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Atlanta zeigt Berlin, wie Flughafen geht

Was in Berlin-Brandenburg um Monate verschoben wurde, ist in der US-amerikanischen Stadt Atlanta pünktlich möglich. Am weltgrößten Flughafen eröffnet ein neues Terminal. Ein Risiko bleibt dennoch.

Davon kann Berlin nur träumen: Schon vor Wochen haben die Behörden von Stadt und Landkreis die Sicherheitstechnik in der neuen Flughafenhalle genehmigt. Auch die Brandschutzanlagen passierten die Prüfung ohne Probleme. Und so eröffnet – planmäßig – das neue Passagierterminal des Flughafens Atlanta, USA.

Noch liegt das neue Terminal des Hartsfield-Jackson International Airport surreal und seelenlos da; in der fast menschenleeren Form unterscheidet sich das Original kaum von der Computersimulation. Ein paar Arbeiter in orangen Leuchtwesten werkeln träge an der Fassade. Noch sperren Polizisten in blauen Uniformen die Zufahrt.

Doch ab Mittwochnachmittag, um 13.25 Uhr Ortszeit, soll sich die Halle mit Leben füllen. Dann wird der größte Passagierflughafen der Welt noch ein bisschen größer, wenn Delta-Airlines-Flug 295 Richtung Tokio von Gate F7 startet – und das neue internationale Terminal in Betrieb geht.

Atlanta hängt Peking und London ab

Damit dürfte der Flughafen von Atlanta, wo pro Jahr mehr als 92 Millionen Passagiere starten, landen und umsteigen, auch seine weltweite Führungsrolle gegenüber den Verfolgern Peking und London Heathrow abermals ein Stück ausbauen. „Das neue Terminal ist ein Meilenstein für den Flughafen und die Stadt“, jubelt erwartungsgemäß der Bürgermeister von Atlanta, Kasim Reed.

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Tatsächlich ist die neue Flughalle fast halb so groß wie der gesamte Hauptstadt-Airport Berlin Brandenburg – dessen Eröffnung wegen gravierender Mängel am Brandschutzsystem in der vergangenen Woche auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Während der BER auf 27 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt ist, verkraftet das neue internationale Terminal in Atlanta 13 Millionen Passagiere, es hat eine Grundfläche von 112.000 Quadratmetern, eine eigene Autobahnzufahrt und ein Parkdeck mit 3500 Plätzen.

Insgesamt hat das Projekt 1,4 Milliarden Dollar (1,09 Milliarden Euro) gekostet, beim Berliner Flughafen wird die Rechnung mindestens 2,5 Milliarden Euro betragen – allerdings inklusive neuer Landebahnen und Tower.

Verzögerungen, Streit und Fehlkalkulationen

Doch auch in Atlanta war der Weg zum neuen Terminal gepflastert mit Verzögerungen, Fehlkalkulationen, Streit um das Design und Konflikten mit Behörden, Bauherren und Pächtern. Vor mehr als zehn Jahren begannen die Planungen, immer wieder wurden Konzepte verworfen und neue Ablaufpläne erstellt.

Doch anders als im Fall des BER „liegen wir jetzt mit dem Projekt im Zeitplan und im Budget“, sagt Flughafensprecher Al Snedeker. Wenn das Terminal in Betrieb gehe, könnten die Passagiere keine Baustellenspuren mehr finden. Einzige Einschränkung: „Wir haben noch nicht alle Konzessionen für Geschäfte und Restaurants vergeben.“

Mängel schnell behoben

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Der Betreiber ist zuversichtlich, dass der Start reibungslos über die Bühne gehen wird. Bei einer Generalprobe mit 1600 Freiwilligen hatte sich vor allem ein Problem abgezeichnet: Die Beschilderungen innerhalb und außerhalb des Terminals waren nicht klar genug. Ein Mangel, der schnell behoben werden konnte.

Außerdem war schon seit Februar 2010 eine Eingreiftruppe von acht Flughafenangestellten „ausschließlich damit beschäftigt, den Ernstfall zu proben: den Start des Flugbetriebs im neuen Terminal“, sagt Snedeker, „von der Sicherheit über Gepäckabfertigung und Feueralarm bis zum Erste-Hilfe-Einsatz“.

Sie haben auch die Terminaleröffnungen auf anderen Flughäfen studiert. Zum Beispiel den Fall London Heathrow, wo es bei der Eröffnung der fünften Halle im Jahr 2008 zu Flugausfällen und Gepäckchaos kam.

Das Terminal stärkt Atlantas Bedeutung

Luftfahrtexperte George Hamlin überrascht der Ehrgeiz der Flughafenplaner nicht. Zwar sind in Atlanta auch der Brausegigant Coca-Cola, der Nachrichtensender CNN und der Logistikdienstleister UPS zu Hause, doch „es ist der Flughafen, der Atlanta zur globalen Metropole macht“.

Die Vertreter der Stadt versuchen, die Eröffnung zur Standortwerbung zu nutzen: Das neue Terminal stärke Atlantas Rolle als „globales Einfallstor in die Vereinigten Staaten“, betont Bürgermeister Reed. Nicht zufällig erinnert die breite, flaggengesäumte Auffahrt ein wenig an die Hauptquartiere von UNO oder NATO.

Swarowski-Kristalle und Bio-Burger

Die zweistöckige Flughalle ist offen und lichtdurchflutet. Riesige Fensterfronten öffnen den Blick auf das Flugfeld, die Decken winden sich in sanften Wellen, und im Zentrum des Terminals hängt ein asymmetrischer Lüster aus Tausenden von glitzernden Swarowski-Kristallen.

Das neue Terminal hat zwölf Abflugsteige, die ausschließlich für internationale Flüge genutzt werden. Auch die Gastronomie wurde dem Zeitgeist globaler Vielflieger angepasst: Es gibt Bio-Burger und Öko-Tapas statt der sonst üblichen McDonald's-Filialen.

Sorge um die Auslastung

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Doch ganz so heil ist die Welt in Georgia nicht. So befürchten Kritiker, das neue Terminal werde mit dem aktuellen Flugverkehr nicht ausgelastet. Tatsächlich hatten die Planer Ende der 90er-Jahre errechnet, dass im Jahr 2015 mehr als 120 Millionen Passagiere jährlich den Flughafen von Atlanta passieren würden.

Dann kamen die Terroranschläge von 9/11, die steigenden Bezinpreise und die große Rezession von 2008. Fluglinien trudelten in die Insolvenz und fusionierten – Delta Airlines, deren Firmensitz in Atlanta ist, mit Northwest, United Airlines mit Continental.

In der Folge wurden Routen gestrichen, Passagierzahlen brachen ein. Die US-Luftfahrtbehörde FAA schätzt inzwischen, dass das Passagiervolumen in Atlanta im Jahr 2015 nur gut 100 Millionen betragen wird.

„Wir bauen für die Zukunft“

Flughafenchef Louis Miller weist die Einwände zurück: „Wir bauen nicht nach den Berechnungen und für die Bedürfnisse von heute“, sagt er. „Wir bauen für die Zukunft.“ Und diese Zukunft bedeute: mehr Flugzeuge, mehr Passagiere, mehr Strecken. Wachstum, aber eben langsamer als erwartet.

Auch Hamlin betont: „Der Flugverkehr wird schnell in die Kapazität von Atlanta hineinwachsen.“ Außerdem brauche Atlanta das neue Terminal, wenn der Flughafen seine Rolle als weltgrößtes Passagierdrehkreuz verteidigen wolle.

Auch wenn Peking, mit jährlich 77 Millionen Passagieren derzeit die Nummer Zwei, eines Tages überholen werde, sei er überzeugt, dass Atlanta für die kommenden Jahre gut aufgestellt sei, sagt Hamlin.

Delta Airlines ist das größte Risiko

Dabei ist der wichtigste Standortfaktor zugleich das größte Risiko: Delta Airlines. Der Konzern ist seit der Fusion mit Northwest die größte Fluglinie der Welt und steuert 332 Ziele in 63 Ländern auf sechs Kontinenten an.

Mit ihrem weitverzweigten Streckennetz machte Delta Atlanta zu einen wahren Weltflughafen: eine globale Schleuse, durch die der Passagierstrom zwischen Europa und Nordamerika, zwischen Lateinamerika und Asien, zwischen Nordamerika, Europa und Afrika hindurchgeleitet wird. Richard Anderson, seit 2007 Chef von Delta Airlines, weiß um den Wert seiner Fluggesellschaft für die Region.

Allerdings: In der gigantischen Größe von Delta liege zugleich auch „das Risiko für Atlanta, für die Stadt und den Flughafen gleichermaßen“, sagt George Hamlin.

Tatsächlich ist die Geschichte der großen US-Fluggesellschaften selten glücklich verlaufen: Ob PanAm, TWA, Eastern Airlines oder jüngst American Airlines - viele der altehrwürdigen Fluglinien gingen bankrott oder in anderen Gesellschaften auf.

Zwar ist in Atlanta auch die Billigairline Air Tran zuhause, die derzeit mit Southwest fusioniert. Doch Air Tran bedient nur nationale Strecken, und das wirkliche Gewinnpotenzial liegt im internationalen Geschäft.

Eine clevere Idee von Delta

„Der Flughafen von Atlanta setzt bei seinen Plänen ziemlich klar auf eine Karte“, sagt Hamlin, „und zwar auf Delta“. Dabei könne „niemand garantieren, dass Delta eine lange und finanziell gesunde Zukunft vor sich hat“.

Derzeit stehen die Zeichen gut. Nachdem sich die Airline von 2005 bis 2007 unter Gläubigerschutz nach Chapter 11 saniert hatte, kann Delta heute mit der größten Gewinnmarge aller US-Fluglinien aufwarten. „Wir schauen auf zwei sehr profitable Jahre zurück“, sagt Anderson, ein gebürtiger Texaner. „Und wir stehen mitten in einem weiteren vielversprechenden Jahr.“

Wohl auch wegen einer cleveren Idee: Um Zusatzkosten durch die schwankenden Kerosinpreise zu vermeiden, kaufte Delta eine Ölraffinerie in der Nähe von Philadelphia.

Dass mögliche Verluste durch den verschobenen Start des Flughafens Berlin-Brandenburg auf die Bilanz drücken, muss Delta ebenfalls nicht fürchten. Die Fluglinie strich ihren einzigen Direktflug zwischen New York und Berlin bereits im September aus dem Flugplan.

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