsstadt“ werden. Doch das Utopia in der Wüste lässt noch auf sich warten. Ursprünglich sollte es 2016 bezogen werden, jetzt ist es für 2025 geplant.

Bei den einzelnen Komponenten, die heute ins Spiel gebracht werden, geht es eher um Pragmatisches. Verkehrslenkung, flexibles Straßenlicht, flächendeckende Breitbandtechnik für dezentrale Arbeitsplätze, tageszeit- und wetterabhängiges Abwassermanagement, interaktive Patientenbetreuung statt Besuch in der Praxis. All das wird jetzt in das Gesamtkonzept „Smart Cities“ gegossen, das reichlich wolkig daherkommt. Kritiker sehen es als Marketing-Gag der Konzerne für ihre Kommunikationstechnologie. Zwischen den Zeilen indes schimmern Visionen durch, anspruchsvollere Ziele. Es deutet sich an, dass die kühnen Träume der IT-Experten auch auf anderer Ebene Unterstützung erhalten.

Entschärfung sozialer Brennpunkte durch „Big Data“?

Es geht nicht nur um den öffentlichen Raum, auch der private Bereich wird dem alles lenkenden Computer übergeben. Natürlich auch die Konzeption, Bau und Nutzung von Eigenheimen. Längst ist dies nicht nur eine technische Herausforderung.

Schon heute lassen die scharfen Bestimmungen der Klimaschutzgesetze zu Gebäudesanierung und Heizungsanlagen, zu Energiepässen und Elektrogeräten erkennen: Was die Industrie als technisch möglich vorgibt, wird kurz darauf durch staatliche Normen alternativlos, im Umschlagsrhythmus weniger Jahre. Das „Smart Home“ wird Pflicht. Und warum sollten nicht auch andere Problembereiche der Stadtpolitik „smarten“ Computerprogrammen anvertraut werden?

So bequem ist das Zuhause von morgen

Per Fernsteuerung alles im Griff: Das „Smart-Home“ soll uns den Alltag erleichtern und lästige Hausarbeit abnehmen. Auf der Ifa 2014 in Berlin wird die Vision vom „Zuhause der Zukunft“ Realität.

Quelle: N24

Die Steuerung der Wanderungsbewegungen etwa für den Schutz vor Gentrifizierung, die Entschärfung sozialer Brennpunkte, die Prävention gegen Kriminalität? Alles eine Frage von „Big Data“, dem Zufall keinen Raum.

Der große Kontrollraum mit vielen hundert Monitoren für die ganze Stadt zeichnet sich ab. In Ansätzen ist er bereits Realität, doch wird er andere Dimensionen bekommen. Das Alltägliche unten, die mittelfristigen Prozesse ein Stockwerk darüber, die lange Sicht weiter oben und so weiter – alles bestens vernetzt und organisiert in einer „Public-Private-Partnership“ (PPP) von Stadtverwaltung und IT-Konzernen. Doch wer wird in dieser PPP das Sagen haben?

Lokalpolitik wird noch abhängiger von Großunternehmen

Dies ist der Punkt, an dem viele Kritiker ansetzen, etwa Anthony M. Townsend. Der Experte für Technologiefolgen in urbanen Räumen geht in seinem Buch „Smart Cities“ der Frage nach, wer den Kontrollraum kontrolliert. Gewiss, zunächst ausführende Organe des Magistrats. Doch dieser und seine Experten werden in der intelligenten Stadt abhängig sein wie nie zuvor von IBM, Siemens, Cisco, Intel und deren Datensammlungen. Und selbst wenn jenes Konzept den Städten durch Einsparungen zunächst vielleicht finanzielle Entlastung verschafft, muss sich erst noch erweisen, dass Kollege Computer, wenn er sich erst breit gemacht hat im Superorganismus der Metropole, tatsächlich kostengünstiger arbeitet.

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Die Halbwertzeit von Hard- und Software beträgt heute nur noch wenige Jahre, Tendenz abnehmend, Kosten zunehmend. Wie wird es da um die tatsächliche Vertragsfreiheit in der PPP stehen?

Heute kann Berlin, wenn es Probleme mit dem Betreiber der S-Bahn gibt, den Job neu ausschreiben. Aber wird dies genauso laufen können in der Smart City mit dem Betreiber des Kontrollraums, der virtuelle Fäden zieht bis in jeden Winkel der Stadt? Oder müssen dann – um im Bild der S-Bahn zu bleiben – alle Gleisanlagen herausgerissen und ausgetauscht werden, weil bei der digitalen Infrastruktur die Kompatibilität mit den Programmen anderer Anbieter nicht erwünscht war? Was geschieht mit den gesammelten Daten, besonders wenn sie in fernen Ländern gespeichert sind? Wäre da eine Trennung der Partnerschaft überhaupt noch möglich?

Dass weltweit agierende Konzerne dabei nicht nur auf lukrative Aufträge, sondern auch auf Macht spekulieren, zeigt Burlington im US-Bundesstaat Vermont. Die Stadtverwaltung hat dort auf eigene Kappe ein Breitbandnetz für die Bürger verlegen lassen. Der US-Konzern Comcast, weltgrößter Kabelbetreiber, kämpft vor Gericht und auf allen politischen Ebenen gegen diese Eigenmächtigkeit der öffentlichen Hand. Eine absurde Klage? Vielleicht, doch in der Hälfte der US-Bundesstaaten gelten Gesetze, die solche öffentlichen Kabel tatsächlich untersagen. Alex Marshall schreibt in seinem Essay „Big Data. Big Questions“ im Magazin „Metropolis“: „Das ist, als hätte Perrier den Gesetzgeber überzeugt, den Städten die öffentliche Wasserversorgung zu verbieten.“

Intelligente und flexible Straßenbeleuchtung in Königsbrunn bei Augsburg. Durch Sensoren bleiben sie dunkel wenn niemand unterwegs ist. Weil gleichzeitig ein Signal an die nächste Laterne weitergegeben wird, begleitet das Licht den Passanten
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Quelle: bavariaone

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