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Deutschland Fußball-WM 2006

Frühere DFB-Bosse gehen gegen „Sommermärchen“-Anklage vor

Ressortleiter Investigation und Reportage
Als das Sommermärchen noch keine Lektüre für Staatsanwälte und Steuerfahnder war: Momente reiner Fußballfreunde während der WM 2006 Als das Sommermärchen noch keine Lektüre für Staatsanwälte und Steuerfahnder war: Momente reiner Fußballfreunde während der WM 2006
Als das Sommermärchen noch keine Lektüre für Staatsanwälte und Steuerfahnder war: Momente reiner Fußballfreude während der WM 2006
Quelle: pa/dpa/Steffen Kugler
Jahrelang prüfte die Staatsanwaltschaft, ob sich Mitglieder des Organisationskomitees der WM 2006 strafbar gemacht haben. Sie befanden, dass die drei Macher rund 13,7 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben sollen. Und so drohen empfindliche Strafen.

Nein, mit einem Platz auf der Anklagebank und einer möglichen Freiheitsstrafe soll die Geschichte des „Sommermärchens“ nicht enden, jedenfalls nicht, wenn es nach den einstigen Machern geht.

Deswegen wehren sich mit Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Horst R. Schmidt drei ehemalige Bosse des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit aller Vehemenz gegen die Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt, die dem Trio schwere Steuerhinterziehung vorwirft. Sie haben beim Landgericht beantragt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen.

Dies geht aus den Stellungnahmen ihrer Rechtsanwälte hervor, die WELT AM SONNTAG vorliegen, ebenso wie die Anklageschrift vom 17. Mai 2018 sowie Teile der Ermittlungsakte.

Franz Beckenbauer (links), Präsident des WM-Organisationskommitees, mit Fußballfunktionär Horst R. Schmidt am 29. 06. 2006 bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Franz Beckenbauer (links), Präsident des WM-Organisationskommitees, mit Fußballfunktionär Horst R. Schmidt am 29. 06. 2006 bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Quelle: pa/Bernd Settnik/dpa

Hintergrund der staatsanwaltlichen Untersuchung sind zweifelhafte Machenschaften des deutschen Organisationskomitees (OK) der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die als „Sommermärchen“ in die Sportgeschichte einging.

Die Welt zu Gast bei Freunden, so lautete das Motto des Events vor etwas mehr als zwölf Jahren. Obwohl es für die deutsche Nationalmannschaft 2006 nicht zum Titel reichte, sondern nur für Platz drei, blieb dieser Sommermonat als eine große Feier im Gedächtnis – zumindest bis zum Herbst 2015.

Dann nämlich geriet Franz Beckenbauer, das Gesicht der WM-Bewerbung, in die Negativ-Schlagzeilen. Über dubiose Geldflüsse wurde berichtet, und die Frage stand im Raum, ob die WM gekauft war.

Erst Verdachtsmomente, nun konkrete Vorwürfe

Tatsächlich gab es zahlreiche Verdachtsmomente dafür, dass sich Deutschland bei der WM-Vergabe Stimmen von Wahlberechtigten des Fußball-Weltverbandes Fifa mit Schmiergeld gesichert haben könnte. Seitdem liegt ein Schatten über diesem Turnier, ist die Erinnerung daran getrübt und Beckenbauer fast ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden – obwohl der Stimmenkauf bis heute nicht bewiesen ist.

Knapp drei Jahre lang untersuchten die Staatsanwaltschaft Frankfurt und die Steuerfahndung, ob sich Mitglieder des Organisationskomitees strafbar gemacht haben. Sie kamen zu dem Schluss, dass die drei deutschen Organisatoren insgesamt rund 13,7 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben sollen und der Schweizer Fifa-Generalsekretär Urs Linsi ihnen dabei geholfen habe.

Und so drohen den Angeschuldigten empfindliche Strafen. Auf schwere Steuerhinterziehung steht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren. Ab einer hinterzogenen Summe von einer Million Euro ist Bewährung nicht mehr möglich.

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Nach Ansicht der Ermittler haben die drei Deutschen eine Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro zu Unrecht als Betriebsausgabe deklariert und so steuermindernd geltend gemacht. Der beanstandete Betrag war am 27. April 2005 von einem Konto des OK an die Fifa überwiesen worden, die Fifa leitete das Geld an den mittlerweile verstorbenen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus weiter.

Der angegebene Verwendungszweck – Unterstützung für eine Kulturgala – war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nur vorgeschoben. In Wahrheit sei ein Privatdarlehen, das OK-Präsident Franz Beckenbauer bei Louis-Dreyfus aufgenommen hatte, mit den 6,7 Millionen Euro zurückgezahlt worden; daher sei die Zahlung nicht betrieblich veranlasst gewesen.

Gegen diese Interpretation wehren sich die Angeschuldigten. Die Rechtsanwälte der drei Deutschen legten in ihren Anträgen dar, dass sie die Zahlung sehr wohl als Betriebsausgabe bewerten, die steuerlich abgesetzt werden kann. Die Begründungen dafür sind verschieden. Alle Anträge kreiden der Staatsanwaltschaft angebliche Fehler in ihrer Interpretation der Vorgänge an.

Widersprüchliche Aussagen, löchrige Erinnerungen

Darüber hinaus kritisiert etwa der Rechtsanwalt von Horst R. Schmidt, entlastendes Beweismaterial sei nicht ausreichend beachtet worden. Zudem bezweifeln die Anwälte der Angeschuldigten, dass es sich bei den von Louis-Dreyfus an Beckenbauer gezahlten zehn Millionen Franken um ein Privatdarlehen an diesen gehandelt habe. Der Fußball-Weltmeister von 1974 und 1990 ist die Schlüsselfigur in der Affäre.

Wie die Ermittlungsakten zeigen, leistete der 73-Jährige bei den staatsanwaltlichen Vernehmungen keinen Beitrag zur Aufklärung. Immer wieder äußerte Beckenbauer, er könne sich an diesen oder jenen Vorgang nicht erinnern. Und die Aussagen der Angeschuldigten widersprechen sich. Und so basiert das von der Staatsanwaltschaft beschriebene Tatgeschehen unter anderem auf Spekulationen. Das Märchenhafte der Causa bleibt.

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