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Panorama Anne Will

Kühl weist Kraft die Putzfrau mit der Mini-Rente ab

Eigentlich ist das Thema Altersarmut und Mini-Rente ein Kernthema der Sozialdemokraten. Doch Hannelore Kraft tut sich seltsam schwer bei Anne Will. Und lässt auch noch eine Gewerkschafterin auflaufen.

Nach knapp einer Stunde Talk spielt Susanne Neumann nur noch genervt mit einem kleinen Kuscheltier zwischen ihren Fingern. Die Gewerkschafterin von der IG Bau und Putzfrau aus Gelsenkirchen war so enthusiastisch in die Runde von Anne Will gestartet. Zum Sendungsthema Rente trug sie mit Energie all ihre Anliegen vor, die ihr ihre vor Altersarmut bibbernden Freundinnen mit auf den Weg gegeben haben.

Und nun sitzt sie in der Runde wie verloren. „Ich bin jetzt irgendwie im falschen Film“, sagt Neumann, als sich das Gespräch nur noch um Kinderbetreuung dreht. „Jetzt kommen wir mal wieder auf den Punkt, ich kann von meiner Rente nicht leben.“

Da passiert Erstaunliches: Das sei doch schon in der ersten Hälfte der Sendung besprochen worden, sagt jemand kühl abweisend. Dieser jemand ist nicht Moderatorin Anne Will, sondern Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Kraft hat recht, das Problem der Altersarmut wurde zum Beginn der Sendung besprochen. Und dennoch: Falls sie in die Sendung gegangen ist, um für die Sozialdemokraten verloren gegangene Wählerschichten zu reaktivieren, war diese gewisse Überheblichkeit gegenüber der Gewerkschaftsdame ein Eigentor.

Rente könnte Großthema werden

„Heute kleiner Lohn, morgen Altersarmut – Versagt der Sozialstaat?“, lautete das vollständige Thema der Sendung. Gesetzt hatten das im Prinzip SPD-Chef Sigmar Gabriel und CSU-Chef Horst Seehofer. Sie befeuerten mit ihren Forderungen nach einem Aussetzen des geplanten weiteren Absenkens des Rentenniveaus (Gabriel) und der vernichtenden Kritik an der Riester-Rente (Seehofer) die Rentendebatte. Da nützt es auch nichts mehr, dass die fachlich zuständige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kurz vor der Sendung in Interviews vor Panikmache warnte. Das Thema Rente ist wieder im Mittelpunkt der Debatte und könnte noch zu einem Großthema für die Koalition werden. Womöglich auch wie von Gabriel bereits angedroht ein Thema für den Bundestagswahlkampf im nächsten Jahr.

Ruhrgebietsfrau Neumann wirkte wie der Prototyp für das Problem der Altersarmut. Über ihre Freundinnen, ihre „Mädels“, sagte sie, „die landen alle in der Altersarmut“. Auf ihrem eigenen Rentenbescheid werde ihr ein Betrag von 735 Euro in Aussicht gestellt, klagte sie. Theoretisch könne der sich noch erhöhen. Da sie aber an Krebs leide, sei nicht absehbar, ob sie wieder arbeitsfähig werde, sagte die Putzfrau. Im Laufe der Sendung erfuhren die Zuschauer, dass der Ehemann doch noch ein bisschen mehr Geld in den Familienhaushalt steckt.

Doch das war genau eines der Probleme der Sendung – die Frage, wo das Problem besteht und wo die Panikmache grassiert. Die diesmal etwas überfordert wirkende Anne Will war auch nicht in der Lage, der Sendung dafür die nötige Linie zu geben.

Die alte SPD diskutiert mit der neuen SPD

Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ nannte eine jüngst vom WDR veröffentlichte Studie „grob fahrlässig“, laut der jedem zweiten Altersarmut drohe.

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Deutschland gibt einen immer größeren Anteil seines Wohlstands für Rentner aus. Schon heute muss der Bund die Rentenkasse jährlich mit rund 86 Milliarden Euro bezuschussen. Es droht eine Rentenkrise, nicht nur in Deutschland.

Quelle: Die Welt

Die ganze Methodik der Studie sei falsch. Hank nahm in der Runde eine interessante Rolle ein: Er war so etwas wie ein Sozialdemokrat à la Gerhard Schröder. Das führte dazu, dass die alte SPD mit der neuen SPD diskutierte, mittendrin die Gewerkschaftsfrau Neumann. Die Antworten fielen dann so aus: Hank widersprach der Kritik am deutschen Sozialstaat und sprach von einem humanen Sozialstaat. Die von Schröder verabschiedeten Hartz-Reformen lobte er als „die beste marktwirtschaftliche Reform seit Ludwig Erhard“. Und statt zu jammern, lobte er den Wert der Arbeit – „Arbeit gibt Sinn“.

Doch Hank musste wie einst Gerhard Schröder erleben, dass solche Worte bei überzeugten Gewerkschaftern vom alten Schlage nicht fruchten. Das solle er doch mal den „Jungs“ bei ihr bei der IG Bau erzählen, sagte Neumann. Die seien irgendwann körperlich aufgebraucht und müssten bis zur Frührente noch eine gewaltige Durststrecke hinter sich bringen – was ziemlich nach dem Jammerton alter Gewerkschaftsfunktionäre klang.

Kraft verliert sich in Allgemeinplätzen

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Bei Hank fand Neumann also nicht das ersehnte Verständnis. Von Hannelore Kraft bekam sie auch keine überzeugenden Antworten. Die vor gar nicht langer Zeit als SPD-Hoffnungsträgerin und Frau für höhere Aufgaben geltende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen verbrauchte viel Zeit, um ihre eigene Landespolitik zu verteidigen. Bei bundespolitischen Fragen verirrte sich Kraft in Allgemeinplätzen und Beschönigungen.

„Ich möchte ein Gesamtkonzept“, sagte sie etwa zu den nötigen Rentenreformen. Das Rentenniveau dürfe nicht weiter absinken, sagte sie auch – wie das geschehen soll, aber nicht. Zur heftig kritisierten Riester-Rente ähnliches Schwafeln. „Wir müssen nach wie vor auch die private Säule erhalten, aber wir müssen sie richtig positionieren.“ Und alles will Kraft jetzt „möglichst genau betrachten“. Wenn sich die Sozialdemokraten fragen, woran es bei ihnen krankt, war dies eine Lehrstunde. So offen wie der Journalist die Hartz-Reformen bejubeln wollen sie nicht – klar sagen, was nun Sache ist, können sie aber auch nicht.

Wenn Gewerkschafterin Neumann das nächste Mal in Gelsenkirchen mit ihren „Mädels“ und „Jungs“ zusammensitzt, dürften ein paar wütende Diskussionen folgen. „Was habe ich verkehrt gemacht? Ich war nie faul“, sagte die über die Debatte verzweifelte Frau am Ende der Sendung. Wo sie Antworten bekommt, weiß sie nach dem Talk sicher nicht.

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