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Bei der Bundeswehr geben die Planlosen den Ton an

Politischer Korrespondent
Ursula von der Leyen, hier in Afghanistan, räumt ein: Ab 2016 sei mehr Geld für die Ausrüstung der Bundeswehr notwendig Ursula von der Leyen, hier in Afghanistan, räumt ein: Ab 2016 sei mehr Geld für die Ausrüstung der Bundeswehr notwendig
Ursula von der Leyen, hier in Afghanistan, räumt ein: Ab 2016 sei mehr Geld für die Ausrüstung der Bundeswehr notwendig
Quelle: AFP
Ob beim Kauf von neuen Panzern, ob bei der Finanz- oder der Personalplanung: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen führt die Streitkräfte mit Wankelmut – und nach dem „Hü-hott-Prinzip“.

Es gibt Briefe aus dem Bundesministerium der Verteidigung, die gibt es gar nicht. Im August hatte Staatssekretär Markus Grübel (CDU) dem Bundestag noch eine schriftliche Abfuhr erteilt. Es ging um den Wunsch der Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Verteidigungsausschuss, die Zahl der Transportpanzer vom Typ Boxer für die Bundeswehr deutlich aufzustocken. Das komme nicht infrage, formulierte Grübel stellvertretend für die politische Führung des Ministeriums: „Weder die Beschaffung von zusätzlichen GTK Boxer noch eine Erhöhung der Aufwendungen für den Betrieb sind in der derzeitigen Finanzplanung abbildbar.“

Die Abgeordneten waren einigermaßen verblüfft. Schließlich kannten sie die Bedarfsberechnungen des Heeres. Dessen Führung hält die Landstreitkräfte mit der derzeit geplanten Stückzahl von 190 Boxer für „strukturell deutlich unterversorgt“ und verlangt mit Blick auf die veränderte Sicherheitslage in Osteuropa und die von Deutschland für die Nato zu erbringenden Fähigkeiten einen „signifikanten Aufwuchs“.

Auf Nachfrage wurde den Fachpolitikern vom Generalinspekteur, dem obersten deutschen Soldaten, schließlich mitgeteilt, sie mögen das Schreiben Grübels als nicht geschrieben betrachten. Seitdem gibt es also einen Brief, den es nicht gibt.

Die formidable Kehrtwende im Ministerium

Tatsächlich hat die politische Spitze im Bendlerblock eine formidable Kehrtwende hingelegt. Dem Haushaltsausschuss des Bundestags, der an diesem Donnerstag abschließend über den Wehretat für das kommende Jahr berät, liegt ein Antrag vor, in dem es heißt: „Das Bundesministerium der Verteidigung beabsichtigt im Jahr 2015 die Beschaffung zusätzlicher 131 GTK Boxer mit einem Finanzvolumen von circa 620 Millionen Euro ab 2016 in einem angenommenen Realisierungszeitraum von fünf Jahren.“ Begründung: Aufgrund der Sicherheitslage in Osteuropa und Deutschlands Beitrag für die Nato sei ein signifikanter Aufwuchs der Stückzahlen „priorisiert“.

Der Vorgang sage einiges darüber aus, wie das Wehrressort arbeite, findet Rainer Arnold. Zwar ist der verteidigungspolitische Sprecher der SPD mit dem Ergebnis im Fall der Boxer zufrieden, mit dem Weg der Entscheidungsfindung jedoch nicht. Natürlich, sagt Arnold, es gelte das Primat der Politik, und nicht jeder Wunsch der Militärs könne erfüllt werden: „Aber es ist schon nötig, dass man sorgfältig und wohlbegründet dargelegten Rat aus seinem eigenen Haus nicht einfach in den Wind schlägt.“

Nicht nur bei den Radpanzern scheint im Bendlerblock jedoch eher das Primat der politischen Planlosigkeit zu regieren. Auch bei ihrer Finanzplanung führt die Verteidigungsministerin nach dem Hü-hott-Prinzip. Über Monate predigte Ursula von der Leyen, dass sich der deutsche Wehretat in Höhe von rund 32 Milliarden Euro sehen lasse könne. Bei notwendigen Veränderungen gehe es nicht um Steigerungen, sondern um intelligentere Mittelverwendung.

Das gepanzerte Transportfahrzeug Boxer, das „hoch mobil“ sein soll
Das gepanzerte Transportfahrzeug Boxer, das „hoch mobil“ sein soll
Quelle: picture-alliance/ dpa

Mittlerweile klingt das anders. Ab 2016 sei mehr Geld für die Ausrüstung notwendig, sagt die CDU-Frau: „Das wird sich absehbar auch im Etat niederschlagen.“ Diese Erkenntnis freilich kommt ziemlich spät. Verständnis mag man noch dafür haben, dass die Ministerin, als sicherheitspolitischer Newcomer ins Amt gewechselt, den Finanzierungsbedarf bei der Ausrüstung unterschätzt hat.

Doch bereits wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2013 kündigte von der Leyen eine Attraktivitätsoffensive für ihre Soldaten an. Der Job bei der Bundeswehr soll durch höhere Sozialleistungen und bessere Ausstattung der Kasernen auch für hochqualifizierte Fachkräfte reizvoll bleiben. Das kostet mehr Geld. Woher es kommen soll, darum kümmerte sich die Ministerin offenbar nicht.

Aus den Unterlagen für den Haushaltsausschuss ist nun ersichtlich, wie das Wohlfühlprogramm für die Soldaten finanziert werden soll. Rund 290 Millionen Euro, die eigentlich für die Beschaffung der Fregatte „F125“ eingeplant waren, sollen genutzt werden, um die Maßnahmen der Attraktivitätsagenda zu bezahlen.

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Ein „haushaltspolitisches Himmelfahrtskommando“ nennt das Tobias Lindner, Finanzexperte der Grünen. „Die gesetzlichen Ansprüche ihrer Soldaten aus dem Attraktivitätsgesetz kann von der Leyen nur decken, weil es zufällig zu Problemen im Rüstungsbereich kommt.“ Auch eine mittelfristige Finanzplanung für die neuen Ansprüche der Soldaten und später anfallende Zahlungen für die Fregatte vermisst Lindner: „Kurzfristig mag die Ministerin ein Problem gelöst haben, häuft aber in der Zukunft ungedeckte Schecks auf.“

Auch eine Aufstockung der 225 Kampfpanzer vom Typ Leopard II wird geprüft
Auch eine Aufstockung der 225 Kampfpanzer vom Typ Leopard II wird geprüft
Quelle: dpa

Für die neuen Boxer gebe es ebenfalls noch keine durchgerechnete Vorsorge, bemängelt Lindner. Dabei sind die Transportpanzer nicht die einzigen neuen Fahrzeuge, über die das Ministerium nachdenkt. Auf Anfrage der „Welt“ teilte das Wehrressort mit, auch eine Aufstockung der 225 Kampfpanzer vom Typ Leopard II werde geprüft. Außerdem stelle man „konzeptionelle Überlegungen“ über die Entwicklung eines Leopard-Nachfolgers an. Ein solches Main Ground Combat System war bereits 2012 mit Frankreich vereinbart worden.

Mehr Boxer, eventuell mehr Leopard II und die Entwicklung eines Kampfpanzers der Zukunft – vor dem Hintergrund dieser milliardenschweren Planungen für die Ausstattung des Heeres vermag sich kaum noch zu erschließen, warum von der Leyen jüngst darlegte, dass gepanzerte Fahrzeuge aus Sicht der Bundeswehr künftig keine Schlüsseltechnologie mehr sein sollen, die in Deutschland aus militärischen Gründen erhalten werden muss.

Aber auch hier gilt das Hü-hott-Prinzip: In einem Papier für die Abstimmung mit anderen Ressorts wird der Panzerbau nun doch wieder als Schlüsseltechnologie zur Diskussion gestellt – wobei das Ministerium betont, das sei kein „Schwenk“, sondern „ein Signal der Gesprächsbereitschaft“. Von der Leyen ist also noch auf dem Weg zum Hott.

Den Eindruck von Wankelmütigkeit sucht das Ministerium auch bezüglich seiner Personalplanungen zu vermeiden. Nachdem das Blog „Augen geradeaus“ Ende September über die bevorstehende Ablösung des Leiters des Beschaffungsamtes der Bundeswehr in Koblenz, Harald Stein, berichtet hatte, folgte ein hartes Dementi: Das sei „Blödsinn“. Nun wissen aber Besucher Steins glaubwürdig zu berichten, dass der Beamte sich in der Tat auf seinen vorzeitigen Ruhestand einstellte.

Entscheidungen werden schlicht verschoben

Wahrscheinlich hatte die juristische Prüfung der Absicht, den Zivilisten Stein durch Generalleutnant Erich Pfeffer zu ersetzen, kein befriedigendes Ergebnis erzielt: Ein Militär an der Spitze der Behörde gilt aufgrund des verfassungsrechtlichen Trennungsgebots zwischen den Streitkräften und ihrer Verwaltung als heikel.

Um weiteren Hü-und-hott-Vorwürfen zu entgehen, scheint das Ministerium nun eine neue Strategie entwickelt zu haben: Entscheidungen werden schlicht verschoben. Nach diesem Prinzip verfährt von der Leyen bei einem der größten Beschaffungsvorhaben der nächsten Jahre, einem taktischen Luftverteidigungssystem. Vor rund einem Jahrzehnt beauftragte Deutschland die Unternehmen MBDA und Lockheed Martin mit der Entwicklung des Medium Extended Air Defense System (Meads), einer Raketenabwehr der neuesten Generation.

Ende 2014 nun ist die Entwicklungsphase abgeschlossen, um das Programm weiterzuführen, bedürfte es eines Auftrags. Der langen Vorlaufzeit zum Trotz sieht sich von der Leyen nicht in der Lage, darüber zu entscheiden: Erst im zweiten Quartal 2015 will sie so weit sein. Das Problem: Die Ingenieure bei MBDA haben ab Januar keine Arbeit mehr. Für die Regierungsfraktionen von SPD und Union ist die Lage klar. „Das Parlament hat Meads auf den Weg gesetzt“, sagt SPD-Mann Arnold, „und es muss aus unserer Sicht bei diesem Projekt bleiben.“ Die Ministerin mag ebenfalls einen Plan haben. Welchen, das behält sie sicherheitshalber für sich.

Charme-Offensive für neue Soldaten

Höherer Sold, schönere Stuben und flexiblere Einsatzzeiten: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will den Dienst bei der Bundeswehr attraktiver machen. Das lässt sie sich Millionen kosten.

Quelle: Reuters

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