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München Landkreis-Debatte

Zwei Thüringer, die nach Bayern rübermachen wollen

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Tschüss, Thüringen! Griaß di, Bayern!
Quelle: pa/chromorange
Die beiden thüringischen Landkreise Sonneberg und Hildburghausen wollen über die ehemalige innerdeutsche Grenze nach Bayern wechseln. Warum – und geht das überhaupt?

Thüringen beginnt an dieser Stelle an einem Kreisverkehr. Und stünde da nicht das große Schild, das daran erinnert, dass Deutschland genau hier bis 1989 geteilt war, man würde gar nicht merken, dass (das bayerische) Oberfranken in dieser Wiese neben der Straße endet.

Weil es das, zumindest kulturell gesehen, auch gar nicht tut, wollen zwei Thüringer Landräte nun die Grenze erneut verrücken: Christine Zitzmann aus Sonneberg und Thomas Müller aus Hildburghausen wollen mit ihren Landkreisen nach Bayern wechseln. "Wir sind Franken", sagt jüngst Zitzmann.

Nun klingt der Dialekt in Sonneberg tatsächlich dem in Coburg oder Lichtenfels ähnlicher als der Redeweise jenseits des Rennsteigs, der als Sprachgrenze gilt. Diesseits wird Itzgründisch gesprochen, im südlichen Thüringen wie in den benachbarten Gegenden Oberfrankens.

Angst vor der Gebietsreform

Aber die beiden Landräte fühlen sich nicht des Dialekts wegen in der Hauptstadt Erfurt unverstanden: Dort plant die Landesregierung eine Gebietsreform.

Eine Expertenkommission schlug vor, die Zahl der Landkreise von 17 auf acht zu reduzieren und bis auf Erfurt und Jena auch die kreisfreien Städte in größeren Strukturen aufgehen zu lassen.

Die Landkreise Sonneberg und Hildburghausen würde es dann nicht mehr geben, sie würden zu einem Großgebilde mit der bisher freien Kreisstadt Suhl und einem Teil des Kreises Schmalkalden-Meiningen verschmolzen.

Weil sie sich das nicht gefallen lassen wollen, drohen die Landräte jetzt damit auszuwandern.

Wie ernst meinen es die Kreise?

Ein "Pokern gen Erfurt" nennt das der Sonneberger Kreisheimatpfleger Thomas Schwämmlein, der den Wechselplänen nicht allzu viel Ernsthaftigkeit jenseits des politischen Trommelwirbels beimessen will.

Wenngleich die Sonneberger dafür bekannt sind, sich nichts gefallen zu lassen. Schon 1993 sollte der Landkreis einmal aufgegeben werden, doch der Protest war so vehement, dass der kleinste Flächenlandkreis Thüringens erhalten blieb.

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"Thüringen ist ein Flickenteppich", erklärt Schwämmlein, "und diese Kleinteiligkeit ist auch in den Köpfen." Deswegen stoße die geplante Gebietsreform auf so großen Widerstand.

Gerade mit der ehemaligen Bezirkshauptstadt Suhl wollten die Sonneberger nicht zusammengespannt werden, erklärt Schwämmlein, denn Suhl sei schon damals auf Kosten Sonnebergs gefördert worden.

Aber Sonneberg und Thüringen sind nicht die einzigen, die eine Gebietsreform nicht hinnehmen wollen, auch das Eichsfeld droht mit einem Wechsel – allerdings nach Niedersachsen.

Bayern überrascht - aber auch erfreut

Bayerns Politiker zeigten sich der Idee aus dem Nachbarland gegenüber spontan aufgeschlossen. Finanzminister Markus Söder (CSU) aus Nürnberg hieß die Thüringer schon willkommen, schließlich sei es immer gut, wenn Franken größer werde.

Auch Innenminister Joachim Herrmann hält den Wechsel grundsätzlich für möglich, verwies aber auf die hohen rechtlichen Hürden. Dafür brauche es einen Staatsvertrag und eine Volksabstimmung in beiden Ländern.

Dabei funktioniert schon längst die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, zum Beispiel in der Wirtschaft. Der Landkreis Sonneberg hat sich als erster nicht bayerischer Kreis um eine Kooperation mit der Metropolregion Nürnberg bemüht und hat derzeit einen Gaststatus.

Im Landesentwicklungsprogramm Thüringens ist sogar festgeschrieben, dass die Verflechtung zu den benachbarten Metropolräumen zu stärken sei.

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Im Naturschutzprojekt Grünes Band entlang der ehemaligen Grenze wird gut zusammengearbeitet und gar ein Pilotprojekt ist der länderübergreifende Klinikverbund regiomed, der Krankenhäuser in Coburg, Lichtenfels, Sonneberg und Hildburghausen betreibt.

Kooperation funktioniert bereits

"Wir sind eine Wirtschaftsregion", sagt Christian Dressel, der Geschäftsführer des Jobcenters in Sonneberg und er schließt Oberfranken rund um Coburg und Lichtenfels mit ein.

