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Flucht vor der Flut – Isarmünd wird abgerissen

In Niederbayern wird ein kompletter Weiler für den Hochwasserschutz abgerissen. Die Häuser waren immer wieder von Fluten betroffen In Niederbayern wird ein kompletter Weiler für den Hochwasserschutz abgerissen. Die Häuser waren immer wieder von Fluten betroffen
In Niederbayern wird ein kompletter Weiler für den Hochwasserschutz abgerissen. Die Häuser waren immer wieder von Fluten betroffen
Quelle: K. Antonia Schäfer
Das Dorf Isarmünd bei Deggendorf muss wegen des Hochwasserschutzes verschwinden, die Bewohner werden umgesiedelt. Das ist die kostengünstigste Variante. Besonders die Älteren tun sich damit schwer.

In Isarmünd kehren normalerweise Wanderer und Vogelfreunde ein, die im idyllischen Mündungsgebiet von Isar und Donau die Natur genießen. Doch dieser Tage wüten in dem niederbayerischen Örtchen die Bagger. Isarmünd soll dem Erdboden gleichgemacht werden. Statt der neun Häuser umfassenden Siedlung wird hier ein Polder für den Hochwasserschutz entstehen.

Ein Haus ist bereits Geschichte, nur Stein- und Erdhaufen, gesondert nach Materialien, künden noch von seiner Existenz. Dieser Tage wird das zweite Haus abgerissen, gelber Bagger vor grünen Maisfeldern, darüber der blaue Himmel. Doch niemand will sich das farblich so idyllische Schauspiel ansehen. „Da steckt zu viel Herzblut drin“, sagt Roland Schmid vom Wasserwirtschaftsamt Deggendorf.

„Was kann man ändern“

Neben dem von Steinhaufen gesäumten Platz, auf dem sich einmal das erste abgerissene Haus befand, steht eine weißhaarige Dame auf ihrer Terrasse. Balkone und Geländer sind liebevoll geschmückt mit Petunien und Oleander, Stuhlkissen und Deko zeugen von regem Gebrauch. „Es war immer so schön hier“, sagt sie. „Aber was kann man ändern.“

Die Frau will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Es müsse genügen, was sie als Anwohnerin zu erzählen habe, sagt sie. Wie fast alle im Weiler ist sie eine Alteingesessene, zwar nicht hier geboren, aber vor 50 Jahren durch ihre Hochzeit hierhergekommen.

Seitdem hat sie in ihrem Haus gewohnt, umgeben von denselben Menschen, eine verschworene Gemeinschaft. Hier gibt es nur Wohnhäuser, Höfe und ein Kirchlein, der nächste Ort ist mehrere Kilometer entfernt. Wer Brot braucht, kauft es beim Bäcker, der in einem blauen Kleintransporter bis vor die Haustür kommt.

Wasserexperte Schmid ist dafür verantwortlich, dass die Überschwemmungsfläche entstehen kann, also dafür, dass die Häuser der Isarmünder abgerissen werden. Sein Wasserwirtschaftsamt hat einen Experten engagiert, der den Wert der einzelnen Häuser geschätzt hat.

Dann haben sie den Anwohnern Angebote unterbreitet, in welcher Höhe, will Schmid nicht sagen. Schon seit fünf Jahren laufen die Gespräche über Isarmünds Zukunft. Doch, und das ist Schmid so wichtig, dass er es gleich mehrfach betont: „Die Absiedlung ist absolut freiwillig.“

Abreißen ist am günstigsten

Zwar wird es noch Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis alle Bewohner Isarmünds ihre Häuser verlassen haben. Erst müssen die neuen Häuser fertiggebaut werden, die Umzüge organisiert. Die meisten Einwohner ziehen nach Moos, die nächstgelegene Gemeinde. Doch die Bagger künden davon, dass das Ende Isarmünds bereits begonnen hat.

Die Menschen haben eigentlich gelernt, mit dem Hochwasser zu leben. Die Dame erzählt, dass sie den Keller immer als Erstes leer räumen, der laufe ohnehin voll. Zudem sei dort eine Tauchpumpe installiert. Isarmünd liegt nahe bei Deggendorf, einem der Orte, die unter dem Juni-Hochwasser am meisten gelitten haben. Weil in Deggendorf ein Damm brach, kam Isarmünd einigermaßen glimpflich davon, nur die Keller liefen voll, und im Erdgeschoss stand das Wasser 50 Zentimeter hoch. Die Spuren sieht man noch heute.

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Dass das Hochwasser ein Problem ist, darin sind sich Anwohner und Wasserwirtschaftsamt einig. Die weißhaarige Dame sagt: „Gesund ist das nicht, immer wieder Wasser im Haus zu haben.“ Herr Schmid vom Wasserwirtschaftsamt sagt, es sei die Aufgabe seiner Behörde, die Anwohner vor Überschwemmungen zu schützen.

Das Amt habe vorher verschiedene Varianten durchkalkuliert, wie man diesen Schutz am besten umsetzen könne, neue Deiche, Deicherhöhungen. Dabei sei es um Naturschutz, aber auch um Wirtschaftlichkeit gegangen. Am Ende stand die Erkenntnis: „Der Schutz der Gebäude kostet mehr, als sie abzureißen.“ Man hätte für neun Häuser einen kompletten Deich erhöhen müssen. Da entschied man sich für die Umsiedlung.

Moos wirkt wie eine Verheißung

Die Isarmünder sind gespalten, was ihre Zukunft angeht, und eine Kluft zeigt sich auch zwischen Jung und Alt. Schräg gegenüber von der weißhaarigen Dame, einmal über die Wiese, wohnt eine andere ältere Dame: Franziska Bauer. Auch sie hat nach Isarmünd geheiratet, 1957 war das, und ist hier seitdem verwurzelt. „Für uns Alten wäre es schöner, wenn wir nicht mehr wegmüssten“, sagt Bauer.

Die weißhaarige Dame hat ihr Haus traditionell vor Jahren an die Kinder übergeben und wohnt jetzt im „Altenteil“. „Jetzt habe ich hier nichts mehr zu sagen“, seufzt sie. Für ihre Kinder, die heute selber Kinder haben, sei klar, dass sie wegziehen. Sie kennen den Ort aus ihrer eigenen Kindheit: Kein Bus außer dem Schulbus, kaum Kinder außer den Geschwistern. Da wirkt Moos wie eine Verheißung.

Auch in Moos wird ein kleines Stück Isarmünd erhalten bleiben. Mehrere der Anwohner bauen in ihrer neuen Heimat direkt nebeneinander, sodass sie auch künftig Nachbarn bleiben. Auch die beiden Damen werden beieinander bleiben.

Wenn Isarmünd untergeht und ihre eigenen, heute noch blumengeschmückten Häuser abgerissen wird, wollen sie bei aller Verbundenheit nicht dabei sein. „Das muss ich mir nicht antun“, sagt Frau Bauer. So pragmatisch die Isarmünder auch abwägen, am Ende behält das Herzblut doch die Oberhand.

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