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Duisburg

So schön kann eine heruntergekommene Stadt wirken

Von Christiane Hoffmans
Veröffentlicht am 19.03.2015Lesedauer: 5 Minuten
Kein Abgesang auf die Schönheit: Laurenz Berges sanfte Aufnahme eines Tunnels in Duisburg
Kein Abgesang auf die Schönheit: Laurenz Berges sanfte Aufnahme eines Tunnels in DuisburgQuelle: Laurenz Berges

Laurenz Berges hat viele Jahre in Duisburg fotografiert. Motive fand er in heruntergekommenen Stadtteilen. Nun zeigt der Kunstverein den unsentimentalen Blick des Künstlers auf eine Stadt im Umbruch.

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Eine Buchhandlung in Cloppenburg, Anfang der 80er-Jahre. Ein lockenköpfiger Teenager blättert in einem Fotoband. Immer wieder bleibt sein Blick an einer der Seiten hängen. Abgemagerte Menschen sieht er, ärmliche Wohnsituationen, verdorrte Landschaften. Gut möglich, dass damals die Leidenschaft für die Fotografie und ungewöhnliche Motive begann. Heute ist der 49-jährige Laurenz Berges einer der wichtigsten Fotografen des Landes.

Der Fotoband, der ihn so beeindruckte, stammte von Walker Evans. Der Amerikaner hatte Mitte der 30er-Jahre die Landbevölkerung von Alabama porträtiert und die Folgen der großen Wirtschaftskrise festgehalten. Entstanden ist ein Bericht zur Lage der Südstaaten, der enormen Einfluss auf folgende Künstlergenerationen hatte.

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Laurenz Berges ist einer davon. Dass der Düsseldorfer Fotograf in den vergangenen Jahren immer wieder nach Duisburg gereist ist, um dort schäbige Hauseingänge, heruntergekommene Hinterhöfe, renovierungsbedürftige Unterführungen zu fotografieren, hat viel mit seinem Vorbild Evans zu tun.

Was Berges allerdings von Evans trennt: In seinen Ansichten von Duisburg fehlt der Mensch. Diese Eigenart hat er von Bernd und Hilla Becher übernommen. In den 90er-Jahren studierte Berges bei dem einflussreichen Fotografenpaar an der Düsseldorfer Kunstakademie. Wie die Bechers in ihren Aufnahmen von Fachwerkhäusern und Industrieanlagen gibt auch Berges der Architektur und der gebauten Landschaft den Vorzug – allerdings verzichtet er auf die Schwarz-Weiß-Einschränkung seiner Lehrer. Komplex konstruierte und farblich differenzierte Blicke auf verwitterte Wellblechgaragen, Hauswände, von denen die Farbe abspringt oder vernagelte Fenster, sind das Thema seiner Werke, die jetzt im Duisburger Kunstverein zu sehen sind.

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Nebensächliches gewinnt Bedeutung

Man muss sich davor hüten, Berges’ Aufnahmen als Dokumentation zu betrachten. Jedes Bild ist vielmehr komponiert. Um dies zu erreichen, arbeitet er wie ein Forscher. Er sucht, entdeckt und wählt aus. Immer wieder begibt er sich in Gegenden, von denen er hofft, dort seine Motive zu finden: Mit konzentriertem Blick tastet er Häuser, Straßen und Hinterhöfe in Marxloh, Ruhrort, Homberg oder Bruckhausen ab.

In Arbeiter- und Migrantenvierteln, Rotlichtmilieus und Industrieanlagen ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch „Wände zu finden, wo der ganze Dreck der Geschichte noch dran ist“. Berges arbeitet genau und sorgfältig, er selbst würde das prosaischer mit „ich bin nicht der Schnellste“ formulieren. Das hat zur Folge, dass der Künstler nur wenige Projekte macht, die aber ausreizt.

Berges’ Aufnahmen sind keine Dokumentationen – jedes Bild ist komponiert
Berges’ Aufnahmen sind keine Dokumentationen – jedes Bild ist komponiertQuelle: Laurenz Berges

Bekannt geworden ist er mit einer Serie über verlassene Kasernen der Sowjetarmee in Ostdeutschland. Nach der Wende fotografierte Berges die Interieurs ausschließlich bei Tageslicht. Wobei das Wort Interieur für jene leeren Innenräume mit ihrer stumpfen, gespenstigen Farbigkeit und den Spuren der Abnutzung zu vornehm ist. Als „Chronist des Abwesenden“ hat der Kunsthistoriker Thomas Weski Berges einmal bezeichnet. Dass Nebensächliches Bedeutung gewinnen kann, ist seitdem sein Thema.

