WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Reise
  3. Europa
  4. Bahnreisen: Eine Liebeserklärung an den Speisewagen

Europa Bahnreisen

Eine Liebeserklärung an den Speisewagen

Es gibt Leute, die fahren nur wegen des Zugrestaurants mit der Bahn. Gut so! Am besten sind tschechische, ungarische und slowenische Speisewagen. Dort wird an Bord noch richtig gekocht, vom Gulasch bis zum Schnitzel. Und ein Theater bekommt man obendrein geboten.
Zum richtigen Zug gehört auch, wie hier in der Schweiz, ein Speisewagen. Dann macht die Reise wirklich Spaß Zum richtigen Zug gehört auch, wie hier in der Schweiz, ein Speisewagen. Dann macht die Reise wirklich Spaß
Zum richtigen Zug gehört auch, wie hier in der Schweiz, ein Speisewagen. Dann macht die Reise wirklich Spaß
Quelle: Jaroslav Rudis

„Wo ist der Speisewagen?“ So lautet die wichtigste Frage, die man sich stellt, wenn der Zug am Bahnsteig einrollt. Wenn man Glück hat, ist ein Speisewagen dabei. Und wenn man noch mehr Glück hat, ist sogar jemand wie Herr Popović oder Herr Peterka dabei. Herr Peterka ist eine Legende auf der Strecke zwischen Prag, Berlin und Hamburg, manchmal auch bis nach Kiel. Herr Popović ist auch eine Legende, und zwar im Eurocity „Emona“ zwischen Wien und Ljubljana, er ist ein Spezialist für die Südbahn.

Die beiden Herren kennen sich nicht. Und doch würden sie sich gut verstehen. Denn sie haben so viel gemeinsam. Seit mehr als 20 Jahren fährt Herr Popović auf der Route über den Semmering, einer der schönsten Bahnstrecken der Welt. Wenn er nicht an der Theke steht, ist sein Sohn da, der junge Herr Popović. Denn dieser Speisewagen ist ein Familienunternehmen, ein Wirtshaus mit Hausmannskost, das ausschließlich über die Berge zwischen der slowenischen und der österreichischen Hauptstadt pendelt. Es ist die einzige regelmäßige Verbindung mit einem slowenischen Speisewagen.

Herr Popović muss sich an Bord um alles kümmern. Das Kochen, Braten, Kaffeemachen und das Bedienen. Herr Peterka hat dagegen noch einen Koch zur Seite. Und einen zweiten Kellner, der mit dem Rollwagen im Zug unterwegs ist. Im Sommer verwandelt sich sein Eurocity in eine interkontinentale Verbindung, die viele Gäste aus Nord- und Südamerika oder Asien durch Europa bringt. Wegen seiner Gäste lernte Herr Peterka im Zug auch mehrere Sprachen. Deutsch, Russisch und Englisch, aber auch ein wenig Französisch, Italienisch, Japanisch und Koreanisch.

Herr Peterka ist ein Star, sein Speisewagen die Theaterbühne
Herr Peterka ist ein Star, sein Speisewagen die Theaterbühne
Quelle: Jaroslav Rudis

Den Gästen bietet er die feinsten Speisen der böhmischen Küche. Ganz vorn mit dabei Svíčková, Lendenbraten in cremiger Soße aus Wurzelgemüse, serviert mit sechs Knödeln. Svíčková ist hier der absolute Renner, so wie das Schnitzel oder das langsam geschmorte Kalbfleisch mit Linsensalat.

Im Zug gibt es immer ein Theater

Herr Peterka wollte eigentlich – so wie ich – Lokführer werden. Dann bekam er – so wie ich – eine Brille, machte eine Ausbildung zum Koch und Kellner und stieg in den Speisewagen ein. Er liebt aber auch Theater und Film. Doch sein Wirtshaus hat er nicht verlassen. Denn das hier ist sein Theater. Kein Zufall, dass er seine Schichten als Vorstellungen versteht.

Der Speisewagen ist seine Bühne. Die Landschaft hinter den Fenstern sein Bühnenbild. Die Zuggeräusche seine Musik. Er führt die Regie, und die Reisenden sind seine Zuschauer. Doch auch Schauspieler, die in seinen Stücken mitwirken. Nichts wiederholt sich, jedes Stück ist eine Premiere und eine Derniere zugleich. Denn so ist es bei einer Zugfahrt. Es treffen immer neue Menschen aufeinander. Mit immer neuen Geschichten, die sie erzählen.

Essen mit Aussicht: im österreichischen Railjet von Zürich nach Wien
Essen mit Aussicht: im österreichischen Railjet von Zürich nach Wien
Quelle: Jaroslav Rudis

Wegen des Theaters reist Herr Peterka auch in seiner Freizeit mit dem Zug, zum Beispiel nach Venedig. Einmal wollte er sich im Teatro La Fenice Verdis La Traviata anschauen, an dem Ort also, wo die Oper einst, im März 1853, eine miserable Premiere hatte. Und so fuhr er nach der Schicht in Prag einfach weiter. Nach Wien. Villach. Udine. Venedig. Und am nächsten Tag wieder zurück.

