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Deutschland Helden im Wartestand

Bundeswehr setzt eigene Kampfretter außer Gefecht

Politischer Korrespondent
Amerikanische und deutsche Kampfretter bei der groß angelegten Übung „Angel Thunder“ im Jahr 2015 Amerikanische und deutsche Kampfretter bei der groß angelegten Übung „Angel Thunder“ im Jahr 2015
Amerikanische und deutsche Kampfretter bei der groß angelegten Übung „Angel Thunder“ im Jahr 2015
Quelle: U.S. Air Force photo by Staff Sgt. Angela Ruiz/Public Domain
Kampfretter zählen zur Elite der Bundeswehr und befreien Kameraden aus feindlichem Gebiet. Eigentlich. Denn die Soldaten dürfen nicht in den Einsatz. Eine neue Posse aus den deutschen Streitkräften.

Alles begann mit Scott O’Grady. Der Captain der US-Luftwaffe wurde im Juni 1995 mit seinem F16-Kampfjet über Bosnien abgeschossen, rettete sich mit dem Schleudersitz – allerdings auf feindliches Gebiet. Nach sechs Tagen Flucht vor den Serben wurde der Pilot von „Pararescuejumpern“, einer eigens für diesen Zweck trainierten Einheit von Kampfrettern, gefunden und unter Beschuss in Sicherheit gebracht. Die dramatische Aktion schaffte es auf die Titelseite des „Time“-Magazins.

„Manchmal braucht man das Geld, manchmal wäre Freizeit besser“

Angefallene Überstunden müssen bei der Bundeswehr innerhalb eines Monats abgebaut werden. Das bringt den Soldaten einen Tag Freizeit, mit dem sie - weit weg von der Familie - gar nichts anfangen können.

Quelle: Die Welt

Wenige Wochen nach diesem gelungenen „Combat Search and Rescue“ (CSAR, bewaffnete Suche und Rettung) flogen deutsche Tornados erste Einsätze über Bosnien. Und den Generälen dämmerte: So etwas wie O’Grady kann auch unseren Soldaten passieren. Die Bundeswehr benötige folglich Kräfte „zur Rettung und Rückführung isolierten Personals“. Also Kampfretter.

Seit dem 8. Januar 2016 starten Tornados der Luftwaffe vom türkischen Incirlik aus zu Aufklärungsflügen über Syrien und dem Irak. Im Mandat des Bundestages ist über die Fähigkeiten für diese Mission zu lesen: „Sicherung und Schutz, gegebenenfalls Rettung und Rückführung isolierten Personals“. Das machte den Bundestagsabgeordneten Tobias Lindner (Grüne) stutzig.

Hohle Worte

Sind Kampfretter der Bundeswehr tatsächlich in Syrien unterwegs, oder ist ein solcher Einsatz geplant? Auf seine Anfrage teilte das Verteidigungsministerium mit: Nein, Kampfretter würden aktuell nirgendwo eingesetzt, man stütze sich auf multinationale Fähigkeiten. Mit anderen Worten: 20 Jahre und etliche Auslandseinsätze nach dem Fall O’Grady ist die Bundeswehr immer noch darauf angewiesen, dass im Notfall verbündete Streitkräfte deutsche Soldaten vor Gefangennahme oder Tod retten.

Islamismus bei der Bundeswehr „reale Gefahr“

Erst die Waffenausbildung bei der Bundeswehr, dann zum IS. „Das ist eine reale Gefahr“, sagt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD). 29 Ex-Soldaten sind nach Syrien und in den Irak ausgereist.

Quelle: Die Welt

In den bundeswehrinternen Konzeptionen liest sich das anders. Ob Piloten von Kampfjets, Besatzungen von Transportflugzeugen oder das hinter feindlichen Linien agierende Kommando Spezialkräfte (KSK): Für alle diese Soldaten sollen im Notfall Kampfretter zuständig sein, und zwar „im gesamten Einsatzspektrum, unter allen Klima- und Wetterbedingungen, bei Tag und Nacht“.

Der Aufbau der Fähigkeit CSAR, beteuert das Ministerium seit Jahren unermüdlich, sei „hoch priorisiert“. In den Jahren 2003 und 2005 erklärte sich die Bundesregierung innerhalb von Nato und EU gar zur „Lead Nation“ für diese international knappe Ressource.