Den verlassenen Kasernen folgten die verlassenen Dörfer des Braunkohletagebaus zwischen Köln und Aachen. Doch diesmal erweiterte der Spurensucher sein Repertoire. Berges’ Aufnahmen zeigen nicht nur Innenräume, sondern auch Blicke aus Fenstern und auf Landschaften. Die Entscheidung, den geschützten Innenraum zu verlassen, muss für ihn ein gewaltiger Sprung gewesen sein. Wer den vorsichtigen Mann beobachtet, spürt, dass er nur schwer unbekanntes Terrain betritt. Er liebt es, Bekanntes, Gesichertes aufzusuchen.

Seit über fünf Jahren interessiert Laurenz Berges sich für das Ruhrgebiet. Begonnen hat es mit dem Auftrag für die Kulturhauptstadt 2010, das Ruhrgebiet zum Thema zu machen. An dem Projekt „Ruhrblicke“ hatten sich auch seine Lehrer Bernd und Hilla Becher sowie seine heute berühmten Kommilitonen Andreas Gursky, Candida Höfer und Thomas Struth beteiligt. „Ruhrblicke“ stellte für Berges eine besondere Herausforderung dar, schließlich hatte schon der berühmte amerikanische Fotograf und Filmemacher Robert Frank mit „Hunter“ einen fiktionalen Reisebericht über das Ruhrgebiet gedreht. Und auch Bernd und Hilla Becher hatten dort immer wieder Stätten der Industriekultur fotografiert.

Keine Klischees

Regelmäßig reist Laurenz Berges nach Duisburg, fährt dann mit seinem VW durch die abgenutzten Straßen, während er die langsam vorbeiziehende Industrielandschaft mustert, immer auf der Suche nach einem Motiv. Hin und wieder hält er an. Etwa wenn die grüne Wand eines alten Hauses erscheint. Schon einige Male ist er hier gewesen, um zu prüfen, ob dieses alte Gebäude mit der ungewöhnlich grünen Patina „etwas taugt“. Auch dieses Mal fällt Berges die Beurteilung schwer, denn ein Lkw steht vor dem Gebäude. Alles, was die Schönheit der Textur beeinträchtigen könnte, darf auf keinen Fall aufs Bild. Außerdem haben Berges’ Werke den Anspruch, zeitlos zu sein. Gegenstände, die dem Bild eine historische Einordnung geben könnten, meidet er. Dazu gehört auch der Lkw.

„Wände, wo der ganze Dreck der Geschichte noch dran ist.“
„Wände, wo der ganze Dreck der Geschichte noch dran ist.“Quelle: Laurenz Berges

Und noch eine Regel hat der Fotograf aufgestellt: Es gilt unter allen Umständen, Klischees zu vermeiden. Denn zu inflationär sind Aufnahmen, die das Revier auf rauchende Schlote oder stillgelegte Zechen reduzieren. Die Welt ohne Vorurteile aufzusaugen, das hat er bei der New Yorker Fotografin Evelyn Hofer gelernt, deren Assistent Berges war. Bei Hofer hat er erkannt, dass es nicht darauf ankommt, wo und was man fotografiert, sondern wie. Daraus resultierte das lange Suchen nach einem bildwürdigen Motiv. Wenn ein Ort, eine Stelle oder eine Situation nach vielen Prüfungen die Vorstellungen Berges’ erfüllen, ist das Bild noch lange nicht im Kasten.

Das darf man im wörtlichen Sinn verstehen. Denn der Fotograf arbeitet mit einer schweren Großbildkamera, die nur mit Stativ benutzt werden kann. Der Aufbau der Kamera ist umständlich und die Handhabung erregt Aufsehen. Wenn der Künstler mit dem gelbem Abdunklungstuch, das seinen Kopf vor der Kamera bedeckt, vor seinem Motiv steht, dann fragen die Passanten, was er da eigentlich mache. Er sei Architekturfotograf, sagt er dann immer. Das sei am einfachsten. Dass es Kunst ist, eine hässliche Tür mit einem dreckigen Tuch, einen verkohlten Fries oder verdreckte Klingelschilder zu fotografieren, dazu gehört schon ein bisschen Sehübung.

Geleitet wird Laurenz Berges von seinem Glauben an das Sichtbare. Für ihn sind Dinge Ausdruck einer Wahrheit. War es bei den sowjetischen Kasernen der Blick auf eine politisch gewandelte Welt, so ist es bei den Duisburg-Fotos die Frage nach dem Umgang mit einer untergehenden Industriekultur. Laurenz Berges ist ein politisch denkender Mensch. Wenn er über die Zukunft des Ruhrgebiets und seiner Menschen spricht, fragt man sich: Warum fotografiert er niemals Menschen, so wie Walker Adams oder Evelyn Hofer? Aber wie alles bei Laurenz Berges braucht ein solcher Schritt – viel Zeit.

Bis 29. März; Kunstverein Duisburg