Anzeige:
Mit WELT günstiger verreisen: Deutsche-Bahn-Gutschein

Herr Popović und Herr Peterka sollten sich einmal treffen und zusammen Theater spielen. Denn auch der immer freundliche Herr Popović hat etwas von einem großen Bühnenschauspieler. Während der Fahrt auf der kurvenreichen Semmeringbahn verwandelt er sich manchmal mit seinem Tablett zu einem Ballettmeister, so wie Herr Peterka auf den Weichen von Dresden-Neustadt. Die beiden können ihre Strecken auswendig. Jeden Tunnel, jede Brücke, jede Weiche.

Anzeige

Herr Peterka hat im Laufe seiner Karriere halb Europa aus seinem Wirtshaus gesehen. Damit war er in Bulgarien und Rumänien und immer wieder in Wien, Graz, Ljubljana oder Budapest. Während einer Dampflokparade servierte er Gulasch an der Gotthardbahn in der Schweiz. Er servierte Schnitzel und Bier im Eurocity nach Aarhus und verstand erst dort im Norden, warum die Tschechen „trinken wie ein Däne“ sagen. Allerdings hat er auch von einem dänischen Fahrgast gelernt, dass man in Dänemark „trinken wie ein Schwede“ sagt.

Lieber im Speisewagen als in der ersten Klasse

Die Speisewagen sind meine Lieblingswagen. Wenn der Zug einen Speisewagen führt, freut man sich viel mehr auf die Reise, und man kann auf einen Fahrschein der ersten Klasse verzichten. Viel besser ist es, gleich nach dem Speisewagen zu fragen, direkt dort Platz zu nehmen, sich die Speisekarte bringen zu lassen und für das gesparte Geld ein wenig das Leben zu genießen. Die Speisewagen stehen für die Vielfalt auf Schienen in Mitteleuropa.

Bei Herrn Peterka habe ich sogar meinen Stammplatz, gleich hinter der Tür. Hier reise ich gerne, hier schreibe ich, hier kann ich sogar auch mal kurz schlummern. Ich bin nicht der einzige Stammgast von Herrn Peterka. Er und auch Herr Popović haben gleich mehrere. Schon auf dem Bahnsteig erkennen sie sie und wissen, aha, das Omelette, eine Cola und danach einen Espresso. Oder, aha, ein Schnitzel und drei Bier.

Bekannte von mir aus Wien treffen sich oft bei Herrn Popović zum Frühstück. Sie fahren mit dem „Emona“ kurz vor acht in Wien los, essen ein Omelette, trinken zwei Kaffee und ein Mineralwasser und steigen im Bahnhof Semmering aus. Dort machen sie einen eher kurzen als langen Gesundheitsspaziergang und steigen wieder in den Zug, denn dann wird es langsam Zeit für ein Mittagessen. Das wird im österreichischen oder tschechischen Zug serviert, mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert, wie es sich gehört. Kaffee und Kuchen gibt es danach im deutschen ICE. Für das Abendessen wird im polnischen oder ungarischen Wagen der Tisch gedeckt.

Beim Schnitzel scheiden sich die Geister – jeder Reisende hat seine bevorzugte Art der Zubereitung
Beim Schnitzel scheiden sich die Geister – jeder Reisende hat seine bevorzugte Art der Zubereitung
Quelle: Jaroslav Rudis

Auf die Fahrt im ÖBB-Wirtshaus von München nach Bologna freue ich mich immer, wo ich daran denken muss, was mir eine Freundin erzählte, die diese Strecke nach Italien oft nimmt: „Ab dem Brenner werden der Kaffee und vor allem der Wein immer besser. Es sind zwar immer der gleiche Kaffee und der gleiche Wein wie schon vorher in Innsbruck, doch dann kommt der Brenner und danach Bozen und Trient und Verona, und alles schmeckt von Bahnhof zu Bahnhof einfach viel besser als vorher. Und wenn du dann in Bologna aussteigst, fühlst du dich so gut und so glücklich. So wie immer in Italien.“

Der Nachtzug in Italien hat den besten Espresso

Ich verstehe die Freundin. Die Stimmung im Zug ist insgesamt sehr gut und heiter. Zumindest, wenn man von Deutschland nach Italien reist. Auf der Rückreise werden viele Fahrgäste von Bahnhof zu Bahnhof melancholischer und verstummen langsam. Nicht mal der Grüne Veltliner hilft dabei. Wenn sie dann in München aus dem Zug steigen und in der Halle anstelle der großen Espressomaschinen nur noch die Kaffeevollautomaten wie auf einer Tankstelle sehen, wollen sie gleich mit dem Zug zurück Richtung Italien flüchten.

Oder sich vor der Lebensrealität in der Schweiz verstecken, wohin man heute schnell von München über Bregenz und St. Gallen fahren kann. In der Schweiz lässt sich auch sehr gut im Zug essen, obwohl es natürlich ein wenig teuer ist. Doch die Schweizer Klassiker wie Rindsgehacktes mit Hörnli oder Risotto Tessiner Art schmecken im Speisewagen einfach köstlich. Und der Kaffee ist auch ganz in Ordnung.

Anzeige

Doch den besten Espresso im Zug bekommt man tatsächlich in Italien, und zwar im Nachtzug von Palermo nach Rom. Kräftig, kurz und schwarz wie die Nacht während der Überfahrt mit der Fähre über die Straße von Messina. Dazu wird dann im Abteil ein einfaches italienisches Frühstück serviert, wie es auch in anderen Nachtzügen meistens der Fall ist. Doch um das Essen geht es nicht. Es geht vor allem um diesen köstlichen Kaffee.

Das kulinarische Zugangebot in Italien ist, ähnlich wie in Frankreich, sonst sehr bescheiden. Im eleganten Expresszug Frecciarossa zwischen Bologna, Rom und Neapel findet man zwar ein kleines Bordbistro und bekommt ebenfalls guten Kaffee, so wie auch im französischen TGV. Aber in den italienischen Intercitys, die doch so leise und gemütlich sind, gibt es leider keine Speisewagen mehr. Daran muss man denken, wenn man in Rom kurz vor halb acht in den Tageszug nach Palermo steigt. Man braucht viel Reiseproviant. Doch in Roma Termini gibt es davon reichlich zu kaufen. Zum Beispiel frische Tramezzini.

Eine Fahrt mit der Bahn – nur wegen der Suppe

Mitteleuropa, das sind für mich nicht nur Bier, Wein und Würstchen oder alte Burgen oder Züge, sondern auch Suppen, die man im Speisewagen ebendieser Züge essen kann. Wie zum Beispiel die polnische Źurek. Eine aus Sauermehl zubereitete Suppe, die ich so mag, dass ich manchmal nur deswegen in Berlin in den Eurocity nach Warschau einsteige, die Suppe esse und in Frankfurt an der Oder wieder aussteige und mit dem Regionalexpress zurück nach Berlin fahre.

Selten habe ich im polnischen Speisewagen eine Gulaschsuppe bekommen. Die ist wiederum für andere Speisewagen typisch. Stundenlang kann man darüber diskutieren, welche Gulaschsuppe die beste ist. Die tschechische von Herrn Peterka? Die slowakische? Die österreichische? Oder die slowenische von Herrn Popović? Es ist schwierig, alle schmecken einzigartig. Als Vorspeise. Hauptspeise. Nachspeise.

Schmeckt, wie so vieles in europäischen Speisewagen, ausgezeichnet: Fleischbällchen mit Kartoffelbrei in einem finnischen Zug
Schmeckt, wie so vieles in europäischen Speisewagen, ausgezeichnet: Fleischbällchen mit Kartoffelbrei in einem finnischen Zug
Quelle: Jaroslav Rudis

Vermutlich ist die beste Variante aber doch die aus dem ungarischen Zug, dem Eurocity „Hungaria“. Die anderen Gulaschsuppen sind für ungarische Verhältnisse zu dickflüssig und deftig. Im ungarischen Speisewagen wird sie viel dünner und mit sehr viel Gemüse serviert, fast wie eine Fleischbrühe mit Paprika, Rindfleisch und anderen Gulaschelementen. Auf Ungarisch heißt die Suppe gulyáslev. Was wir in Tschechien, Österreich oder Deutschland unter Gulasch kennen, findet man auf der Speisekarte im ungarischen Zug als pörkölt. Auch eine gute Wahl.

Jeder Speisewagen serviert auch andere Würstchen. Herr Popović bietet die sehr fleischige Krainerwurst an. Immer zwei Stück. Wenn man sie vor Semmering bestellt, braucht man bis nach Triest nichts mehr zu essen. Bei der Deutschen Bahn gibt es als Klassiker zum Bier die Currywurst mit Pommes und manchmal die Nürnberger Bratwürste. Im Railljet der ÖBB esse ich gerne die feinen Sacherwürstel, die an die langen Schienenstränge erinnern. Im polnischen Speisewagen WARS bekommt man zum englischen Frühstück Würstchen der im Land beliebten Marke Sokołów.

Und Herr Peterka serviert im tschechischen Speisewagen Spišské párky von einem kleinen Fleischer aus einem Prager Vorort. Benannt wurden sie nach Spiš, der von Deutschen besiedelten Gegend Zips in der Ostslowakei. Sie schmecken wie die ungarischen Debrecziner, die man aus Österreich kennt. Ganz Mitteleuropa duftet dann auf dem kleinen Teller.

Der Text ist ein gekürztes Kapitel aus dem 2023 erschienenen Großformatbuch „Zug um Zug durch Europa“ von Jaroslav Rudiš, Piper Verlag, 256 Seiten, über 160 Fotos, 30 Euro.

„Zug um Zug durch Europa“ von Jaroslav Rudiš, Piper Verlag, 256 Seiten, über 160 Fotos, 30 Euro
Quelle: Piper Verlag


An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema