WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Welt Print
  3. Vermischtes (Print Welt)
  4. Kaufen Sie sich doch einen Bunker!

Vermischtes (Print Welt)

Kaufen Sie sich doch einen Bunker!

Redakteur
Quelle: Kreitling
Stollen und Gänge für den Ernstfall: In einem Berg bei Jena lagerte die DDR Munition. Dann übernahm die Bundeswehr. Nun wird das riesige "Sicherheitsdepot Rothenstein" meistbietend versteigert.

Ja, wenn es geknallt hätte, wenn die Atombombe auf den Trompeterberg gefallen wäre. Dann hätten die Männer der Nationalen Volksarmee (NVA) zuvor das Tor geschlossen. Im Nachhinein sieht die Sache ziemlich nüchtern aus. Rote Lampen flackern, eine Klingel schrillt. Die Hydraulik fährt das Stahltor hoch, 40 Tonnen werden wie bei einer mittelalterlichen Zugbrücke gezogen. Eine Art Geisterheulen ertönt. Dann ein seltsames Plopp.

"Ich verriegele jetzt", ruft Herr Waldhelm. "Achtung, Quetschgefahr" warnt ein Schild. Niemand, der daran zweifelte.

Noch ein gewaltiges Knarren. Und Stille. Wir stehen im roten Flackerlicht und sind absolut sicher. Ein paar Schritte weiter ist noch eine Sperre, die für chemische Reinigung sorgt. Wenn der Westen, also die Nato oder Frankreich, die DDR mit Atomwaffen bombardiert hätte, damals, dann wäre das Munitionsdepot der NVA in Rothenstein bei Jena heil geblieben. All die Stollen und Gänge, die künstlichen Höhlen, um moderne Schätze zu hüten, hätten die Apokalypse überlebt. Samt Inhalt, versteht sich.

Irgendjemand heute interessiert?

Aber klar doch. Schweigsame Herren gehen durch die Gänge. Sie schauen sich gut um, klopfen manchmal an die weiß getünchten Wände. Jeder der Männer sucht eine Bleibe. Alberich, Bewacher des Nibelungengolds, trägt heute dunklen Anzug. "Sicherheitsdepot" heißt die Bunkeranlage, die von der DDR in den Berg gebaut wurde, mit fünf Kilometer Fahrwegen und 21 000 Quadratmeter Nutzfläche unter Tage. Dazu ein Bahnanschluss. Auch ein Bebauungsplan liegt vor. Am 12. Dezember wird das Depot in Berlin versteigert, Mindestgebot knapp 1,5 Millionen Euro. "Eine buchstäblich sichere Immobilienanlage!", jubelt die Deutsche Grundstücksauktionen AG.

Die Hinterlassenschaften des Krieges sind immer profan. Dennoch geht ein großer Reiz von diesen Anlagen aus, den nicht bloß die halb verrückten Bunker-Fans verspüren, die immer wieder in Keller und Schächte einsteigen, um ihre Funde minutiös im Internet zu dokumentieren. Jede Mauer und Absperrung reizt - und lässt Fantasie wachsen. In Rothenstein gibt es eine vier Meter hohe Plattenbetonmauer, jede Menge Nato-Draht. Und dahinter den steilen Felsen.

Im Innern ist das Sicherheitsdepot von unheimlicher Leere. Die Gänge, die 80 Meter langen Stollen, die Versorgungs-, Schlaf und Aufenthaltsräume: blank. Nichts wurde zurückgelassen, das funktionelle Weiß lässt keinerlei Gefühle aufkommen. Besenreinheit. Die Ruhe übertönt alles. "Wir haben nicht mal Ungeziefer gefunden. Keine Ratten, keine Spinnen, keine Fliegen", sagt Matthias Waldhelm (36), seit fünf Jahren Architekt und technischer Betreiber der Anlage.

Am Eingang hängen an Haken für Arbeitskleidung noch Namensschilder. Jecke, Schröder, Schulze, Dubbel. Das Gewirr aus Abzweigungen und Nummern erinnert an ein Labyrinth. "12-27" ist mit Pinsel aufgemalt, "B3 - B2 - B1", "Taktstraße 2.1", K 19a - K 18a - K17a". Gelb-schwarze Markierungen an den Ecken zeigen das hohe Sicherheitsbedürfnis der Erbauer. Die Luft im Berg ist gut, die Wärme konstant. Ein gigantisches Netz an Wegen wartet auf Wiederbelebung. Erinnerungen an die NVA sind getilgt, eine einzige Maschine steht noch, um Panzergranatmunition scharf zu machen. Die Schalttafeln in ihrer hoffnungslosen Veralterung verbreiten den retroschicken Charme früher Science-Fiction-Filme.

Überhaupt: Fiktion. Angesichts der Leere erscheint die Vergangenheit des Sicherheitsdepots spektakulärer, als sie vielleicht war. Man kann sich gut vorstellen, dass hier Männer in hellen Schutzanzügen herumlaufen, die für Dr. No oder Dr. Evil arbeiten, in der Geheimzentrale des Bösen. Befehle werden gebellt, natürlich auf Deutsch, ein Countdown zählt bis zum drohenden Weltuntergang.

Anzeige

Gottlob schleichen sich bald James Bond oder Jack Bauer ein, um die Schaltzentrale und das Vernichtungsdepot so richtig auseinanderzunehmen. Statisten sinken getroffen danieder und fallen in Schächte. Tatsächlich gab es Anfragen von Filmfirmen, ob man im Bunker drehen dürfe, auch für einen Bond-Film, doch der Besitzer, die Firma Terraspace, winkte ab. Wie sicher ist denn ein Sicherheitsdepot, wenn die halbe Welt es im Kino und im Fernsehen gesehen hat?

Natürlich hat der Berg in Thüringen für Aufregung gesorgt. In den umliegenden Dörfern schwirren seit je wilde Gerüchte umher. Atomwaffen seien im Berg gewesen, und die "Freunde", die sowjetischen Streitkräfte, hätten die SS 20 dort aufgestellt. Die gefürchteten Mittelstreckenraketen, um die Anfang der 80er-Jahre erbittert gestritten wurde, hätten sogar durch den Berg abgeschossen werden können, raunen die Dörfler. Matthias Waldhelm schüttelt den Kopf. Die Legenden kennt er auch. Nein, nein. "Wir wissen, was drin war. Handfeuerwaffen und Artilleriemunition." Der Bürgermeister von Rothenstein war nach der Wende drinnen und sagt das Gleiche. Und Raketenschächte? Gibt es einfach keine.

Die Geschichte des Rothensteiner Trompeterbergs beginnt im Kaiserreich. Im Buntsandsteingebirge wurde Kaolin abgebaut - Porzellanerde -, dazu trieb man Stollen in den Berg. Später wuchsen Zuchtchampignons in den Höhlen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bunker erstmals ausgebaut unter dem Decknamen "Albit". Carl Zeiss Jena fertigte dort ab Herbst 1944 optische Rüstungsteile, vor allem für Periskope. Nach dem Krieg lagerten erst sowjetische Waffen, dann Lebensmittelvorräte im Berg, Obst, Gemüse, Kartoffeln; angeblich auch Motorroller vom Typ Berlin.

Ende der 60er-Jahre errichtete die DDR das streng geheime Komplexlager 22 an drei Standorten in Ostthüringen. In Rothenstein rückten zum Ausbau Arbeiter vom VEB Schacht Nordhausen an. Größe und Anzahl der bestehenden Stollen wurden verdoppelt. Einige Mannschaftsräume aus alter Zeit sind roh in den Felsen gehauen. Gemütlichkeit? I wo. Das stille Örtchen hat starken Höhlencharakter.

Die Maschinen sind deutsche Wertarbeit, drei Diesel-Notstromaggregate stammen von 1969. Matthias Waldhelm schwärmt heute von ihrer Leistungsfähigkeit. Er könne gleich loslegen, also praktisch sofort, sagt er. Die NVA beschäftigte hier 250 Mann im Berg, die in drei Zonen arbeiteten. Wasser gab es aus über 80 Meter tiefen Brunnen, im Ernstfall wäre das gezapfte Grundwasser also nicht strahlenverseucht gewesen.

Nach 1990 übernahm die Bundeswehr das Objekt, reduzierte die Mannschaftsstärke auf etwa 100 Soldaten. 2003 schließlich gab man den Standort direkt an der Hauptstraße auf, für Munitionslagerung gibt es bessere, abgelegenere Ort.

Und die schweigsamen Herren?

Anzeige

Halten sich naturgemäß bedeckt. Akten könnte man hier lagern oder sehr viele Bücher. Kunstwerke. Weinflaschen. Doch dann brauchte man weder den "antistatischen Fußboden" noch die Brunnen. Ein Herr im dunklen Mantel ist Sicherheitsberater und vertritt Firmen im Frankfurter Raum. Er möchte nichts sagen. Ein anderer ist in der Veranstaltungsbranche tätig. Gemeinsam mit Investoren kann er sich eine Art Eventpark vorstellen, er will die spektakulären Räume so richtig ausnutzen.

Matthias Waldhelm weiß von Interessenten, die Airbags hier lagern oder ein Rechenzentrum unterbringen wollten. Datenspeicherung sei doch ein kommendes Thema, sagt er. Die Digitalisierung in der Medizinbranche müsse irgendwo archivarische Konsequenzen haben. Röntgenbilder und Krankenakten auf Festplatten statt Patronen, Pistolen und Granaten, das hätte doch eine feine Ironie.

So ein Berg kommt nicht alle Tage unter den Hammer. Auktionator Thomas Engel aus Berlin sagt, mehr als 100 Interessenten hätten sich gemeldet. Die Auktionsschritte werden 10 000 bis 20 000 Euro betragen. Er ist sich sicher, dass das Sicherheitsdepot verkauft werden wird. Eine vollkommen seriöse Sache. "Wir sind doch kein Abenteuerspielplatz für Erwachsene." Na ja.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen