WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Wirtschaft
  3. Unternehmenskontrolle: Aufsichtsräte sind oft zu alt und unqualifiziert

Wirtschaft Unternehmenskontrolle

Aufsichtsräte sind oft zu alt und unqualifiziert

Frauen in Aufsichtsräten Frauen in Aufsichtsräten
In deutschen Aufsichtsräten gibt es wenig Frauen
Quelle: zgb grafik DWO
Viele Aufsichtsräte deutscher Top-Unternehmen sind zu alt, zu einseitig und teils zu wenig qualifiziert: Eine Studie offenbart die Unzulänglichkeiten der Kontrolleure.
Mehr anzeigen

Am Ende waren alle Rettungsversuche im Sande verlaufen: Über Monate hinweg hatten die Eigentümer sich aufgelehnt gegen die Abwicklung der WestLB, die Politiker hatten gekämpft, auch die Mitarbeiter waren auf die Straße gezogen.

Das endgültige Aus der mächtigsten unter den Landesbanken hatten sie jedoch nicht abwenden können. Über Jahre hinweg hatten übereifrige Landespolitiker und Sparkassenmanager aus der Großbank ein riesiges, unübersichtliches Gebilde geschmiedet, das ohne staatliche Hilfe nicht überlebensfähig war und für dessen Milliardenverluste nun der deutsche Steuerzahler aufkommen muss – ein Vorzeigebeispiel nicht nur für die Willfährigkeit einzelner Vertreter aus Politik und Wirtschaft, sondern auch für das Versagen der Corporate Governance.

Kontrolleure stärker kontrollieren

Um solchen und anderen Unternehmensskandalen vorzubeugen, fordern Politiker, Investoren und Wirtschaftsbeobachter seit Jahren, auch die Arbeit der obersten Kontrolleure in den Unternehmen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Eine möglichst vielfältige Zusammensetzung der Aufsichtsräte gilt dabei ebenso als Garant für eine möglichst effektive Kontrolle wie auch die Beschränkung der Mandate und die richtige Qualifikation der Mandatsträger. Laut einer Studie der Board Academy – einer Initiative der Personalberatung Steinbach & Partner, der Beratung Deloitte und der Commerzbank – besteht in den Kontrollgremien hierzulande jedoch in allen Bereichen erheblicher Nachholbedarf.

Auch wenn man nicht zwingend von der beruflichen Ausbildung eines Aufsichtsrats auf die Qualität seiner Arbeit schließen kann, lässt der berufliche Hintergrund etlicher deutscher Aufsichtsräte Zweifel an deren Beurteilungskraft betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge aufkommen.

Der Untersuchung zufolge stellen zwar Wirtschaftswissenschaftler und Juristen erwartungsgemäß das Gros der Mandatsträger in den Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen. Die drittgrößte Gruppe (17 Prozent) verfügt jedoch über überhaupt kein Studium. Immerhin 14 Prozent haben einen wirtschaftsfernen akademischen Hintergrund, sind etwa Lehrer oder Informatiker.

Ein Großteil dieser Aufsichtsräte dürfte dabei dem Lager der Arbeitnehmervertreter entstammen, die qua Gesetz an den unternehmerischen Entscheidungen beteiligt werden und im Sinne maximaler Vielfalt die unterschiedlichen Unternehmensbereiche abbilden sollen.

Arbeitnehmervertretern fehlt oft das Fachwissen

„Bei vielen Aufsichtsräten – besonders bei den meisten Arbeitnehmervertretern – dürfte das notwendige Rüstzeug für eine effektive Kontrolle des Unternehmens wenn überhaupt nur sehr bedingt vorhanden sein“, sagt Guido Happe, Vorstandsvorsitzender von Steinbach & Partner. Die Untersuchung, in die Daten von 1465 Mandatsträgern aus Unternehmen des Dax, des MDax und des SDax eingeflossen sind, liegt „Welt Online“ vor.

Mit Blick auf die vielen Beispiele missratener Governance – etwa der Korruptionsskandal bei Siemens oder die im Zuge der Finanzkrise ans Licht gekommenen Verfehlungen in der Finanzbranche – stellt sich die Frage, ob hiesige Unternehmenskontrolleure tatsächlich ausreichend gewappnet sind für ihre in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung immer komplexer werdenden Aufgaben.

Anzeige

Erst 2010 hatte die Regierungskommission für gute Unternehmensführung (Corporate Governance) eine Empfehlung zur Weiterbildung ausgesprochen: Es sei „grundsätzlich erforderlich, die Qualifikation von Aufsichtsräten allgemein zu erhöhen“, ließ Kommissionschef Klaus-Peter Müller mitteilen – und forderte eine Ausweitung der Weiterbildungsmaßnahmen, die amtierenden wie künftigen Kandidaten gleichermaßen offenstehen sollten.

Ohnehin sind die Kontrolleure aber gesetzlich verpflichtet, sich eigenverantwortlich entsprechend der Anforderung ihres Mandats weiterzubilden.

Seither hat sich tatsächlich einiges getan: Mehrere Institute, darunter die Board Academy ebenso wie die European School of Management and Technology (ESMT) oder das Deutsche Verwaltungs- und Aufsichtsratsinstitut (DVAI), bieten inzwischen Aufsichtsratslehrgänge an, in denen Unternehmenskontrolleure die nötigen juristischen und wirtschaftlichen Grundlagen für ihr Amt vermittelt bekommen.

Aufsichtsrat ist kein Beruf

Der Schlüssel zur gänzlichen Lösung des Problems sind derlei Angebote den Experten zufolge jedoch auch nicht: Manuel R. Theisen, Wirtschaftsprofessor an der Uni München, zufolge sind sie nützlich, damit Kandidaten eine wirtschaftliche Grundausrüstung bekommen, sich austauschen und Netzwerke knüpfen können.

„Aufsichtsrat ist aber kein Beruf und man kann ihn daher auch nicht erlernen“, sagt er. Laut Michèle Morner – Professorin und Leiterin des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung und Corporate Governance der Universität Witten/Herdecke – mangelt es dagegen vor allem an der Bereitschaft derer, die eine Fortbildung wirklich brauchen würden: Vor allem im Selbstverständnis der Aufsichtsräte auf der Kapitalseite sei der Fortbildungsgedanke schlicht nicht verankert, so Morner.

„Zum Spiel gehört dazu, dass man so tut, als ob man schon alles wüsste.“ Für eine breit angelegte Studie hat die Wissenschaftlerin überdies herausgefunden, dass in den Kontrollgremien oftmals der Aufsichtsratschef als der erklärte Experte für Finanzfragen wahrgenommen wird, auf dessen Urteil man sich im Zweifelsfall gerne verlässt. Kritische Distanz, dank derer Ungereimtheiten aufgespürt werden können, sieht anders aus.

Haftungsthema wird wichtiger

Problematisch ist darüber hinaus die mangelnde Vergleichbarkeit der Angebote – weshalb Berater Happe auch eine „unabhängige Zertifizierungsstelle“ für dringend erforderlich hält. „Generell wird heute viel mehr erwartet von den Aufsichtsräten“, sagt der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler. „Auch weil Haftungsthemen immer wichtiger werden, wünschen sich die Chefs ihre Aufsichtsräte als Sparringspartner – und nicht als unkritische Ja-Sager“, sagt er.

Anzeige

Allerdings dürfte der verständliche Wunsch nach fundierter Beratung in vielen Fällen bereits an der großen Arbeitsbelastung der Kandidaten scheitern: Der Studie zufolge hat etwa ein Drittel aller Aufsichtsräte hierzulande mehr als vier Mandate inne, wobei sich vor allem in den Dax-Konzernen die Vielfachmandate häufen.

33 Kontrolleure sitzen sogar in mehr als zehn Gremien – womit die Grenze des Leistbaren mehr als deutlich überschritten sein dürfte. „Um diesen Irrwuchs zu begrenzen, ist eine Verschärfung des Aktienrechts dringend erforderlich“, so Berater Happe. Der Kodex hat seinerseits zumindest eine Obergrenze verordnet: Ihm zufolge sollen Vorstände börsennotierter Unternehmen nicht mehr als drei externe Aufsichtsratsmandate wahrnehmen.

Frauen sind unterrepräsentiert

Auch bei der Vielfalt der Zusammensetzung der Kontrollgremien besteht allerdings Nachbesserungsbedarf: Dass Frauen mit einem Anteil von derzeit zwölf Prozent in den drei Börsensegmenten deutlich unterrepräsentiert sind, widerspricht dem viel geäußerten Wunsch nach Vielfalt in den Gremien – die sich auch positiv auf das Betriebsergebnis auswirken soll.

Mit Blick auf die Beteiligung verschiedener Altersgruppen sieht es zwar etwas besser aus, doch auch hier lässt die gewünschte Durchmischung zu wünschen übrig. Vor allem im Dax sind die Aufsichtsräte recht alt, dort sind die 51- bis 70-Jährigen mit einem Anteil von 74 Prozent überdurchschnittlich stark vertreten. Über alle Börsensegmente hinweg sind die Mandatsträger zwischen 31 und 40 Jahren mit drei Prozent sogar schwächer repräsentiert als der Club der Ältesten zwischen 71 und 80 Jahren (acht Prozent).

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema