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Fernreisen Chile

Schmerz und Schönheit in der Atacama-Wüste

Die Atacama-Wüste im Norden Chiles ist die trockenste Region der Erde. Die Landschaft überrascht aber mit Lagunen, Geysiren, Dünen – und einer dunklen Vergangenheit. Unser Autor war auf einer Tour der Extreme.
Was in der Atacama-Wüste lebt, wird jetzt getrackt

Mit unter 20 Millimeter Niederschlag pro Jahr zählt die Atacama-Wüste zu den trockensten Regionen der Erde. Auf dem Mars sind die Bedingungen noch lebensfeindlicher – aber gibt es Parallelen.

Quelle: WELT/Isabelle Bhuiyan

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Die Berichte klangen vielversprechend: Schon der Anflug auf Calama, so hieß es, entrücke Reisende in eine andere Welt; es sei, als lande man auf einem fernen Planeten. Das war nicht übertrieben. Denn Calama liegt hoch im Norden Chiles inmitten der Atacama-Wüste. Es ist die trockenste Region der Erde: 1200 Kilometer lang und 160 Kilometer breit erstreckt sich die Wüste zwischen den Anden im Osten und dem Pazifik im Westen.

Es ist ein magisches Reich. Doch selbst in diesem entlegenen Winkel stößt man immer wieder auf Zeugnisse aus Chiles dunkler Vergangenheit, die tiefe Wunden in der Seele des Landes hinterlassen hat. Und so sollten Schönheit und Schmerz auf dieser Reise zu unseren ständigen Begleitern werden.

Nachdem das Gepäck im Mietwagen verstaut war, ging es von Calama aus weiter nach San Pedro de Atacama, einer kleinen Stadt 100 Kilometer südöstlich, die sich in den letzten Jahren zum Mekka für Wüstenfreunde aus aller Welt entwickelt hat. Sie ist Ausgangspunkt für eine Vielzahl von staubigen Exkursionen, die von Reiseführern als beeindruckend, atemberaubend und zuweilen als spirituelle Offenbarung angepriesen werden.

Atacama-Wüste in Chile
Quelle: Infografik WELT

Charles Darwin, der 1835 auf einem Maultier durch die Atacama trottete, hatte da eine entschieden andere Meinung. „Man fühlt sich wie ein Gefangener auf einem düsteren Gefängnishof, der sich nach etwas Grünem sehnt“, nörgelte er und beklagte, dass die Sonne ihre Strahlen über diesem Land vergeude, statt sie für Felder und Gärten aufzusparen. Kein Zweifel, Darwin war eher kein Wüstenfreund.

Schmerzvolle Erinnerung an die Toten in Chile

Ungefähr zehn, zwölf Kilometer hinter Calama ragt ein überdimensionales, weißes Kreuz aus der Ebene, hinter dem schlanke Betonstelen einen Kreis bilden. Jede der Säulen trägt den Namen eines Mannes und seines Todesdatums; die meisten waren blutjung, als sie starben.

Das Kreuz markiert einen jener Erinnerungsorte, an denen Chiles Schmerz an die Oberfläche dringt. Es gibt sie im ganzen Land. 1990 waren Frauen aus Calama, die seit Jahren nach ihren Angehörigen gesucht hatten, hier auf ein Massengrab mit den Überresten von vermutlich 26 Toten gestoßen. Ganz sicher war man sich zunächst nicht – die Leichen waren mit Dynamit in die Luft gesprengt worden.

Atacama in Chile: Denkmäler wie dieses erinnern an die während der Militärdiktatur Getöteten
Denkmäler wie dieses erinnern an die während der Militärdiktatur Getöteten
Quelle: Frank Stern

Auf den nächsten Kilometern ist es ganz still im Auto. In der Ferne zeichnen sich die Gipfel der Anden ab, sie wirken wie eine unbezwingbare Barriere. Die „Lodge Quelana“, unsere Unterkunft für die nächsten Tage, liegt etwas außerhalb von San Pedro; es ist eine kleine Oase aus acht Bungalows, versteckt hinter Büschen und wildem Gestrüpp.

