Die Szene hat sich fest eingebrannt im Gedächtnis eines jeden Werder-Fans. Es lief die 16. Minute an jenem geschichtsträchtigen 8. Mai 2004, als das große Bayern-Unheil seinen Lauf nahm. Bremens Stürmer Ailton hatte einen Pass auf seinen kongenialen Sturmpartner Ivan Klasnic viel zu steil gespielt, kein Problem für Oliver Kahn. Dachten alle der 63.000 Zuschauer im ausverkauften Münchner Olympiastadion.
Doch die damalige deutsche Nummer eins ließ den völlig harmlosen Ball aus den Händen gleiten. Klasnic war hellwach, schnappte sich das Leder mit dem Rücken zum Tor, drehte sich um das rechte Standbein und schob den Ball am völlig verdutzten Kahn mit links zum 1:0 ins verlassene Tor. Kurz darauf trafen noch Johan Micoud und Ailton zum 3:0-Halbzeitstand, spätestens da war alles entschieden.
Der damals 24-jährige Klasnic spaßte bei der Meisterfeier: „Ich hab das vorher mit Oli besprochen, dass er ihn mir vorlegt. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich nur drehen und ihn reinschieben will. Dass er dann so nett war und es auch gemacht hat, dafür wollte ich noch mal Danke an Oli sagen.“
Traumduo im Angriff
So, wie die Bremer Verantwortlichen um Trainerlegende Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs den Bayern-Offiziellen danken mussten. Besonders Uli Hoeneß war in den Tagen zuvor vorgeprescht und hatte großspurige Töne in den Mund genommen. Motivation pur für die Werder-Profis, wie Klasnic verrät: „Wer die Sprüche von Hoeneß gehört hat, wusste natürlich, wie sehr uns das motiviert hat. Wir wollten ihm zeigen, wer der Herr im Hause ist.“
Werder siegte eindrucksvoll, spielte in der gesamten Saison 2003/04 begeisternden Offensivfußball und blieb zwischen dem 10. und 33. Spieltag unbesiegt. „Als wir gesehen haben, dass wir Spiele auch in den letzten Minuten für uns entscheiden können und das nötige Glück mit dabei ist, haben wir immer mehr an uns geglaubt. Von da an war der Glaube an die Meisterschaft da“, so Klasnic.
Der Kroate trug mit einer sensationellen Quote dazu bei: 13 Tore und elf Vorlagen in 29 Ligaspielen, gemeinsam mit Torschützenkönig Ailton stellte er das mit Abstand beste Scorer-Duo der Liga. Ein Gute-Laune-Duett, das auch bei der anschließenden Meisterfeier überzeugte. Klasnic erinnert sich: „Es war der Wahnsinn, was da in Bremen ablief. Wir haben gefeiert, bis es nicht mehr ging.“
Drei Transplantationen
Von da an war der gebürtiger Hamburger auch für die Nationalmannschaft unverzichtbar – allerdings nicht für die deutsche. Klasnic entschied sich für Kroatien, nahm an den Europameisterschaften 2004 in Portugal und 2008 in Österreich/Schweiz sowie 2006 an der Weltmeisterschaft in Deutschland teil. 2013 beendete der schlitzohrige Stürmer dann seine Karriere. Nach 154 Bundesliga-Spielen (50 Tore), 17 Champions-League-Einsätzen (fünf Treffer) und 41 Länderspielen (zwölf Tore) war Schluss – auch weil der Körper ihm einen Strich durch die Rechnung machte.
Insgesamt musste der mittlerweile 40-Jährige drei Nierentransplantationen über sich ergehen lassen – er ist der einzige Fußballer weltweit mit diesem Schicksal. „Es ist eine Genugtuung, den Leuten gezeigt zu haben, dass ich nach so einer Krankheit ins Fußballgeschehen zurückgekommen bin. Das soll mir erst mal einer nachmachen, darauf bin ich sehr stolz. Ich werde diese Zeit niemals missen“, sagt Klasnic heute.
Bei den Wegbegleitern aus früheren Tagen ist er häufig als „der verrückte Ivan“ bekannt. Immer für einen Spaß zu haben, nicht alles zu ernst nehmend, einfach ein angenehmer Typ. So ähnlich beschreibt es auch Clemens Fritz: „So, wie Ivan sich nach außen gibt, ist er auch wirklich. Für die Kabine ist er immer sehr wertvoll gewesen. Ein Lautsprecher, aber im positiven Sinne. Er macht Stimmung, sagt klar seine Meinung, haut auch mal auf den Tisch. Er drückt dir auch gerne mal einen Spruch, kann aber genauso gut einstecken. Das Besondere an ihm: Ivan geht jeden Tag mit einer gewissen Leichtigkeit an“, so das Werder-Urgestein, das insgesamt zwei Jahre gemeinsam mit dem Kroaten auflief.
Ivan Klasnic ist jemand, mit dem man sich gern über die alten Zeiten unterhält. Eben weil er eine so unbeschwerte Art dabei an den Tag legt. Nur einer sieht das mit Blick auf eben jenen 8. Mai 2004 nicht ganz so: Oliver Kahn. Klasnic erzählt, wie er den einstigen „Torwart-Titan“ bei der EM 2016 in einem TV-Studio „kurz mal gesprochen“ habe – und dieser dann sagte: „Ivan, darüber reden wir nicht mehr.“