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Wall Street Journal Verschleierung

Die dunkle Vergangenheit von US-Börsenmaklern

Die NYSE in New York. US-Börsenmakler müssen der Finra beispielsweise Strafanzeigen melden Die NYSE in New York. US-Börsenmakler müssen der Finra beispielsweise Strafanzeigen melden
Die NYSE in New York. US-Börsenmakler müssen der Financial Industry Regulatory Authority Strafanzeigen melden
Quelle: picture alliance/dpa
US-Wertpapiermakler sind dazu verpflichtet, frühere Privatinsolvenzen und Strafanzeigen offenzulegen. Doch viele verschleiern ihr dunkles Vorleben – mit schwerwiegenden Folgen für die Anleger.

Der Börsenmakler Marcos D. Leiva verbringt viel Zeit vor Gericht. In weniger als zwei Jahren hat er eine Privatinsolvenz beantragt, die Richter haben ihn wegen nicht gezahlter Schulden verurteilt und seine Steuern wurden gepfändet. Außerdem hat sich Leiva der Anklage für schuldig bekannt, Strafverfolgern gegenüber falsche Angaben gemacht zu haben.

Jedes einzelne Vorkommnis hätte den Anlegern unverzüglich offen gelegt werden müssen. Doch tatsächlich wurde ihnen kein einziges gemeldet.

Leiva ist nicht der Einzige, der seine unrühmliche Vergangenheit verheimlicht. Nach Recherchen des „Wall Street Journal“ gehört er zu einer Schar von mehr als 1600 US-Wertpapiermaklern, in deren Unterlagen, anders als vorgeschrieben, weder frühere Bankrotterklärungen noch strafrechtliche Anklagen oder andere Warnsignale für Verletzungen der Branchenbestimmungen offiziell vermerkt werden. Der Branchenaufsicht ist das nicht aufgefallen.

Loch im Netz der Aufseher

Der Hang zu krummen Touren scheint sich zudem nicht so leicht kurieren zu lassen. Dieselben schwarzen Schafe unter den Brokern handeln sich im Schnitt nämlich auch mehr aufsichtsrechtliche Disziplinarverfahren und mehr Kundenbeschwerden ein als andere Wertpapiermakler, wie eine Auswertung von Abertausenden von Eingaben über die Makler ergeben hat.

Die Untersuchung zeigt eines ganz deutlich: Es klafft ein großes Loch im Netz der Aufseher, die eigentlich mit Argusaugen über das Maklergeschäft und seine Akteure wachen sollten. Wer sein Geld einem Broker anvertraut, sollte sich auf die offiziellen Auskünfte zu dessen Vorgeschichte verlassen können. Die Anleger gehen davon aus, ihr Vertrauen in diese Angaben setzen zu können.

Wie fatal dies enden kann, zeigt der Fall eines 75-jährigen Kunden, der seine Aktiengeschäfte Leiva übertragen hatte. Er sagt, Leivas Vorgehen habe ihn um einen Großteil seiner Ersparnisse gebracht, die er im Verlauf seines Lebens angesammelt hatte. Wiederbekommen hat er bisher nur einen Bruchteil seines Geldes. Leiva, der damals für eine Firma auf Long Island bei New York arbeitete, konnte nicht für eine Stellungnahme erreicht werden.

„Diese Situation ist untragbar“

Die zuständige Aufsichtsbehörde Financial Industry Regulatory Authority, kurz Finra, behauptet von sich selbst, „die erste Verteidigungslinie“ zum Schutz der Anleger zu bilden. Die Organisation kontrolliert Personen, die in der US-Wertpapierbranche tätig sind.

Gemäß den Vorgaben der Finra müssen Makler und die Firmen, die sie beschäftigen, über ein breites Spektrum an Aspekten Bericht erstatten. Dazu gehören auch Insolvenzen und strafrechtliche Anklagen, mit denen Broker möglicherweise konfrontiert waren. Damit soll es den Investoren ermöglicht werden, auf der Finra-Website „BrokerCheck“ Makler nachzuschlagen und schnell Erkundigungen über deren beruflichen Werdegang einzuziehen.