Gabriel, der Quartiermeister, hat das Projekt vor zwei Jahren gestartet; er gab seinen Job als Ingenieur in einer Kupfermine auf und stürzte sich zusammen mit seiner Frau in das Wagnis.

„Es ist noch viel zu tun“, erzählt der 35-Jährige, als er uns auf dem Anwesen herumführt, „aber das Geschäft läuft, und ich habe mehr Zeit für meine Kinder.“ Der Hotelier kennt die Geschichte von den 26 Männern aus Calama. Er ist dort aufgewachsen.

San Pedro de Atacama ist auf Urlauber eingestellt

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Nachdem unsere Sachen ausgeladen sind, geht es zunächst in die Stadt, wo sich ein Souvenirladen an den nächsten reiht, Touristikveranstalter überteuerte Ausflüge in die Umgebung anbieten und gelegentlich bunte Prozessionen mit Pauken und Trompeten zur Iglesia de San Pedro ziehen, eine der ältesten Kirchen in Chile.

Die Kirche in San Pedro de Atacama gehört zu den ältesten Gotteshäusern in Chile
Die Kirche in San Pedro de Atacama gehört zu den ältesten Gotteshäusern in Chile
Quelle: Getty Images/dataichi - Simon Dubreuil

Nach einem kurzen Rundgang durch die ungepflasterten Gassen gelangt man mit etwas Glück zum „La Casona“, wo jeden Abend ein Klavierspieler vor sich hin swingt und vermutlich der beste Pisco Sour in ganz Südamerika serviert wird. Seit Generationen streiten Chilenen und Peruaner darüber, wer zuerst den Einfall hatte, Traubenschnaps mit Limettensaft, Zuckersirup und Eiklar zu verquirlen. Am besten, man hält sich da raus.

Später am Abend auf der Terrasse des Bungalows bietet sich Atacama-Novizen ein unvergleichliches Schauspiel, als ferne Welten ihre Signale auf die Erde herab senden. Die Sterne scheinen zum Greifen nah. Kalt und klar.

Ein Spaziergang im Valle de la Luna

Der nächste Morgen ist kühl, über der Wüste spannt sich ein rasend blauer Himmel, an dem sich nicht eine Wolke zeigt. Man hat fast das Gefühl, man könne seiner Haut beim Verwelken zusehen, so trocken ist die Luft.

Für Sternenforscher sind das ideale Bedingungen, um ihre Teleskope ins All zu richten. 50 Kilometer östlich von San Pedro betreibt die Europäische Weltraumorganisation ESA auf über 5000 Meter Höhe mit dem Atacama Large Millimeter Array eines der größten Astroprojekte der Welt.

Atacama-Wüste in Chile: Das Valle de la Luna, das Tal des Mondes, macht seinem Namen alle Ehre
Das Valle de la Luna, das Tal des Mondes, macht seinem Namen alle Ehre
Quelle: Universal Images Group via Getty Images

Wer nicht ganz so hoch hinaus will, kann sich unweit von San Pedro gefahrlos zu einem außerirdischen Spaziergang aufmachen – in einer Landschaft, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Auch uns lockt das Valle de la Luna, das Tal des Mondes.

Man erreicht es über eine Buckelpiste, die von der Ruta 23 direkt hinein führt. Vorbei an tapferen Radfahrern, die verzweifelt gegen den strammen Wind ankämpfen, landen wir nach kurzer Zeit gewissermaßen auf der erdabgewandten Seite des Erdtrabanten – so empfinden wir es zumindest.

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„Nicht betreten“, warnt in Schild an einer mächtigen Sanddüne, die von seltsam geschwungenen Gesteinsformationen eingefasst ist. Die Felsen sehen aus, als hätte ein Riese in früherer Zeit die Erde umgestülpt. Wie uralte versteinerte Erinnerungen türmt sich Schicht auf Schicht. Und für einen Moment bekommen wir eine Ahnung von Zeitlosigkeit und Unendlichkeit.

Leuchtende Lagunen, Flamingos und Vulkane

Für den nächsten Pisco Sour ist es noch zu früh, also fahren wir weiter zur Laguna Baltinache, von der es heißt, sie sei wie das Tote Meer, nur ohne Touristen. Doch wie sich bald zeigen wird, stimmt weder das eine noch das andere.

