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Strafvollzug

Hamburg plant norddeutschen Gefangenenaustausch

Autorenprofilbild von Jana Werner
Von Jana WernerFreie Autorin
Veröffentlicht am 15.12.2015Lesedauer: 4 Minuten
Der geschlossene Jugendstrafvollzug soll nach Schleswig-Holstein verlegt werden
Der geschlossene Jugendstrafvollzug soll nach Schleswig-Holstein verlegt werdenQuelle: DAPD

Weil Hamburgs Justizsenator Steffen den Strafvollzug der Stadt reformieren muss, prüft er derzeit eine Kooperation mit Schleswig-Holstein. Er präsentierte die konkreten Pläne nun der Öffentlichkeit.

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Hamburg steht gezwungenermaßen vor einer Gefängnisreform. Verzeichnet die Hansestadt doch nicht nur immer weniger Häftlinge. Auch „besteht eine erhebliche Differenz zwischen dem Personalbedarf und dem Personalbestand" in den Haftanstalten, heißt es in der Senatsdrucksache zur Neustrukturierung des Strafvollzugs, die der „Welt" vorliegt. Wenige Stunden nachdem das Thema am Dienstag im Senat von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) besprochen wurde, stellte Justizsenator Till Steffen (Grüne) seine Pläne der Öffentlichkeit vor: In Kiel an der Seite seiner schleswig-holsteinischen Amtskollegin Anke Spoorendonk (SSW). Beide Länder planen einen Gefangenenaustausch.

Das Modell sieht vor, das marode Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand zu schließen und außerhalb Hamburgs anzusiedeln. Im Einzelnen bedeutet das: Der geschlossene Jugendstrafvollzug soll nach Schleswig-Holstein verlegt werden, entweder in die Erwachsenenstrafanstalt Neumünster oder in die Jugendanstalt Schleswig. Der offene Jugendstrafvollzug könnte in ein Dienstwohnungsgebäude nach Fuhlsbüttel verlegt werden. Der Jugenduntersuchungshaftvollzug könnte in die JVA Billwerder umsiedeln. Und der Jugendarrest soll zwischen dem schleswig-holsteinischen Moltsfelde und Fuhlsbüttel aufgeteilt werden.

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Im Gegensatz dazu würde Hamburg den gesamten Frauenvollzug des Nachbarlandes übernehmen – am Standort Billwerder. Bereits fest steht, dass der derzeit ebenfalls auf Hahnöfersand angesiedelte Frauenvollzug 2016 in das Männergefängnis nach Billwerder zieht. Jüngst hatte Senator Steffen ein Vollzugskonzept für die Frauen vorgestellt, wonach die Abgrenzung zum Männervollzug "baulich, organisatorisch und personell sichergestellt" sei.

Nach Einschätzung seiner Amtskollegin Spoorendonk ist eine Ausweitung der Kooperation naheliegend, hat sich die bestehende Zusammenarbeit im Bereich des Justizvollzuges etwa bei der gemeinsamen Unterbringung von Sicherungsverwahrten in der JVA Fuhlsbüttel bewährt. Steffen zufolge soll eine gemeinsame Struktur einen qualitativ hochwertigen Vollzug langfristig in beiden Ländern gewährleisten. Um zukunftsfähig zu bleiben, müsse sich die Vollzugsstruktur in Hamburg ändern.

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Zahl der Häftlinge in Hamburg geht zurück

In der Stadt gibt es aktuell die Justizvollzugsanstalten Fuhlsbüttel, Billwerder, Glasmoor und Hahnöfersand sowie die Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis und die Sozialtherapeutische Anstalt mit der Außenstelle Bergedorf. Weil die Zahl der Häftlinge zurückgeht, hat Rot-Grün im Koalitionsvertrag angekündigt, den geschlossenen Vollzug verdichten zu wollen. Saßen zur Jahrtausendwende noch 3000 Inhaftierte in den Gefängnissen der Stadt, waren es Ende März 2015 noch 1500. Die Folge ist ein zunehmender Leerstand in den Gefängnissen.

Die nun startende Prüfung der Pläne soll bis Ende 2016 ergeben, was die weitere Zusammenlegung des Vollzugs personell, qualitativ und finanziell bedeuten würde. So muss Steffen Personalbestand und Personalbedarf in Einklang bringen: „Das schaffen wir nur, indem wir ausbilden und unsere Haftplätze optimal auslasten. Momentan haben wir viele Kleinstvollzüge mit hohem Personalaufwand", sagte der Grüne.

Momentan haben wir viele Kleinstvollzüge mit hohem Personalaufwand

Till Steffen (Grüne)

Laut Senatsdrucksache sollen allein für die Umsetzung des Prüfauftrages fünf befriste Stellen geschaffen werden. Dadurch entstehen für den Haushalt der Hansestadt 2016 zusätzliche Personalkosten von rund 430.000 Euro. Für die Ermittlung der finanziellen Auswirkungen der einzelnen Umsetzungsvarianten werden noch einmal Mittel in Höhe von bis zu 6,5 Millionen Euro benötigt.

Für den Kriminal- und Sozialpolitik-Experten Bernd Maelicke wäre die Verlegung des Jugendstrafvollzugs nach Schleswig-Holstein ein fataler Fehler. „Der leistungsfähige Jugendvollzug in Hamburg 'aus einem Guss' wird zerschlagen", sagte der Professor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Kiel der "Welt". Die hohen Rückfallquoten würden bleiben oder sogar erhöht werden. Maelicke: „Entscheidend für eine gelingende Resozialisierung nach der Entlassung ist die Kooperation des Vollzugs mit externen Dienstleistern aus der Heimatregion, um eine durchgehende Betreuung vor und nach der Entlassung sicherzustellen."

Jene Beziehungen, etwa zur Jugendgerichtshilfe oder zu freien Trägern der Jugend- und Berufshilfe werden laut Maelicke mutwillig gefährdet. Dass beide Länder ihre Pläne allerdings gründlich prüfen wollen, begrüßte der Experte. „Fast 100 Prozent aller Entlassenen kommen nach Hamburg zurück oder bleiben hier, deshalb muss alles getan werden, um Rückfallgefahren zu reduzieren und nicht zu erhöhen", sagte Maelicke.

„Dass ausgerechnet ein grüner Senator, der als Oppositionspolitiker ununterbrochen von Resozialisierung geredet hat, diese Pläne exekutiert, ist ein politischer Skandal", sagte die justizpolitische Sprecherin der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Anna von Treuenfels. Deshalb wollen sich die Liberalen mit einem Antrag in dem Parlament für einen Erhalt des Jugendvollzugs in Hamburg engagieren. Der justizpolitische CDU-Sprecher Richard Seelmaecker bezeichnete die Gefängnisreform als „haarsträubend". Nur wenn der Jugendvollzug in Hamburg bliebe, könnten familiäre Bindungen aufrecht erhalten werden und ein vernünftiges Übergangsmanagement in die Freiheit stattfinden.