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Wirtschaft Hohe Abbruchquote

Jeder vierte Azubi schmeißt seine Lehre hin

Berufe mit den höchsten Abbrecherquoten Berufe mit den höchsten Abbrecherquoten
Berufe mit den höchsten Abbrecherquoten
Quelle: Infografik Die Welt
Viele Lehrlinge in Deutschland halten nicht durch. Die Abbrecherquote ist auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Doch es gibt Unterschiede – zwischen Bankkaufmann und Koch zum Beispiel.

Worum geht es

Nahezu jede vierte Lehre in Deutschland wird abgebrochen. Die Quote stieg im Jahr 2011 auf 24,4 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit dem Wirtschaftsboom nach der Wiedervereinigung. Das geht aus einer Auswertung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) für den neuen Berufsbildungsbericht der Bundesregierung hervor, die der „Welt“ vorliegt.

Rund 150.000 Ausbildungsverträge wurden 2011 vorzeitig aufgelöst, ein Drittel davon noch in der Probezeit. Die höchsten Abbrecherquoten verzeichnen demnach Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo jeder dritte Ausbildungsvertrag vorzeitig aufgelöst wird. Am unteren Ende der Skala liegen Baden-Württemberg und Bayern mit Quoten von um die 20 Prozent.

Große Unterschiede gibt es auch zwischen den Berufen: Jeder zweite Kellner und Umzugshelfer beendet seine Lehre nicht. Besonders selten dagegen brechen Verwaltungsfachangestellte, Elektroniker, Bankkaufleute und Forstwirte ihre Lehre ab. Hier halten mehr als 90 Prozent bis zum Abschluss durch.

Eine klare Rangliste ergibt sich auch nach dem Schulabschluss der Azubis: Je niedriger der Schulabschluss, desto höher sei die Lösungsquote, sagt BiBB-Expertin Alexandra Uhly. Während 38,6 Prozent der Lehrverträge mit Auszubildenden ohne Hauptschulabschluss aufgelöst werden, sind es bei den Azubis mit Abitur nur 13,6 Prozent.

Im Osten werden die Lehrlinge knapp

Es gebe einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Marktlage und Vertragslösungsquote, sagt BiBB-Expertin Uhly. Offensichtlich lösen Jugendliche eher einen Vertrag auf, wenn sie in konjunkturell guten Zeiten über eine Alternative verfügen. Auch die Demografie spielt eine Rolle.

So werden in Ostdeutschland die Lehrlinge knapp. Auch dies dürfte die Bereitschaft der Jugendlichen steigern, eine Lehre abzubrechen und eine neue zu beginnen. Im langfristigen Vergleich ist die Abbrecherquote heute deutlich höher als früher.

Anfang der 80er-Jahre lag sie erst bei rund 14 Prozent. Bis zum Beginn der 90er-Jahre kletterte sie dann auf mehr als 20 Prozent. Die Ursachen für den deutlichen Sprung sind unklar. Bildungsforscher vermuten, dass die steigende Abbrecherquote auch etwas mit dem steigenden Alter der Auszubildenden zu tun haben könnte. Ältere Azubis sind kritischer und trauen sich mehr zu als jüngere, heißt es zur Erklärung.

Wer die Vertragslösung aus welchem Grund veranlasst hat, wird von den Statistikern nicht erhoben. Die Gründe dafür, so das BiBB in seiner Analyse für den Berufsbildungsbericht, sind „vielfältig und mitunter komplex“. Sie können von Betriebsschließungen und gesundheitlichen Gründen bis zu revidierten Berufswahlentscheidungen und Konflikten zwischen Ausbildern und Azubis reichen.

Vertragsauflösung bedeutet keinen Abbruch

Wer seinen Vertrag auflöst, werfe aber deshalb noch lange nicht endgültig hin, erklärt Uhly. Erfahrungsgemäß schlössen die Hälfte der betroffenen Azubis erneut einen Ausbildungsvertrag im dualen System. „In vielen Fällen setzen die jungen Leute ihre Ausbildung bei einem anderen Betrieb oder in einem anderen Beruf fort“, betont auch DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann.

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Die Abbrecherquoten lägen in der dualen Berufsausbildung zudem niedriger als im Bereich der Hochschulen, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Oft ist einfach der Beruf falsch gewählt, manchmal passt die Chemie zwischen Ausbilder und Jugendlichen nicht, oder die Entfernung zum Betrieb wird auf Dauer zum Problem.“

Die Gewerkschaften zeigten sich angesichts der hohen Abbruchzahlen besorgt. „Auffällig ist, dass die Quote der Abbrüche sich seit Jahren erheblich zwischen den einzelnen Ausbildungsberufen unterscheidet“, sagte DGB-Vizechefin Ingrid Sehrbrock der „Welt“. Die Betriebe in diesen Problembranchen müssten dringend an Attraktivität und Ausbildungsqualität arbeiten.

Ausbildungsbegleitende Hilfen anbieten

Zudem müsse den Betrieben bei der Ausbildung geholfen werden. Ausbildungsbegleitende Hilfen etwa durch Sozialpädagogen müssten zum Standardangebot werden. „Bisher werden diese Hilfen erst eingesetzt, wenn schon schlechte Noten in den Berufsschulzeugnissen stehen“, kritisierte Sehrbrock. „Das ist deutlich zu spät.“ Sie sprach sich auch dafür aus, die Unternehmen von Zeit zu Zeit zu kontrollieren und – wenn nötig – auch zu sanktionieren.

DIHK-Präsident Driftmann plädierte für eine frühzeitige und gute Berufsorientierung. „Wer weiß, was er will und kann, der trifft auch leichter die Entscheidung für den richtigen Beruf.“ Es gebe „eine Vielzahl von Initiativen“, die dem Abbruch der dualen Berufsausbildung entgegenwirken. „So vermitteln wir zum Beispiel bei Bedarf berufs- und lebenserfahrene Senioren auf ehrenamtlicher Basis, die Jugendlichen als Vertrauensperson zur Seite stehen.“

Denn schließlich sind die verlorenen Investitionen bei einer vorzeitigen Vertragsauflösung für die Unternehmen recht kostspielig. Das BiBB kam in einer Untersuchung auf Kosten von 580 Millionen Euro im Jahr.

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