Es gibt viel Industrie in der Gegend, Glas und Kunststoff vor allem. Aber die Fachkräfte werden wie auch in den bayerischen Nachbarregionen knapp. Früher konkurrierte man um die Arbeitnehmer, erklärt Dressel, inzwischen gehe es vor allem darum, die Leute in der Region zu halten.

Vor allem Stadt und Landkreis Coburg profitieren von den Arbeitskräften aus Thüringen, mehr als 4000 Pendler kommen allein aus dem Landkreis Sonneberg. Aber auch umgekehrt fahren die Menschen zum Arbeiten nach Thüringen.

Entscheidend ist für die Region, dass die Leute nicht noch weiter fahren, nach Nürnberg zum Beispiel oder Richtung Erfurt.

Deswegen haben sie hier den Verein "WIR – Wirtschaft-Innovation-Region – zwischen Rennsteig und Main e.V." gegründet. Er soll ein Netzwerk für die Unternehmer sein, um den gemeinsamen Wirtschaftsraum bestmöglich zu vermarkten.

Hohe Beschäftigungsquote

Im vergangenen Jahr wurde erstmals eine Messe veranstaltet, um potenzielle Auszubildende und Fachkräfte für die regionalen Unternehmen zu akquirieren. Heuer soll sie wiederholt werden.

Die Zahlen sprechen für die Zusammenarbeit, wenngleich das nicht der einzige Grund sein mag. Die Arbeitsplätze sind mehr geworden in den vergangenen Jahren, die Arbeitslosen weniger.

"Unsere Beschäftigungsquote ist höher als im Zentrum von München", sagt Dressel etwas stolz.

Wegen der vielen mittelständischen Betriebe und der hohen Industriedichte finden sich die Kreise Hildburghausen, Sonneberg und auch Coburg unter den ersten fünf in Deutschland mit einer Beschäftigungsquote von mehr als 61 Prozent in Coburg und mehr als 64 Prozent in Hildburghausen, wie aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht.

Kein Schubladendenken

Ost und West scheint für die Unternehmer der Region keine Rolle zu spielen. Christian Dressel formuliert es so: "Man kann im Osten bleiben und den Westen erleben."

Und so fahren die Sonneberger nach Coburg ins Theater und schreiben sich an der Fachhochschule ein, während die Jugendlichen aus dem oberfränkischen Neustadt bei Coburg die beruflichen Gymnasien in Sonneberg besuchen.

Und dann steht in Sonneberg auch noch der einzige Aldi Süd, während alle anderen Filialen in Ostdeutschland zu Aldi Nord gehören. Das erzählen sie besonders gerne in Sonneberg, wenn man nach Gemeinsamkeiten mit den Nachbarn drüben fragt.

Bei aller Verbundenheit warnt Kreisheimatpfleger Schwämmlein dennoch vor falsch interpretierter Zusammengehörigkeit. Schließlich könne die Geschichte so und so gedeutet werden.

Als sich die Coburger 1919 in einer Volksabstimmung entschlossen, ihren Freistaat mit Bayern zu vereinigen, da hätten die Thüringer, die eine Alternative für Coburg gewesen wären, nur Häme für deren Entscheidung übrig gehabt.

Alte Vorurteile gegenüber Bayern

Im Süden Thüringens hätten sich damals viele Anhänger einer mitteldeutschen Lösung gefunden, da man zu den Industriezentren um Halle und Leipzig tendierte – nicht zum Agrarstaat Bayern, der nur das bisschen Industrie um Nürnberg und Hof vorzuweisen hatte.

Und im Mittelalter seien die Grenzen ohnehin ganz anders verlaufen, eine historische Zugehörigkeit Südthüringens zu Franken über vergleichbare sozio-ökonomische Strukturen und den Dialekt hinaus sei also konstruiert.

Erst während der Teilung Deutschlands habe das Frankenbewusstsein einen Schub erlebt, sagt Schwämmlein. "Da konnte man die Sehnsucht pflegen, dass man eigentlich nicht dazugehört" und die Oma habe mit glasigen Augen erzählt, wie sie als Kind nach Vierzehnheiligen pilgerte.

All das aber, sagt Schwämmlein, schwäche sich schon im Norden des Landkreises Sonneberg wieder ab. Heute erhoffe sich mancher finanzielle Vorteile, wenn er Bayer würde, statt Thüringer zu bleiben.

An Wasserpreisen und Energiekosten würde schon herumgerechnet und kürzlich habe er gehört, dass eine Frau in Bayern auf eine höhere Witwenrente spekuliere.

Wenn die Leute aber etwas länger über die Idee vom Länderwechsel nachdenken, dann werde sich keine Mehrheit finden, glaubt Schwämmlein. Aber die Diskussion sei gar nicht schlecht. Schließlich könne es nicht schaden, wenn sich die Menschen mit ihrer Identität beschäftigten.

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