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„Stadtlogos brauchen keine christlichen Symbole“

Fast jede Kommune hat ein eigenes Wappen zu Repräsentationszwecken. Dennoch investieren viele Stadtväter in neue Logos. Wir sprachen mit zwei Experten über gelungene und fragwürdige Hoheitszeichen.
Reiseredakteurin

Ein blaues Strichmännchen mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen ist der offizielle Repräsentant der Stadt Datteln. „Seine Figur wirkt grob und durch die Spur von Fingerfarbe nachgerade infantil“, heißt es dazu im gerade erschienenen Buch „Städte und ihre Zeichen“ von Matthias Beyrow und Constanze Vogt. Die zwei Kommunikationsdesigner stellen darin 583 Logos deutscher Städte vor, deren Sinn es nicht zuletzt ist, Investoren und Touristen auf die Kommunen aufmerksam zu machen.

So stehen die vier ausgestreckten Extremitäten des blauen Strichmännchens für den Zusammenfluss von vier großen Kanälen in Datteln, was die Stadt zum größten Kanalknotenpunkt der Welt macht. Das zu erkennen setzt jedoch einige Vorbildung bei potenziellen Besuchern voraus.

Und wie ein im Karnevalsrausch hüpfendes Männchen – Datteln liegt in der Hochburg der Jecken, in Nordrhein-Westfalen – auf Investoren wirkt, lässt sich nur erahnen. Die Buchautoren jedenfalls sind überzeugt, dass mit dem Logo die „Repräsentanz städtischer Würde“ abhanden kommt.

87 Prozent der insgesamt 671 deutschen Kommunen mit über 20.000 Einwohnern verwenden inzwischen neben ihrem Wappen ein weiteres Signet: ein Logo alias ‚Stadtzeichen‘. Wie sprachen mit Matthias Beyrow und Constanze Vogt über gelungene und fragwürdige Hoheitszeichen.

Die Welt: Das traditionelle Wappen von Datteln ziert ein schwarzes Kreuz auf silbernem Grund und einen silbernen Ring auf schwarzem Grund. Wie wirkt auf Sie als Professor für Corporate Identity und Corporate Design ein solches Wappen?

Matthias Beyrow: Ein Wappenschild kann unabhängig vom Motiv Hoheitlichkeit, Historizität und so etwas wie verlässliche Beständigkeit vermitteln – ein Effekt, den sich auch Marken wie die Würth-Gruppe, UPS oder HUK-Coburg zunutze machen.

Die Welt: Wäre Datteln dann nicht gut beraten gewesen, sein Wappen auch zum Stadtlogo zu machen?

Beyrow: Datteln hätte sich mit seinem Stadtzeichen zu Werten bekennen können. Zumal es grafisch durchaus möglich ist, Ring und Kreuz im Wappen zeitgemäß zu interpretieren.

Die Welt: Datteln, dessen Wappenkreuz nur noch andeutungsweise auf dem Kopf des Strichmännchens thront, ist auch ein Beispiel für das Verschwinden christlicher Symbolik aus den Stadtlogos. Selbst die Domstadt Köln hat in ihrem Stadtzeichen lediglich zwei stilisierte Domspitzen, die man kaum als solche erkennen kann. Verstehen Sie als Kommunikationsdesigner das als Zugeständnis an die multireligiöse Bevölkerung Kölns?

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Beyrow: Das darzustellen ist nicht Aufgabe von Stadtzeichen. Stadtlogos sind eine junge Zeichengattung, die – anders als Stadtwappen – eine Tradition christlicher Symbolik gar nicht kennt. Neben dem doppelköpfigen Adler abstrahiert das Kölner Logo den Dom deshalb auf sein augenfälligstes Merkmal: die Türme der Westfassade. Damit markiert das Logo den touristischen Mehrwert des Doms als Wahrzeichen der Stadt.

Die Welt: Man muss aber schon wissen, dass Köln einen Dom hat, um die Turmspitzen als solche zu erkennen. Ortsunkundige könnten sie auch für Eiswaffeln halten. Ist da ein christliches Kreuz nicht eindeutiger?

Constanze Vogt: Die Frage ist, welche Aspekte eine Stadt von sich betonen will; die historischen Wurzeln der Stadt Köln beispielsweise sind ja römische. Nun ist ein Stadtlogo kein Kürzel für Kulturgeschichte. Ihre Frage zeigt jedoch, wie schwierig es ist, eine Stadt mit ihren vielfältigen Facetten in einem einzigen Zeichen zu bestimmen. Ein Stadtlogo muss das gar nicht alleine leisten.

Die Welt: Ihr Buch trägt den Untertitel „Identität, Strategie, Logo“. Kann man sich mit bunten Punkten, die etwa die Stadt Neuwied für ihr Logo wählte, als Bürger identifizieren?

Vogt: Die 14 bunten Punkte im Zeichen der Stadt Neuwied sollen für 13 Stadtteile plus Innenstadt stehen. Es mag fraglich sein, ob sich die Bürger von Neuwied mit ihrem Stadtlogo identifizieren, das eher eine Informationsgrafik ist. Doch muss man sich mit einem Stadtlogo überhaupt identifizieren? Ein Logo ist zunächst nur der grafische Repräsentant einer Stadt.

Die Welt: Und wie muss ein Logo gestaltet sein, dass es ein guter Repräsentant ist?

Beyrow: Gute Zeichen signalisieren ihre Stadt markant; sie repräsentieren sie spezifisch, ohne sie erklären oder bewerben zu wollen. Verknappt lässt sich sagen, gute Stadtzeichen sind nicht Bedeutung von etwas, sondern Zeichen für Stadt. Unter den von uns untersuchten Stadtlogos sind lediglich etwa fünf bis zehn Prozent in diesem Sinne gute Zeichen.

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Die Welt: Können Sie ein paar Beispiele dafür nennen?

Beyrow: Das Zeichen der Stadt Ulm macht das herausragend nüchtern mit seinem klein geschriebenen Schriftzug und dem turmhoch verlängerten „l“, Leverkusen nutzt seit mehr als 40 Jahren eine symbolische Form, die einem Verkehrszeichen ähnelt. Schwäbisch Gmünd überführt sein historisches ‚Einhorn‘ vertikal gerastert in die heutige Zeit.

Die Welt: Sehr auffällig ist auch das Stadtlogo von Bielefeld, das für sich mit einem roten Rechteck wirbt, auf dem lediglich der Name in der Schrift Times New Roman steht. Was wollen die Stadtväter damit zum Ausdruck bringen?

Beyrow: Bielefeld erwirkt mit seinem Zeichen Präsenz, indem es seinen Namen demonstriert und mittels roter Trägerform Platz beansprucht. In der Wahl der Mittel agiert die Stadt bemerkenswert unspezifisch. Es kommt ein Pragmatismus zum Ausdruck, der das Stadtzeichen nicht zum Bedeutungsträger vielfältiger Qualitäten der Stadt verklärt, sondern es in seiner Zeichenqualität beim Wort nimmt, indem es schlicht Bielefeld anzeigt.

Die Welt: Vielleicht ein wenig zu schlicht. Optisch ansprechender finden wir das prächtige Wappen Bielefelds aus dem Jahr 1263 mit seinem Stadttor und Zinnen. Nun wurden zwar große Teile der Altstadt im Zweiten Weltkrieg zerstört, doch muss man deshalb gleich auf das Wappen verzichten?

Das Buch „Städte und ihre Zeichen. Identität, Strategie, Logo“ von Matthias Beyrow und Constanze Vogt ist bei avedition erschienen, hat 240 Seiten und kostet 49 Euro
Das Buch „Städte und ihre Zeichen. Identität, Strategie, Logo“ von Matthias Beyrow und Constanze Vogt ist bei avedition erschienen, hat 240 Seiten und kostet 49 Euro

Beyrow: Ich weiß nicht, ob das wirklich der Grund dafür ist, dass Bielefeld nun ein Logo hat. Für ein Wappen spricht, dass es keiner modischen Tendenz unterliegt und auch keiner Interessengruppe verpflichtet ist. Ein Logo hingegen ist Resultat strategischer Erwägungen und immer auch Resultat eines Abstimmungsprozesses. Das Bielefelder Logo kann so gesehen wenig und vermeidet viel.

Die Welt: Leipzig ist eine der wenigen Städte, die ihr Stadtwappen unverändert als Hoheitszeichen führen. Hand aufs Herz: Halten Sie persönlich die alten heraldischen Symbole oder die neuen Logos für besser im Sinne von touristischer Werbewirksamkeit?

Vogt: Zunächst einmal befindet sich Leipzig in guter Gesellschaft – etwa 20 Prozent der städtischen Zeichen verweisen mehr oder weniger direkt auf das heraldische Zeichen ihrer Stadt. Dann aber geht es bei Logos nicht allein um die Werbewirksamkeit für Touristen.

Das Kommunikationsdilemma von Städten entsteht durch die drei Funktionsbereiche von Stadt als Destination, als Lokation und Administration. Städte kommunizieren folglich für heterogene Interessen. Der Spagat zwischen den drei Kommunikationsfeldern gelingt mit heraldischen Zeichen oft besser, weil diese ihre Stadt zunächst als hoheitliche Instanz markieren und sich nicht werbend an eine Interessensgruppe wenden.

Die Welt: Sind Investitionen in Stadtlogos also rausgeschmissenes Geld?

Vogt: Städte können sich der Investition in ein Corporate Design gar nicht entziehen, da sie kommunizieren müssen. Stadtwappen oder Stadtzeichen sind ein wesentlicher Teil dessen. Nicht selten versuchen Städte, die Komplexität des Systems Stadt in ihrem Stadtlogo zu verdichten. Damit überfordern sie nicht nur Entscheidungsgremien, sondern auch Gestalter, Empfänger und letztlich die Zeichen selbst. Wir plädieren für eine Aufgabenentlastung von Stadtzeichen.

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