„Wir sind zutiefst von diesen Meldungsunterlassungen beunruhigt. Sie sind unvereinbar mit der aufsichtsrechtlichen Pflicht sowohl der Firmen als auch ihrer registrierten Personen“, teilt eine Finra-Sprecherin mit. „Diese Situation ist untragbar.“

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Die Aufsichtsbehörde will sich nach eigenen Angaben nun darum bemühen, ihre Datenbank auf den neuesten Stand zu bringen. Außerdem werde sie sich darauf konzentrieren, „gegebenenfalls zügige Disziplinarmaßnahmen einzuleiten“.

1500 Makler verheimlichten Privatinsolvenz

Kommen Firmen und registrierte Vertreter der Wertpapierbranche ihrer Meldepflicht nicht angemessen nach, kann die Finra Strafen in Form von Geldbußen oder Berufsverboten verhängen. Disziplinarische Schritte gegen Einzelpersonen und Firmen, die die Regeln brechen, sind ihr zufolge schon oft veranlasst worden. Makler gerieten in Gefahr, aus der Branche verstoßen zu werden, sollten sie es absichtlich unterlassen, die verlangten Informationen einzureichen.

Das „Wall Street Journal“ hat für seine Recherche eine Datenbank herangezogen, in die Meldungen aus 21 US-Bundesstaaten eingingen. Sie betrafen mehr als 500.000 Wertpapiermakler, die im vergangenen Jahr noch in der Branche tätig waren. Diese Daten wurden mit strafrechtlichen Eintragungen und Meldungen bei Insolvenzgerichten verglichen.

Die Untersuchung ergab, dass mehr als 1500 Makler von 2004 bis Ende 2012 zwar Privatinsolvenz angemeldet hatten, dieser Umstand bei ihren Eingaben bei der Aufsicht aber unerwähnt blieb. Meldepflichtig sind Privatinsolvenzen, die in den vergangenen zehn Jahren durchlaufen wurden. Bei 150 Brokern erscheinen im offiziellen Lebenslauf weder strafrechtliche Anklagen noch Verurteilungen, die der Aufsicht von Rechts wegen hätten gemeldet werden müssen.

Einbruch, Fälschung, Diebstahl

Nun lässt eine Bankrotterklärung an sich keinen Rückschluss auf die Unredlichkeit des Betreffenden zu. Und dennoch weisen Makler, die sich über ihre Insolvenz ausgeschwiegen haben, auch in disziplinarischer Hinsicht größere Defizite auf, als dies in der Branche im Schnitt üblich ist.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie von ihrem Arbeitgeber entlassen worden waren, ist beispielsweise in dieser Gruppe mehr als doppelt so hoch. Rund einer von 33 dieser Kandidaten – und damit 65 Prozent mehr als andere Broker – hatte darüber hinaus drei oder mehr weitere Minuspunkte auf dem der Aufsicht offenbarten Reputationskonto. Dazu gehörten etwa Beschwerden der Kunden oder Vertragsaufkündigungen.

Die Finra verlangt von den Wertpapiermaklern, ihren Arbeitgebern etwaige Anklagen oder Verurteilungen für Straftaten selbst zur Kenntnis zu bringen. Dasselbe gilt für Vorwürfe, die sich auf Fehlverhalten unter anderem im Zusammenhang mit Finanzgeschäften beziehen.

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Das Spektrum an Anklagen, die Makler nach Erkenntnissen des „Wall Street Journal“ unter den Teppich gekehrt und nicht gemeldet haben, umfasst Einbruch, Fälschung, Diebstahl, Raub, das Ausstellen ungedeckter Schecks, Identitätsdiebstahl, Angriff mit einer tödlichen Waffe, Belästigung und Nachstellung, sexuelle Übergriffe und Körperverletzung, Freiheitsberaubung, das Nichterscheinen vor Gericht nach Freilassung auf Kaution und Rauschgiftdelikte.

Unternehmen müssen Auskünfte weiterleiten

Die Unternehmen der Branche sind verpflichtet, die Selbstauskünfte der Makler an die Finra weiterzuleiten. Sie müssen zudem überprüfen, ob neue Mitarbeiter eine kriminelle Vergangenheit haben. Dazu werden dem Neuankömmling die Fingerabdrücke abgenommen und an die Finra geschickt. Die Aufsicht veranlasst dann mit Hilfe der Bundespolizei FBI eine Überprüfung des polizeilichen Führungszeugnisses.

Das System ist jedoch alles andere als narrensicher. Der eingangs erwähnte Makler Marcos D. Leiva zum Beispiel hatte laut der Finra im Jahr 2010 ein Schuldeingeständnis abgelegt, das ihn eigentlich für ein Jahrzehnt vom Verkauf von Wertpapieren hätte ausschließen sollen.

Doch der 38-Jährige erwähnte weder seine Verurteilung wegen nicht bezahlter Schulden noch dieses Geständnis, als er der Finra seine Pflichtmeldung zum Lebenslauf machte. Leiva hatte sich vor einem Gericht schuldig bekannt, im Zusammenhang mit Vorwürfen wegen Verkehrsverstößen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden falsche Angaben gemacht zu haben.

Doch davon wussten die Aufseher nichts. Erst nachdem der 75-jährige Anleger Robert Mazzella aus New York im Jahr 2012 eine Schiedsklage gegen Leiva anstrengte, intervenierte die Branchenaufsichtsbehörde. Die Finra wirft Leiva unter anderem vor, Mazzella im Jahr 2010 auf unlautere Weise insgesamt 800 Dollar gezahlt zu haben. Und ein Jahr später soll der Makler den Rentner zu überreden versucht haben, nicht gegen den Verlust seiner Ersparnisse in Höhe von 200.000 Dollar zu klagen.

„Ich habe meine Lebensersparnisse verloren“

Die Finra suspendierte den Broker für 13 Monate und erlegte ihm eine Geldbuße über 10.000 Dollar auf. Leiva willigte in das Strafmaß ein, ohne die Vorwürfe zuzugeben oder zu bestreiten. Nach Angaben der Aufseher hatte die Firma Newport Coast Securities auf Long Island, bei der Leiva damals beschäftigt war, nichts von der mutmaßlichen Zahlung über 800 Dollar mitbekommen. Newport Coast reagierte nicht auf Kommentaranfragen.

Dass die Finra nun gegen Leiva vorgeht, „bringt mir gar nichts“, konstatiert Mazzella. „Ich habe meine Lebensersparnisse verloren, weil ich von dieser Person hereingelegt worden bin.“ In der Schiedsklage Mazzellas wird ausgeführt, dass mit seiner Investition „auf aggressive Weise umgegangen wurde, sie maßlos übertriebene Provisionen zeitigte, bis sie fast wertlos war“.

Einer der ehemaligen Arbeitgeber Leivas, eine Firma namens Trident Partners, legte die Angelegenheit mit der Zahlung von rund 15.000 Dollar bei, berichten mit der vertraulichen Übereinkunft Vertraute. Trident wollte dazu nicht Stellung nehmen.

Es sei schwierig gewesen, den Gesamtverlust seines Klienten wieder hereinzuholen, berichtet Mazzellas Anwalt Kevin Conway. Leiva sei pleite gewesen und die Firma Basic Investors, bei der Leiva gearbeitet hatte, als der meiste „Schaden angerichtet wurde“, hat sich mittlerweile aus der Branche verabschiedet.

Viele Verstöße bei großen Maklerhäusern

Gemäß den Richtlinien der Finra sind die Arbeitgeber der Makler verpflichtet, Informationen zu melden, die sie erfahren haben oder hätten erfahren sollen. Sie sind generell aber nicht dazu gezwungen, weitergehende Erkundigungen über den Werdegang eines Maklers anzustrengen, nachdem sie ihn eingestellt haben. Für die Finra ist es Sache der einzelnen Makler, relevante Vorkommnisse aus eigenem Antrieb zu melden.

Die US-Wertpapieraufsicht SEC, die die Finra überwacht, hat diese Auffassung in Entscheidungen bei Disziplinarverfahren bekräftigt. Die Finra „muss sich darauf verlassen, dass ihre Mitglieder ihr korrekt Bericht erstatten“. Da sie mehr als 4000 Firmen und 635.000 Makler zu ihren Mitgliedern zähle, „könne sie nicht die Richtigkeit jedes Details in jedem Dokument, das bei ihr eingereicht wird, nachprüfen“. Zu den Lücken in den Selbstauskünften der Broker wollte die SEC nicht Stellung beziehen.

Im vergangenen Jahr habe die Finra disziplinarische Schritte gegen 129 Makler und Firmen wegen „Berichts- und Eingabeverstößen“ eingeleitet, sagt eine Behördensprecherin.

Nun könnte man meinen, diese Verstöße gingen vor allem bei kleinen Firmen über die Bühne. Doch weit gefehlt. Bei den zehn größten US-Maklerhäusern, die das „Wall Street Journal“ analysiert hat, sind mindestens 450 Broker beschäftigt, die allesamt Insolvenzanträge gestellt hatten. Sie alle hätten gemeldet werden müssen, doch dies ist unterblieben.

Großoffensive gegen Merrill Lynch

Eine ihrer jüngsten Großoffensiven hatte die Finra im Jahr 2012 gegen Merrill Lynch geführt. Die Aufsicht verdonnerte die Gruppe zur Zahlung einer Geldstrafe von 500.000 Dollar. Merrill Lynch war vorgeworfen worden, nicht zügig genug über mehr als 650 Kundenbeschwerden, aufsichtsrechtliche Maßnahmen, Anklagen wegen Straftaten, Verurteilungen und andere gegen Makler gerichtete Anschuldigungen Bericht erstattet zu haben. Auch Merrill zahlte, ohne ein Fehlverhalten zuzugeben oder abzustreiten.

Es kommt zudem auch vor, dass Firmen selbst dann nicht auf Meldungslücken aufmerksam werden, wenn sie als Angeklagte im Insolvenzverfahren eines Brokers benannt wurden. Nachdem der Makler Nicholas J. Hoetmer und seine Ehefrau 2010 Privatinsolvenz angemeldet hatten, verklagte ein Treuhänder ihn und den Pensionsfonds seines Arbeitgebers JPMorgan Chase. Dem jetzt 54-jährigen Hoetmer wurde zur Last gelegt, Geld in den Versorgungsplan eingezahlt zu haben, das gemäß den Insolvenzrichtlinien dazu herangezogen hätte werden müssen, gewisse Verbindlichkeiten zu begleichen.

Hoetmer sei „als Investmentberater bei JPMorgan Chase Investments in Indianapolis, Indiana, angestellt“, hieß es in der Klage. Der Insolvenzantrag wurde dem Bericht über den beruflichen Werdegang Hoetmers auf der Finra-Website „BrokerCheck“ aber erst angefügt, nachdem das „Wall Street Journal“ Kontakt zu JPMorgan aufgenommen hatte.

Hoetmer, der dort immer noch als Broker arbeitet, ließ Kommentaranfragen unbeantwortet. Eine Sprecherin von JPMorgan ließ dazu wissen: „Wir verlangen von unseren Beratern mittels jährlicher Unterweisungen, Zertifizierungen und Erinnerungen, Meldepflichtiges fristgerecht einzureichen.“

Weiter wollte sie sich zu diesem Thema nicht äußern. Ein Insolvenzrichter wies die Klage des Treuhänders gegen den Pensionsfonds von JPMorgan ab, hielt sie aber gegenüber dem Makler aufrecht.