Chile: Flamingos fühlen sich in den Salzlagunen der Atacama-Wüste wohl
Flamingos fühlen sich in den Salzlagunen der Atacama-Wüste wohl
Quelle: Getty Images/David Rius & Núria Tuca

Nach einigen Kilometern auf der Schnellstraße Richtung Calama weist ein Schild nach links auf die nächste Schotterpiste, die durch den Llano de la Paciencia führt, die Ebene der Geduld. Ein passender Name: Wir fahren 45 Kilometer durch eine Marslandschaft aus Salz und Sand auf einer unbefestigten Trasse, die jeden Tritt aufs Gaspedal bestraft – eine harte Geduldsprobe.

Doch irgendwann ist auch sie bestanden, und vor uns liegt die Lagune von Baltinache. Wobei Lagune etwas hoch gegriffen ist; es handelt sich eher um sieben türkisfarbene Wasserlöcher, die von schneeweißen Salzrändern eingerahmt sind. Sie leuchten wie sieben kleine Juwelen.

Atacama in Chile: Vor der Kulisse beeindruckender Vulkane liegt die Lagune Miscanti auf fast 4200 Meter Höhe
Vor der Kulisse beeindruckender Vulkane liegt die Lagune Miscanti auf fast 4200 Meter Höhe
Quelle: Getty Images/Pawel Toczynski


Wer eine echte Salzlagune samt Andenflamingos und Hochgebirgsenten sehen will, muss noch ein paar Kilometer drauflegen. Von San Pedro aus zweieinhalb Stunden Richtung Süden, bewacht von stummen Vulkanriesen, begrüßen einen die Lagunen Miscanti und Miniques tiefblau auf einem sandigen Plateau in fast 4200 Meter Höhe.

Die höchsten Geysire der Welt

Das Panorama mutet an, als habe es sich ein melancholischer Maler ausgedacht; es ist unwirklich schön. Dass man bei seinem Anblick nach Atem ringen muss, ist aber vor allem der dünnen Luft geschuldet.

Herbergsvater Gabriel hatte empfohlen, eine Thermoskanne Cocatee mitzunehmen. „Der hilft gegen die Höhenkrankheit“, hatte er gemeint. Die Wirkung aber ist gleich null, und so bleibt einem nur, sich zum Wagen zurückzuschleppen und aus der Todeszone zu rollen.

Atacama in Chile: Über 80 Geysire sind auf dem Geothermalfeld El Tatio zu bestaunen
Über 80 Geysire sind auf dem Geothermalfeld El Tatio zu bestaunen
Quelle: Getty Images/500px Unreleased/Rodrigo LLopis/500px

Ungeachtet aller Strapazen steht am nächsten Tag noch das Geothermalfeld El Tatio auf unserem Programm; es ist mit seinen über 80 Geysiren das größte in der südlichen Hemisphäre und – auf 4300 Metern gelegen –, das höchste der Welt.

Damit ist es für jeden Atacama-Besucher ein Muss, heißt es in den einschlägigen Touristenbroschüren. Man hat also quasi keine Wahl. Es sei denn, man las zuvor auch die kleinen Hinweise.

So beträgt die durchschnittliche Höhe der Wasserfontänen gerade mal 75 Zentimeter. Wer Islands Geysire kennt, wird von El Tatio deshalb wenig beeindruckt sein. Und doch bereuen wir die holprige Fahrt von San Pedro in Richtung Norden keinesfalls. Denn die Strecke entlang pastellfarbener, wie mit dem Weichzeichner gemalter Vulkanlandschaften ist spektakulär.

Chile: Lamas kommen in der wasserarmen Atacama-Wüste gut zurecht
Lamas kommen in der wasserarmen Atacama-Wüste gut zurecht
Quelle: Frank Stern

Allerdings büßen wir für den Anblick mal wieder mit Schnappatmung, Kopfschmerz und Kreislaufschwäche. So treten wir nach einem kurzen Rundgang schon den Rückzug an – ebenso erschöpft und kraftlos wie die vor sich hin blubbernden Geysire.

Eine Geisterstadt zwischen Calama und Antofagasta

Chacabuco, die letzte Station in der Atacama, ist das reine Kontrastprogramm: Die Geisterstadt auf halbem Wege zwischen Calama und Antofagasta hat nichts Schönes, nichts Erhabenes, nichts Versöhnliches. Kaum jemand kennt diesen Flecken, kaum jemand weiß heute noch, was dort geschah. Dabei gibt es nur wenige Orte im Land, an denen sich Chiles Vergangenheit so verdichtet wie in Chacabuco.

Seine Geschichte begann vor fast 100 Jahren, als Chacabuco im erdgrauen Nichts aus dem Boden gestampft wurde, um die Salpetervorkommen in der Umgebung auszubeuten. Es folgten Zeiten, da war Chile der größte Salpeterproduzent der Erde – bis die Deutschen eine synthetische Variante entwickelten und Chile seinen Exportschlager verlor.

Chile: Während der Militärdiktatur schmachteten politische Gefangene in Wüstencamps
Während der Militärdiktatur schmachteten politische Gefangene in Wüstencamps
Quelle: Frank Stern

1938 schließlich wurde Chacabuco dicht gemacht. 35 Jahre später dann der Militärputsch: Die Junta ließ die Quartiere in Chacabuco mit Stacheldraht umzäunen und Wachtürme errichten; aus der Geisterstadt wurde ein Lager für politische Gefangene. Weitab von der Welt.

Heute ist Chacabuco ein nahezu vergessener Ort, in dem die Wände der Häuser einfallen und die Dächer einstürzen. Pro Woche, so erzählt Ivan Pozo Morales, einer der wenigen Ruinenwächter, streiften vielleicht zehn Besucher durch sein verfallenes Reich. Im Winter komme niemand.

Panzer auf den Straßen von Santiago

Morales hat ein Bild des damals von den Militärs gestürzten Präsidenten Salvador Allende an die Wand seines Wärterhäuschens gehängt, direkt neben ein Kruzifix. Mit Präsidentenschärpe und in goldenem Rahmen.

„Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie ein Nationaldenkmal besuchen, und es die Aufgabe aller ist, zu seinem Erhalt beizutragen“, steht in der Infobroschüre, die Ivan verteilt. Dann ist er verschwunden, er erwartet niemanden mehr.

Allende liegt heute auf dem Nationalfriedhof in Santiago. Auch wenn weiße Marmorstelen hoch über sein Grab hinausragen, ohne Plan ist es nicht leicht zu finden. Selbst Stadtführerin Paula hat in dem riesigen Totenlabyrinth etwas Mühe. Doch nach einigen Irrungen stehen wir schließlich doch vor der Krypta mit dem Sarkophag.

Sie sei Tourguide im Sommer und Englischlehrerin im Winter, so schlage sie sich durch, erzählt Paula. Und dass sie bei den jüngsten Demonstrationen mit auf die Straße gegangen sei, für mehr Gerechtigkeit im Land, für eine neue Verfassung, für ein wenig Anstand.

„Die Älteren, die den Sturz Allendes 1973 miterlebt hatten, sind von den Protesten, den Soldaten und den Panzerwagen, die nun wieder auf Santiagos Straßen fahren, geschockt“, sagte Paula. „All die Erinnerungen an die Willkür damals, an die Toten und die Verschwundenen kommen wieder hoch.“

Die junge Generation aber fürchte sich nicht länger. „Wir haben keine Angst mehr“, sagt Paula. Ein Satz, den man in diesen Tagen oft auf den Straßen chilenischer Ortschaften hört.

Tipps und Informationen

Anreise: Zum Beispiel mit Iberia oder Latam von Frankfurt oder München nach Santiago. Weiter mit Latam nach Calama. Es empfiehlt sich, bereits im Vorfeld der Reise einen Mietwagen am Flughafen von Calama zu reservieren.

Unterkunft: In und um San Pedro de Atacama bieten sich zahlreiche Unterkunftsmöglichkeiten, von preiswert bis luxuriös. Eine Auswahl findet man etwa auf sanpedroatacama.com/en. Familiäres Ambiente bietet die „Lodge Quelana“, etwas außerhalb von San Pedro, Übernachtung ab 120 Euro.

Auskunft: chile.travel/de; sanpedroatacama.com/en

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