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Hitlergruß von V-Männern ist „unverzichtbar“

Künftig sollen V-Leute bestimmte milieuspezifische Straftaten verüben dürfen – das gilt auch für die Neonazi-Szene Künftig sollen V-Leute bestimmte milieuspezifische Straftaten verüben dürfen – das gilt auch für die Neonazi-Szene
Künftig sollen V-Leute bestimmte milieuspezifische Straftaten verüben dürfen – das gilt auch für die Neonazi-Szene
Quelle: picture alliance/ dpa
Die Regierung will, dass V-Männer des Verfassungsschutzes Straftaten begehen sollen, die typisch für Extremisten sind. Ansonsten könnte es für die Informanten gefährlich werden. Doch es gibt Grenzen.

Die massive Kritik an der geplanten Verfassungsschutzreform ruft die Sicherheitsbehörden auf den Plan. Wie die „Welt“ aus Sicherheitskreisen erfuhr, seien sogenannte V-Männer „unverzichtbar“, um in entsprechenden Milieus an Informationen über mögliche Gewalttaten oder Anschläge zu gelangen.

An diesem Montag beschäftigt sich der Innenausschuss des Bundestags in einer öffentlichen Anhörung von Experten mit dem von der schwarz-roten Regierung eingebrachten Gesetzentwurf. Dieser sieht als Reaktion aus den Ermittlungspannen rund um die rechtsextremistische Terrorzelle NSU unter anderem vor, die sogenannte Zentralstellenfunktion des Bundesamtes im Verfassungsschutzverbund zu stärken, den Informationsaustausch zwischen den Nachrichtendiensten zu verbessern und den Einsatz von V-Leuten strenger zu regeln.

Die Opposition hat das Vorhaben bei der ersten Lesung im Parlament umfassend kritisiert. Linke und Grüne beklagen, dass die Befugnisse der Nachrichtendienste trotz mehrerer Skandale in den vergangenen Jahren ausgeweitet würden. Den Einsatz von V-Leuten nennen sie „hochproblematisch“. Teile der Opposition fordern sogar eine Abschaffung der Nachrichtendienste.

Die „Schmutzfüße“ werden weiter gebraucht

Die V-Mann-Praxis war zuletzt heftig in die Kritik geraten. Im Fall der NSU-Morde hatte sich unter anderem gezeigt, dass die bezahlten Informanten des Staates viel dichter am engsten Zirkel der Rechtsterroristen dran waren, als zunächst offengelegt worden war. Im Gegensatz zu verdeckten Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden sind V-Leute, die von Polizei oder Nachrichtendiensten geführt werden, fester Bestandteil ihrer Szene. Selbst Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen nennt sie ganz offen „Schmutzfüße“.

Künftig sollen V-Leute bestimmte milieuspezifische Straftaten verüben dürfen, ohne dass sie dafür verfolgt werden. Wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist, soll aber weiterhin ermittelt werden. Ein paar Beispiele: Das Zeigen des Hitlergrußes, das Vermummen bei Demonstrationen oder die Mitgliedschaft bei der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) soll demnach für V-Leute erlaubt sein.

Ansonsten würden Kontaktpersonen leicht auffliegen, heißt es in Sicherheitskreisen: „Wer nicht in der Lage ist, einen Hitlergruß zu zeigen, kann sich auch gleich einen Strick nehmen.“ Das Werfen von Steinen und Flaschen müsse in begrenztem Maß möglich sein. Zudem müsse man mit Islamisten zusammenarbeiten können, die für den IS in Syrien oder im Nordirak gekämpft haben.

Schwerkriminelle sollen nicht angeworben werden

Eine gesetzliche Regelung war notwendig geworden, nachdem das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 2011 erklärt hatte, dass sich auch V-Leute als Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung strafbar machen können. Die nun vorgesehene Regelung würde auch die Führer von V-Männern schützen, die ansonsten wegen Beihilfe zu Straftaten belangt werden könnten.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen
Quelle: dpa

Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt das Festschreiben dieser Möglichkeiten für V-Männer. Ihr innenpolitischer Sprecher Burkhard Lischka fordert bei anderen Punkten des Gesetzentwurfes aber Nachbesserungen. Lischka lehnt zum Beispiel Ausnahmen für das Anwerben von zu Freiheitsstrafen verurteilten Straftätern ab. „Ein Rechtsstaat muss Grenzen setzen, mit wem er zusammenarbeiten will“, sagte der SPD-Politiker der „Welt“. „Bereits das Fehlverhalten eines mit einer Freiheitsstrafe vorbelasteten V-Mannes könnte ausreichen, damit das notwendige Instrument schnell in Verruf gerät.“

Aufseiten der Sicherheitsbehörden sieht man hier jedoch keinen Korrekturbedarf. Man habe nicht vor, Schwerkriminelle anzuwerben, heißt es. Ein möglicher Kompromiss wäre ein Verfahren, bei dem Verfassungsschutzpräsident Maaßen im Einzelfall persönlich über die Anwerbung einer solchen V-Person entscheidet. Die SPD lehnt einen solchen Weg jedoch ab.

Widerstand kommt aus bevölkerungsstarken Bundesländern

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Zuversichtlich zeigt sich Lischka hingegen bei der Frage, dass sich SPD und Union über umfangreichere Berichtspflichten einigen. Der SPD-Innenexperte fordert, dass die Nachrichtendienste regelmäßig das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags über Einsatzgebiete von V-Männern, Anzahl sowie den Erkenntnisgewinn berichten.

An einem Strang ziehen Union und SPD im Bund hinsichtlich der Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes. Die Behörde mit Sitz in Köln soll künftig in Einzelfällen selbstständig bei einem auf ein Bundesland beschränktes Phänomen tätig werden kann. Der NSU-Fall habe gezeigt, dass das Land Thüringen mit der Situation überfordert gewesen sei, heißt es aus Sicherheitskreisen. „Wir wollen künftig nicht die Aufgaben der Länder übernehmen. Es muss aber möglich sein, im Einzelfall einzugreifen, ohne darum betteln zu müssen.“

Vor allem bevölkerungsreiche Bundesländer mit eigenen größeren Landesämtern für Verfassungsschutz lehnen die Pläne des Bundes jedoch ab. Sie möchten nicht, dass das Bundesamt künftig ohne Einverständnis des betroffenen Landes im Einzelfall in den Regionen selbst aktiv werden kann.

Ein Verstoß gegen das Grundgesetz?

Die Bundesregierung ist bislang der Auffassung, dass der Bundesrat dem Gesetz nicht zustimmen muss. Klagen von Länderseite vor dem Bundesverfassungsgericht werden aber nicht ausgeschlossen.

Unterstützung erhalten die Länder in ihrer Haltung zum Beispiel vom Karlsruher Rechtsprofessor Matthias Bäcker. In seiner Stellungnahme für die Anhörung an diesem Montag schreibt Bäcker, dass die geplante Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs „mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht in Einklang“ stehe.

Der innenpolitische Sprecher der SPD kündigte an, dass man hier nicht nachgeben werde. „Die Koalitionsfraktionen im Bundestag werden beim Eingriffsrecht hart bleiben, auch wenn das manchen Ländern nicht gefällt“, sagte Lischka der „Welt“. „Wir setzen damit eine zentrale Forderung des NSU-Untersuchungsausschusses um.“

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