Etliche Mehrfachtäter umgehen Meldepflichten

Und selbst Mehrfachtätern gelingt es bisweilen, ihre Meldepflichten erfolgreich zu umgehen. Der Wertpapiermakler Ronald J. Garabed hatte zwischen 1997 und 2007 vier Mal Insolvenz angemeldet und keine einzige davon zu Protokoll gegeben, wie bei einem Disziplinarverfahren bekannt wurde, dass die Finra mittlerweile gegen ihn angestrengt hat.

Die Behörde beschuldigt Garabed des Weiteren, sich 2006 von einem Kunden 15.000 Dollar geliehen und damit gegen die Richtlinien seines Arbeitgebers, einer Tochter von Metlife, verstoßen zu haben. Metlife kam erst im Jahr 2010 hinter die Machenschaften Garabeds und feuerte den Makler, wie aus den Dokumenten hervorgeht.

Die Finra suspendierte den jetzt 63-Jährigen und belegte ihn im darauffolgenden Jahr mit einer Geldstrafe über 10.000 Dollar. Garabed legte den Fall mit der Finra bei, ohne die Anschuldigungen zuzugeben oder zu bestreiten. Er konnte nicht für eine Stellungnahme erreicht werden.

Die Broker von Metlife seien verpflichtet, an jährlich stattfindenden Besprechungen über die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und entsprechenden Übungen teilzunehmen. „Wenn einer unserer Berater ein Verhalten an den Tag legt, das seine Integrität in Zweifel zieht, gehen wir dem nach und leiten gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen ein“, heißt es bei dem Unternehmen.

Wertpapiermaklerin hebt Geld vom Konto der Kunden ab

Im vergangenen Jahr gingen immer noch mindestens 103 Makler ihrer Tätigkeit nach, die sich Zugang zur Wertpapierbranche verschafft hatten, ohne in ihren aufsichtsrechtlichen Eingaben offenbart zu haben, dass sie bereits eine Insolvenz hinter sich hatten.

Kommt ein Makler seinen Berichtspflichten nicht nach, kann dies auch als Warnsignal für künftige Schwierigkeiten mit der Aufsicht dienen. Die ehemalige JPMorgan-Wertpapiermaklerin Tiara Monique Jones hatte 2010 Privatinsolvenz angemeldet, diese aber den Aufsehern nicht offengelegt, wie einem Finra-Disziplinarverfahren gegen sie zu entnehmen ist.

Im Jahr 2011 soll sie 1000 Dollar vom gemeinsamen Konto zweier ihrer Kunden abgehoben haben, ohne dass die Kunden dies wussten. Als diese sich schließlich beschwerten, zahlte Jones das Geld zurück und wurde gefeuert. Im vergangenen Jahr belegte die Finra die jetzt 33-Jährige mit einem Berufsverbot.

Zu ihrer Verteidigung bringen einige Broker vor, sie hätten sich ihren Arbeitgebern gegenüber offenbart und angenommen, diese würden die Finra davon in Kenntnis setzen.

Edwin Brent Lundgren hatte im Oktober 2010 einen Insolvenzantrag eingereicht. Im gleichen Monat stellte ihn die Firma J.P. Turner & Co ein. „Ich erzählte ihnen davon, und sie sagten, sie würden sich darum kümmern“, sagt Lundgren.

Eine Unternehmenssprecherin widerspricht: Lundgren habe „mindestens zehn Mal unterschrieben oder bestätigt“, dass er keinen Insolvenzantrag gestellt habe. Ihre Firma ergreife „Maßnahmen, um sicherzustellen, dass wir über etwaige meldepflichtige Themen im Bilde sind und melden sie natürlich, wenn wir davon erfahren“, sagt sie.

„Es tut mir leid um die Kunden“

Im vergangenen Jahr setzte J.P. Turner Lundgren vor die Tür. Bei der Firma waren mehrere Beschwerden über ihn eingegangen. Im Zusammenhang mit seinen Verkäufen von Anteilen an einer Erdöl- und Erdgaspartnerschaft an Kunden seien „Vorwürfe der falschen Darstellung, Untauglichkeit und Fälschung“ aus der Zeit laut geworden, als er noch bei seinen beiden vorhergehenden Arbeitgebern tätig war, heißt es im Eintrag zu seiner Person auf der Website „BrokerCheck“.

Im September verweigerte die Wertpapieraufsicht von North Dakota Lundgren die Zulassung in dem US-Bundesstaat und verwies auf die immer noch ungeklärten Kundenvorwürfe. Der 61-jährige Makler wehrte sich mit einer Stellungnahme auf seiner „BrokerCheck“-Seite gegen die Vorwürfe, ein Fehlverhalten an den Tag gelegt zu haben.

„Es gab von meiner Seite aus keine Fälschung“, behauptet er. „Es tut mir leid um die Kunden und ich fühle mich besonders wegen der Gefühle schlecht, die sie mir entgegenbringen.“

Eine seiner ehemaligen Kundinnen war Mary Ohlhauser. Von einem Insolvenzantrag Lundgrens habe sie nichts gewusst, sagt sie. Lundgren habe sie und ihren Mann damals dazu überredet, 50.000 Dollar bei ihm anzulegen. Jetzt wären sie sehr froh, „irgendwas, selbst wenn es nur ein Dollar wäre“, von ihrem Geld wiederzusehen.

Doch selbst wenn die Finra-Vorgaben punktgenau nachvollzogen werden würden, wäre das System dennoch nicht in der Lage, alles im Vorleben eines Maklers aufzuspüren, was die Investoren vielleicht gern wissen würden.

Vorwurf des Diebstahls

George Salameh wird voraussichtlich noch in diesem Jahr der Prozess gemacht. Die Ermittlungsbehörden in Florida werfen dem ehemaligen Mitarbeiter der Maklertochter von Allstate vor, einem „Ring organisierter Diebe“ anzugehören. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Salameh sein Geschäftsbankkonto in St. Johns in Florida dazu genutzt zu haben, betrügerische Steuererstattungsschecks einzulösen. Der 55-jährige Angeklagte streitet ein Fehlverhalten ab und geht gegen die Anklage vor, die ordnungsgemäß gemeldet wurde und in seinem „BrokerCheck“-Eintrag nachzulesen ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass Salameh mit dem Gesetz aneinander geraten ist. Im Jahr 1992 hatte er sich bereits einer Anklage auf schweren Diebstahl für schuldig bekannt, wie aus Gerichtsunterlagen hervorgeht. Er bekam fünf Jahre auf Bewährung, formell verurteilt wurde er nicht. Die Akte wurde 1997 geschlossen.

Die Anklage aus dem Jahr 1992 erscheint nicht in der Auskunft Salamehs für die Aufsichtsbehörden. Allstate teilt mit, Salameh habe im Jahr 2000 bei der Firma angefangen und versichert, nicht vorbestraft zu sein. Das Unternehmen, das beteuert, dass keine Kunden der Firma in Mitleidenschaft gezogen wurden, hat nach eigenen Angaben „Salamehs Fingerabdrücke zum FBI geschickt und sie kamen sauber zurück“. Möglicherweise habe dies daran gelegen, dass die Akte zu dem Zeitpunkt schon geschlossen war.

Und in der Tat muss die strafrechtliche Anklage aus dem Jahr 1992 der Finra auch nicht gemeldet werden, bestätigt eine Behördensprecherin. Dass der Fall gemäß den Gesetzen in Florida geschlossen wurde, „kommt auf dasselbe heraus wie eine Löschung“.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen unter dem Titel „US-Börsenmakler verheimlichen ihre dunkle Vergangenheit“ beim "Wall Street Journal Deutschland".

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