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Sport Leichtathletik-WM

Dick, langsam, exotisch – Die Anti-Stars in Berlin

Die Leichtathletik-WM ist auch eine Bühne für Exoten. Die Zuschauer freuen sich über komische Momente, wenn Kugelstoßerinnen am 100-Meter-Vorlauf teilnehmen oder untrainierte Sprinter die Hürdendistanz bewältigen. Ein 1500-Meter-Läufer wurde allerdings dank seines Namens zum Publikumsliebling in Berlin.

Mit stampfenden Schritten näherte sich Savannah Sanitoa dem Ziel. Das Fett wogte um ihre Hüften, auch die massigen Oberschenkel bebten. Hat sich da eine Kugelstoßerin verlaufen? Nach erstaunlichen 14,23 Sekunden hat Sanitoa es geschafft und 100 Meter zurückgelegt. Das Publikum tobte. Ein paar Minuten später stand Sanitoa in den Katakomben des Berliner Olympiastadions und war noch immer ganz begeistert: „Das ist meine Bestzeit. Ein tolles Erlebnis, hier zu laufen. Sonst starte ich bei Wettkämpfen, von denen nur meine Freunde wissen.“

Sanitoa kommt aus Amerikanisch-Samoa, einem Außenposten der USA im Pazifik, verteilt auf mehrere kleine Inseln. Ursprünglich wollte sie bei der WM tatsächlich im Kugelstoßen antreten. Weil sie sich aber nicht qualifizieren konnte, schulte sie mal eben auf den Sprint um. In einem nationalen Wettkampf war sie die Schnellste. „War nicht so schwer. Da sind ganz viele ohne Schuhe gelaufen“, sagte sie. Morgens vor der Schule joggt sie zwei, drei Runden. Nachmittags trainiert sie dann Sprints. Kugelstoßen ist ein schwieriges Geschäft auf ihrer Insel, denn es gibt nur selten Wettkämpfe.

Auch wenn Sanitoa der bisher kurioseste Auftritt der Weltmeisterschaften glückte – sie ist kein Unikat. In Berlin tummeln sich wie bei jedem Großereignis die Exoten. Einige fallen durch ihre Erscheinung auf wie 100-Meter-Sprinterin Rakia Al-Gassra aus Bahrain. Sie startet, wie ihr Glaube es vorschreibt, in einem Ganzkörperanzug mit integriertem Kopftuch, ordentliche 11,49 Sekunden lief sie.

Andere verblüffen wie Sanitoa durch ihre Chancenlosigkeit. Diese Sportler werden direkt eingeladen und müssen die strengen Normen des Weltverbandes nicht erfüllen. Und wie immer beklagten sich auch vor dieser WM andere Nationen, die wegen der Quotenplätze für die Exoten bessere Athleten zu Hause lassen müssen. Die Zuschauer lieben die Exoten dafür umso mehr.

„Es ist doch toll, wenn möglichst viele Nationen vertreten sind. Das macht doch erst den Reiz von Weltmeisterschaften aus“, sagt Ralph Mouchbahani, der beim Berliner Organisationskomitee BOC für die Betreuung der sportlichen Entwicklungsländer zuständig ist.

Und so darf am Mittwoch auch Hürdensprinter Abdul Hakeem aus Singapur starten. Seine persönliche Bestleistung liegt bei 14,49 Sekunden. Zum Vergleich: Der Weltrekord steht bei 12,87 Sekunden. „Ich muss zu Hause ganz oft ohne Hürden mit den normalen Sprintern trainieren, weil ich einfach keine Trainingspartner habe“, erzählt Hakeem. Auch er wollte eigentlich Sprinter werden, weil er aber zu langsam war, sagte man ihm, er solle Hürden laufen. Stolz ist er trotzdem. „Es ist eine große Ehre, hier für mein Land zu starten“, sagt er.

Das Argument, dass sich die Sportler auf den Wildcards ausruhen könnten, lässt BOC-Koordinator Mouchbahani nicht gelten: „Unser Ziel ist, dass diese Länder ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.“ Auch deshalb hatte das BOC vor der WM 34 Länder zu Trainingscamps nach Deutschland eingeladen. Und dass die sportliche Entwicklungshilfe längst wirkt, lässt sich am Beispiel Sambia erkennen. Vier Athleten hat das Land dieses Jahr am Start, und alle haben die internationalen Normen erfüllt. „Wenn du dich endlich direkt qualifizieren kannst, ist alles super“, sagt Nationaltrainer Jonathan Chipalo.

Vor sechs Jahren machte er sein Diplom als Leichtathletik-Trainer an der Trainerschule in Mainz. Ein Jahr hielt er sich dafür in Deutschland auf. Er kam zurück mit jeder Menge guter Ideen. „Ich habe alles neu gelernt: Wie man Talente sichtet, sie betreut und wie man überhaupt Trainingspläne erstellt“, sagt er. Und in 400-Meter-Läuferin Rachael Nachula, die bei den Olympischen Spielen in Peking bis ins Halbfinale kam, hat er sogar schon einen nationalen Star geformt. In Berlin schied die 19-Jährige zwar im Vorlauf aus, ihr Trainer ist trotzdem stolz: „Wir sehen an ihr, was wir erreichen können, wenn wir Athleten endlich über Jahre kontinuierlich betreuen“, sagt er.

Etwas schneller zum Star wurde ein 1500-Meter-Läufer aus Monaco: Antoine Berlin. Angeblich soll das Einchecken im Mannschaftshotel in etwa so abgelaufen sein: „Guten Tag, willkommen im Hotel Berlin, Berlin.“ „Danke, mein Name ist Berlin.“ „Dann wünschen wir Ihnen einen schönen Aufenthalt in Berlin.“ Als Berlin schließlich als Letzter und mit einer Runde Rückstand ins Ziel lief, war der Jubel unbeschreiblich.

Und manchmal braucht es noch nicht einmal ein Rennen, damit eine Weltmeisterschaft zu einem unvergesslichen Erlebnis wird. Denn für die beleibte, kugelstoßende Sprinterin Savannah Sanitoa aus Amerikanisch-Samoa war bereits die Anreise ein Abenteuer. Lange 22 Stunden dauerte der Flug nach Deutschland. „Das bin ich nicht gewohnt“, sagte Sanitoa, „normalerweise reisen wir per Boot.“

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