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Deutschland Verfolgte Tschetschenen

„Unschuldige werden an ein Unrechtssystem ausgeliefert“

Putin-Getreuer: Ramsan Kadyrow (M.) ist seit Mai 2007 Präsident der Teilrepublik Tschetschenien Putin-Getreuer: Ramsan Kadyrow (M.) ist seit Mai 2007 Präsident der Teilrepublik Tschetschenien
Putin-Getreuer: Ramsan Kadyrow (M.) ist seit Mai 2007 Präsident der Teilrepublik Tschetschenien
Quelle: pa/dpa/Friedemann Kohler
Moskau verlangt die Auslieferung von nach Deutschland geflohenen Tschetschenen. Ekkehard Maaß, Leiter der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft, kritisiert scharf, dass die Bundesrepublik gewillt sei, vermeintliche „Feinde Russlands“ zu übergeben.

Ekkehard Maaß, 68, studierte in der DDR Theologie und Philosophie. Als er Ende der 70er-Jahre Unterschriften gegen die Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann sammelte, verlor er seinen Studienplatz. Heute veranstaltet der Übersetzer und Sänger einen Literarischen Salon in Berlin. 1996 gründete er die Deutsch-Kaukasische Gesellschaft. Wegen seiner Menschenrechtsarbeit für Tschetschenien hat Maaß seit 2001 Einreiseverbot in die Russische Föderation. Für sein bürgerrechtliches Engagement erhielt er 2011 das Bundesverdienstkreuz.

WELT: Herr Maaß, Russland fordert die Auslieferung von Tschetschenen, die vor dem Regime von Ramsan Kadyrow nach Deutschland geflohen sind. Sie setzen sich für sie ein. Warum?

Ekkehard Maaß: Weil es Russland darum geht, Kritiker des tschetschenischen Regimes mundtot zu machen und auszuschalten. Deshalb werden sie kurzerhand zu Terroristen und Verbrechern erklärt. Nicht von ungefähr hat die russische Duma bereits 2006 beschlossen, dass vermeintliche Feinde Russlands auch im Ausland bekämpft werden dürfen. Daraufhin ist Alexander Litwinenko in London ermordet worden.

Ekkehard Maaß
Ekkehard Maaß
Quelle: foto@gezett.de

WELT: Nennen Sie uns konkrete Beispiele für zu Unrecht Beschuldigte?

Maaß: Ich möchte zwei Fälle hervorheben: Bislan Eskarkhanow wird beschuldigt, 2001 in Tschetschenien einen Banküberfall begangen zu haben. Das war zu einer Zeit, als das Land von russischen Truppen zerbombt und zerstört war und Tausende Tschetschenen unter erfundenen Anschuldigungen verhaftet und in russischen Filtrationslagern gefoltert wurden, darunter auch Eskarkhanow selbst. Der Tatvorwurf von russischer Seite ist völlig unglaubhaft. Noch dazu ist Eskarkhanow, von dem ich weiß, dass ihm radikale Ideen fernliegen, an Hepatitis C erkrankt. Dennoch soll er nach Russland überstellt werden, auch wenn die Auslieferung fürs Erste ausgesetzt ist.

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Inzwischen ist ein weiterer Fall hinzugekommen: der des 19-jährigen Soslan Abubakarow, der zwei Freunde in Tschetschenien für den IS angeworben haben soll. Belege dafür fehlen. Auch wenn Abubakarow islamistische Seiten im Internet angesehen hat, ist das noch keine Straftat. Die Beschuldigungen gegen ihn beziehen sich auf Taten, die Abubakarow begangen haben soll, als er noch minderjährig war und sich in Deutschland befand. Dennoch haben die deutschen Behörden seiner Auslieferung nach Russland zugestimmt.

WELT: Wie erklären Sie sich die deutsche Bereitschaft, auf derartige russische Auslieferungsgesuche einzugehen?

Maaß: Ich verstehe da den deutschen Rechtsstaat nicht. Es ist bekannt, dass Regimekritiker in Russland keine Aussicht auf ein faires Verfahren haben und die Zustände in russischen Gefängnissen mit europäischen Rechtsnormen unvereinbar sind. Es herrschen dort Gesetzlosigkeit und Willkür.

So gibt es einen Bericht, nach dem ein Tschetschene, der nach Russland ausgeliefert wurde, 28 Tage ohne jede Begründung in einem sogenannten Isolator saß. Der besteht aus einem schmalen Gang mit einem Toilettenloch auf der einen Seite und einem winzigen Fenster auf der anderen. Im Sommer ist es da unerträglich heiß und stickig, im Winter eisig kalt. Wie Deutschland Menschen an ein Land ausliefern kann, in dem es keine Rechtssicherheit gibt, ist mir unbegreiflich.

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WELT: Sind bei dieser deutschen Haltung politische Motive im Spiel?

Maaß: Davon bin ich überzeugt. Man kann ja verstehen, wenn Deutschland seine Beziehungen zu Russland wieder verbessern will. Mir ist auch klar, dass es wirtschaftlich und politisch ein wichtiges Land ist, mit dem wir in Verbindung bleiben müssen. Aber rechtfertigt das, Unschuldige aufgrund von Anklagen, die ein Unrechtssystem fabriziert hat, dorthin auszuliefern? Im Auswärtigen Amt, das diese Auslieferungen tschetschenischer Flüchtlinge befürwortet, scheint man diese Art der Kooperation mit Russland als eine Möglichkeit zu betrachten, in Zeiten politischer Spannungen positive Beziehungen zu Moskau aufrechtzuerhalten.