Dennoch dauerte es bis 2013, ehe beim Hubschraubergeschwader 64 in Laupheim 25 Dienstposten „Kampfretterfeldwebel Luftwaffe“ geschaffen wurden. 19 davon sind derzeit besetzt. Trotz dieses bescheidenen Umfangs geriet der Standort schnell zum beliebten Reiseziel für Minister. Erst schwärmte Thomas de Maizière (CDU): „Auf Ihnen ruhen viele Hoffnungen.“ Dann erkannte auch seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen (CDU) treffend, „dass wir eine der wenigen Nationen sind, die diese hochkomplexe Fähigkeit tatsächlich besitzen“.

Zuvor hatte man ihr erklärt, dass die Kampfretter neben ihrem Kernauftrag auch andere Aufgaben erledigen könnten. So haben die Pararescuejumper der US-Luftwaffe schon bei Erdbeben- und Flutkatastrophen geholfen – für solche Einsätze bietet von der Leyen ihre Soldaten gerne an. Sie äußerte die feste Überzeugung, „dass man diese hohe Spezialisierung vorantreiben, ausweiten, stärken sollte“ und versprach Unterstützung.

Hubschrauber-Oldie CH-53 muss herhalten

Aus dem Schreiben des Ministeriums an den Grünen-Verteidigungsexperten Lindner geht indes hervor, dass dem Versprechen der CDU-Politikerin keine Taten gefolgt sind. Die Bundeswehr verfüge „nicht über ein geeignetes Luftfahrzeug zur Wahrnehmung der qualitativ hochwertigen Methode CSAR“, heißt es darin. Zwar wurden 1996 nach dem Erweckungserlebnis auf dem Balkan Sondermodelle des modernen NH-90-Transporthubschraubers in Auftrag gegeben. Doch es kam wie so oft in den deutschen Streitkräften: Nach zwölf Jahren der Entwicklung blies das Wehrressort das Projekt 2008 aufgrund technischer Probleme ab. Bis heute müssen die Kampfretter mit dem behäbigen Hubschrauber-Oldie CH-53 üben.

Union fordert Bundeswehr-Einsatz im Inland

Die Bundesregierung will den Einsatz der Bundeswehr auch im Inland möglich machen, etwa bei Terrorgefahr. Angesichts gegenwärtiger und zukünftiger Bedrohungen seien Weiterentwicklungen der Gesetzeslage erforderlich.

Quelle: Die Welt

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Dennoch könnte die Einheit, zum Beispiel in Syrien, zumindest gemeinsam mit den Verbündeten arbeiten – wie in zahlreichen Manövern mit Kampfrettern aus den USA, Israel und anderen Nationen längst geschehen. Doch es gibt noch ein weiteres Problem. „Der sanitätsdienstliche Anteil der Ausbildung ist derzeit noch nicht abschließend festgelegt“, schreibt das Wehrressort.

Kampfretter müssen in der Lage sein, im Einsatz bis zu 36 Stunden lang eine medizinische Erstversorgung zu gewährleisten, bis sie Verwundete an qualifizierte Sanitäter oder Ärzte übergeben können. Kurse dafür gibt es in der Bundeswehr, sie sind allerdings Spezialkräften wie dem KSK vorbehalten. Trotz ihrer hochwertigen Ausbildung gelten die Kampfretter aber nur als „spezialisierte Kräfte“, den Status Spezialkräfte haben sie nicht.

Die Lösung wäre einfach. Die Kampfretter müssten wie international üblich den Spezialkräften zugeordnet werden. Der Alternative, Sanitäter oder Ärzte mit in den Einsatz zu nehmen, ist völkerrechtlich der Weg versperrt. Die Genfer Konvention verbietet, dass Sanitätspersonal „an der Umsetzung eines Auftrages unter Anwendung militärischer Gewalt“ beteiligt wird. „Die Bundeswehr muss sich entscheiden, ob sie diese Fähigkeit haben möchte oder nicht“, bilanziert Lindner. „Die derzeit halbherzige Umsetzung macht wenig Sinn.“

20 Jahre nach Bosnien und zwei Jahre nach von der Leyens Besuch in Laupheim bleiben die Kampfretter (Motto: „Damit andere leben können“) Helden im Wartestand. Und deutsche Soldaten im Einsatz müssen notfalls von anderen Nationen gerettet werden.

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