WELT: Gibt es aber nicht tatsächlich eine Bedrohung durch tschetschenischen Terrorismus? Der Verfassungsschutz warnt vor Gefährdern unter den etwa 50.000 Tschetschenen in Deutschland und spricht von etwa 500 Personen, die in islamistische Zusammenhänge verstrickt seien.

Maaß: Ich weiß nicht, woher der Verfassungsschutz diese Informationen nimmt. In den 22 Jahren, in denen ich mich mit Tschetschenien beschäftige, habe ich in der tschetschenischen Community keinen Hang zu Terrorismus und Islamismus feststellen können. Die Zustände in Tschetschenien unter der Schreckensherrschaft Kadyrows sind indes so entsetzlich, dass verzweifelte junge Männer in die Berge fliehen, um an ihren Landsleuten nicht zu Schuldigen zu werden.

Der Widerstand, den es bis 2016 gab, war zum Teil islamistisch geprägt. In Deutschland ist mir kein Fall bekannt, dass sich jemand dem IS angeschlossen hätte. Die tschetschenischen Flüchtlinge wollen arbeiten, wollen studieren und sich integrieren. Sie sind weit davon entfernt, die westliche Zivilisation als ihren Todfeind zu betrachten, wie das bei Islamisten der Fall ist. Religion spielt bei ihnen eher eine untergeordnete Rolle. Dennoch scheinen sich die deutschen Behörden in letzter Zeit regelrecht auf sie eingeschossen zu haben. Man scheint sich unter der großen Zahl von muslimischen Flüchtlingen diese kleine Gruppe herausgesucht zu haben, auf die man alle möglichen Bedrohungen projiziert.

WELT: Das klingt fast so, als ob die tschetschenischen Flüchtlinge ohne Fehl und Tadel wären…

Maaß: Nein, Flüchtlinge sind keine besseren Menschen, und so gibt es natürlich auch bei den Tschetschenen Probleme. Es gibt zum Beispiel bei ihnen einen Hang zur Gewalt, mit der Konflikte ausgetragen werden. Das ist in ihrer Geschichte und Mentalität angelegt. Es hat aber noch lange nichts mit Terrorismus oder Islamismus zu tun. Viel gefährlicher sind die Anhänger Kadyrows, die von Russland nach Deutschland eingeschleust werden. Es gibt eine große Zahl von tschetschenischen Flüchtlingen, die hier sehr schnell anerkannt werden und die offensichtlich im Auftrag Russlands hier sind.

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WELT: Tatsächlich berichten tschetschenische Flüchtlinge von Drohungen und Drangsalierungen, denen sie vonseiten Anhängern Kadyrows ausgesetzt sind. Wie ist es möglich, dass solche Leute in Deutschland ihr Unwesen treiben können?

Maaß: Auch in diesem Punkt ist mir das Verhalten der deutschen Behörden ein Rätsel. Sowohl das Bundesamt für Migration als auch Institutionen wie der Verfassungsschutz könnten diese Leute leicht identifizieren. Man sieht sie im Internet mit Kadyrow posieren, sie reisen ständig nach Moskau –Verhaltensweisen, die nicht zu Flüchtlingen passen. Man kann doch nicht hier politisches Asyl beantragen und zugleich mit dem Terrorregime beste Verbindungen pflegen, vor dem man angeblich geflohen ist.

Kadyrow-Anhänger sind es auch, die mit der tschetschenischen und osteuropäischen Mafia verbunden sind und tschetschenische Jugendliche zu Straftaten verführen. Ich verstehe nicht, dass diese Leute nicht besser kontrolliert werden und sich in Städten wie Kiel, Bremen und Hamburg entfalten können, etwa in von ihnen gegründeten Boxclubs.

WELT: Sie setzen die Machenschaften Kadyrows und die Handlungen Russlands in eins. Wie hängt das zusammen?

Maaß: Kadyrow ist in Tschetschenien, als einem Teil der Russischen Föderation, nur an der Macht, weil Putin ihn eingesetzt hat. Er ist für den Kreml-Chef der ideale Mann, weil er mit blutigem Terror eine Ordnung herstellt, die gewährleistet, dass von Tschetschenien keine Gefahren mehr für Russland ausgehen. Es gibt zwar gelegentlich Reibereien, wenn sich Kadyrow zu viel Macht herausnimmt. Im Wesentlichen ist er jedoch ein Vasall Putins und tut, was dieser ihm befiehlt. Dabei predigt Kadyrow seinerseits einen Islam, der Tschetschenien in seiner Entwicklung weit zurückwirft und insbesondere extrem frauenfeindlich ist.

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Maaß: So ist es in der Tat. Man kann daher nicht genug hervorheben, dass Tschetschenen, die sich Kadyrows Gewaltherrschaft nicht unterwerfen, innerhalb der Russischen Föderation keine Fluchtalternative haben. Die Beziehungen zwischen Kadyrow und dem russischen Staat sind dazu viel zu eng. Umso dringender ist unsere Verpflichtung, von ihnen Verfolgten hier Schutz zu gewähren.

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